Kapitel 2

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Ich atme erst tief ein, um meine Stimme fest klingen zu lassen. Dann erwidere ich: „Aber nur für alles was ich nach einem Alter von zwölf Jahren getan habe, erst ab da bin ich strafrechtlich verfolgbar. Also in den letzten vier Jahren und fünf Monaten. Und selbst da gilt eine verringerte Strafe, schließlich bin ich noch nicht volljährig. Allerdings werde ich vermutlich trotzdem die Todesstrafe bekommen, da ich ja nicht nur einmal einen Vampir getötet habe.“

Überrascht schaut sie mich an. Sie dachte wohl nicht das ich die Rechte der Vampire so gut kenne.

„Das ist richtig. Nur läuft es bei dir anders. Wir hatten schon länger den Verdacht, jetzt wurde er bestätigt. Kannst du uns sagen wie dein voller Name lautet?“

Was tut mein voller Name denn zur Sache? Ich unterdrücke es, sie verwirrt anzusehen. Stattdessen lächle ich und frage: „Emily White. Oder Kate Miller? Hanna Smith, Kate Jackson, Emily Martin. Welcher davon? Suchen Sie sich einen aus. Wenn Ihnen keiner gefällt, es gäbe auch noch andere. Einmal hieß ich zum Beispiel Emma Edison. Und ein ande-“

„Keinen davon meine ich!“, unterbricht sie mich. Ich hätte diese Liste noch lange weiterführen können, ich hatte viele Namen, das waren nur die Häufigsten. Es ging nicht anders, sonst wären wir schon vor Jahren gefunden worden.

„Ich meine deinen richtigen Namen, Fae Phastiktion“

„Das ist nicht mein Name, wenn sie es drauf anlegen, dann ist mein Name Fae Otren. Aber niemals Phastiktion und die Gründe liegen ja wohl auf der Hand!“

Die Frau runzelt die Stirn. „Nein, dein Name ist Fae Phastiktion, der deiner Mutter war Adeline und diese war meine Tochter.“

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. „Das würde heißen, Sie wären Königin und ich wäre Prinzessin. Für wie unzurechungsfähig halten Sie mich bitte?“

Traurig schüttelt die Frau den Kopf. „Adeline und ich hatten....Streit, einen großen Streit und wegen bestimmter Dinge ist sie abgehauen, du warst damals noch kein Jahr alt. Ich habe bereits vermutet, dass sie dir deine Identität verschwiegen hat, doch ich hoffte ich läge falsch. Anscheinend nicht.“

„Hören Sie, meine Mum wurde vor meinen Augen getötet und in ein paar Tage bin ich auch tot, was wollen Sie?!“, sage ich durch zusammengebissene Zähne. Diese Frau soll nicht reden, als kannte sie Mum.

Denn eine traurige Tatsache ist, ich weiß noch nicht einmal wie meine Mutter mit Vornamen hieß. Es könnte gut Sharon, Cameron und Lilly sein, doch ich habe nie gehört, wie sie sich jemandem mit dem Namen Adeline vorstellt. Ich habe jedoch meinen eigenen Namen, Fae, auch nie benutzt, schließlich hatte ich immer andere Decknamen.

„Hör zu. Du solltest dich drauf einstellen hier erst einmal eine Weile zu bleiben und eigentlich hätte ich mir denken können, dass du mir nicht glaubst. Allerdings habe ich hier ein Fotoalbum für dich, da kannst du dir selbst ein Bild davon machen.

Neues Essen wird dir um 9:00 Uhr, um 13:00 Uhr und um 18:30 Uhr gebracht. Sieh dir das Fotoalbum an! Ich gebe dir ein wenig Zeit bis morgen, da komme ich vermutlich wieder vorbei.“

Und damit verlässt sie den Raum, hinter ihr der Mann zusammen mit dem Stuhl. Ein paar Sekunden später kommt er wieder rein und legt ein dunkles Buch auf die Kommode. Hinter sich zieht er die Tür wieder zu. Vermutlich verschließt er sie auch, allerdings höre ich nichts.

Ein paar Sekunden, Minuten verstreichen dann halte ich es nicht mehr aus. Neugierig nehme ich mir das Buch von der Kommode und setze mich wieder auf das Bett. Das Album ist eingeschlagen in dunkelblaues Papier, ganz schlicht. Als ich es aufschlage ist die erste Seite leer, ich blättere um und sehe ein Bild mit mehreren Personen. Vermutlich ein Familienbild.

Ich betrachte es näher und sehe eine Frau, die von vorhin. Sie sitzt auf einem Stuhl, neben ihr sitzt eine andere Frau, ebenfalls blond. Aber ihre Haare sind lang und fallen ihr seidig den Rücken hinunter. Sie sieht aus wie Anfang zwanzig. Sie hält zwei Babies auf dem Schoß, das eine hat grüne Augen, das andere braune. Doch noch haben sie nur ein wenig Flaum auf dem Kopf.

Auf der anderen Seite neben der angeblichen Königin sitzt eine Frau mit kurzen blonden Haaren und einem netten Lächeln. Damals sah sie noch viel unschuldiger aus, denn ich habe sie gleich erkannt. Es ist meine Mum, ihre grünen Augen blicken freundlich in die Kamera. Auf ihrem Schoss sitzt ein Baby, ein paar Wochen alt mit blonden Haaren und strahlend blauen Augen. Mit meinen blauen Augen und meinen mittlerweile eher karamellfarbenen Haaren. Mit meiner honigfarbenen Haut und meinem kleinen Leberfleck am Handgelenk.

Mir schießen Tränen in die Augen doch ich betrachte das Foto weiter. Hinter meiner Mum steht ein junger Mann mit einem strahlendem Lächeln. Er hat denselben Teint wie ich und seine Haare sind ein helles Braun. Um seine grünen Augen sieht man Lachfältchen. Es ist mein Vater, meine Mum hat mir Bilder von ihm gezeigt. Er wurde getötet als ich klein war, von Vampiren.

Ich streiche über das Bild, meine Finger zeichnen meine Eltern nach. Eine Träne tropft auf das Foto, doch es ist mir egal, ich fahre die beiden nach, bis ich nicht mehr kann, bis es mich vor Traurigkeit schüttelt, ich zittere.

Vorsichtig klappe ich das Album zu und lege es auf den Boden neben dem Bett. Dann lege ich mich auf die Seite und ziehe die Knie bis zur Brust, schlinge die Arme um sie und weine vor mich hin. Denn meine Eltern sind tot. Mit sechzehn Jahren bin ich alleine. Und vermutlich sterbe ich bald. Es ist quasi nur eine Frage der Zeit. Dabei weiß ich noch nicht einmal wer ich bin. Ich kenne den richtigen Namen meiner eigenen Mutter nicht. Ich weiß nichts und gar nichts und bin so schrecklich einsam wie noch nie. Denn meine Mum ist gestorben. Vor meinen Augen wurde das Einzige was ich all die harten Jahre hatte, getötet.

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