Kapitel 30

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Ich zögere. Ich will ihn nicht anlügen, nicht ausgerechnet Jack. Aber ich muss. Wenn ich es nicht tu, wird er mich sowieso hassen.

Also sage ich, wie es mir eingetrichtert wurde: „Meine Mum ist ja mit mir abgehauen, oft haben wir in großen Städten gelebt. Eine Zeit lang in Florida, manchmal nur ein paar Monate in den jeweiligen Orten. Mum ging es vor allem darum, nicht gefunden zu werden. Sie wollte, dass ich später mal das Leben eines Menschen führe. Als sie uns dann doch gefunden haben, waren wir gerade in New York.“

Eigentlich ist nichts gelogen, außer New York. Dort habe ich gelebt, bis ich etwa dreizehn war. Dann sind wir ein Jahr lang von Wohnung zu Wohnung, Ort zu Ort, immer weiter in den Norden. Ganz am Schluss haben wir weit im Norden von Kanada gewohnt, es war für uns einfach zu gefährlich geworden. In Chëres war ich nur selten und wenn, dann immer direkt an der Grenze. Denn auch Mum wusste von dem Risiko in Chëres. Es müsste für uns bestimmt Lösegeld gezahlt werden.

„Aber was hast du die ganze Zeit gemacht?“, fragt Jack hartnäckig nach. Vampire getötet, will ich ihm antworten. Doch stattdessen sage ich: „Unauffällig gelebt. Umgezogen. Und, genau wie ihr, Schulstoff gelernt.“ Wieder ist es nur die halbe Wahrheit.

Doch Jack ist zufrieden, schließlich habe ich seine Fragen beantwortet. Und auch den restlichen Abend muss ich keine Fragen mehr beantworten, auch wenn es mir erscheint, als ob sie einige hätten, die sie unbedingt stellen wollen würden.

Und auch am nächsten Tag bis zur zweiten Stunde wurden mir keine Fragen gestellt. Denn zum einen kamen wir mal wieder erst ganz kanpp zum Unterricht, Jack, Lee und ich betraten den Raum gerade, als es klingelte, was für unsere strenge Lehrerin eindeutig zu spät war. Und als sie uns eintragen wollte, ich hatte noch nicht einmal Zeit zu reagieren, schnauzte sie mich schon an, ich bekäme doch keine Sonderbehandlung, nur weil ich die Prinzessin sei und ich sollte mir gar nichts darauf einbilden.

Doch in den nächsten 45 Minuten war ich ihr für ihre Strenge dankbar. Jedes Mal wenn einer unserer Mitschüler sich vorbeugte um mir flüsternd eine Frage zu stellen und selbst die bösen Blicke von Jack und Lee sie nicht abhalten konnten, rief sie laut: „Das hier ist mein Erdkundeunterricht. Und da haben Sie gefälligst still zu sein!“

Und als wir nach ihrem Unterricht zum nächsten Klassenraum laufen, schirmen mich Jack und Lee von den Fragen der anderen ab. Lee verabschiedet sich schließlich von uns und wir laufen weiter zum Werken. Gleich an der Tafel, auf dem Lehrertisch, steht ein großes Glas mit wenigen Zetteln drin. Um genau zu sein, es sind vier.

„Nehmt euch einen. Und dann versucht euren Projektpartner zu finden, der muss dieselbe Nummer haben.“, sagt der Lehrer zu uns. Wir beide ziehen uns einen Zettel und setzen uns. Nach uns kommen noch zwei Mitschüler. Ein Mädchen mit langen, seidigen braunen Haaren, langen dunklen Wimpern und gerader Nase. Ihre Augen sind stark geschminkt und ihre Lippen glänzen vom Lipgloss. In ihrer gesamten Erscheinung ist sie eine wahre Schönheit. Und nach ihr kommt Eric, der sexistische Kerl vom Sportunterricht.

Es haben sich bereits viele Gruppen gegründet und als ich auf meinen Zettel gucke, sehe ich die Nummer 7. Na toll, ich sehe mich um und bemerke, dass jeder bis auf vier schon den Partner gefunden hat. Die vier sind Jack, ich, die Brünette und, klischeehaft pur, Ethan. Und nach dem Klischee wäre auch noch mein quasi Feind mein Projektpartner. Ich verdrehe die Augen und hoffe darauf, dass Jack die selbe Zahl hat, während ich auf seinen Zettel gucke. 6. Eine verdammte Ziffer Unterschied.

Also fifty-fifty-Chance, dass ich nicht mit Ethan zusammenarbeiten muss. Das Mädchen kommt auf Jack und mich zu und fragt: „Hast du auch die sieben?“ Hoffnungsvoll starrt sie Jack an und als dieser den Kopf schüttelt wendet sie den Blick erfreut zu Ethan. Doch ich komme ihr dazwischen. „Ich hab die sieben.“ Und wie zum Beweis zeige ich ihr auch meinen Zettel. Denn nach ihrem Blick zu urteilen, denkt sie gerade, ich würde das nur sagen, damit sie weder mit Jack noch mit Ethan das Projekt macht.

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