Kapitel 47

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Zögernd stehe ich mit erhobener Hand vor der Tür, bereit zum Klopfen. Nur dieses Klopfen würde mein ganzes Leben wieder verändern, wieder wie früher werden lassen.

Doch ich kann einfach die Bilder nicht unterdrücken, die mir durch den Kopf schießen. Leira mit einer Stichwunde im Bauch, Jack, der mich mit starren Augen beschuldigend anstarrt, Kayla, gebadet in Blut. Und für all das wäre meine Schuld.

Langsam lasse ich meine Hand sinken. Dann drehe ich mich um und laufe die Treppe hinunter, aus dem Antiquitätengeschäft hinaus, über den Hinterhof und verlasse den Blumenladen. Einsam stehe ich auf der Straße, meine Vergangenheit so nah und doch so fern. Aber mir ist jetzt klar, ich kann nicht wieder ein Vampir-Jäger werden. Zu viele Vampire kenne ich mittlerweile, die ich nicht verletzen kann.

Außerdem kommen ein paar Erinnerungen zurück, die ich früher relativ erfolgreich verdrängt habe.

Einmal haben Mum und ich gemeinsam zwei Vampire umgebracht. Sie waren zwar keine Gefährten, doch als der Mann tot zu Boden gefallen ist, ist die Frau vor Kummer zusammengebrochen und hat den Kampf aufgegeben. Und geschrien hat sie auch. Einen Schrei, den ich noch immer hören kann. Laut, klar und voller Verzweiflung.

Es mag sein, dass Vampire Monster sind. Manche mehr, manche weniger. Doch das ist jeder von uns. Und trotzdem führen die Vampir-Jäger und Vampire einen Kampf, einen unnötigen Kampf. Auf beiden Seiten gibt es Opfer.

Früher kannte ich nur ein Mädchen, das so etwas wie eine Freundin war. Sarah hieß sie. Sie ist gestorben. Ein Vampir hat sie umgebracht auf der Suche nach Blut. Ich habe ihn umgebracht. Das war für mich immer der Beweis, wir wehren uns. Doch ignoriert habe ich all die Kämpfe, die ich angefangen habe.

Seufzend setze ich mich in eine U-Bahn und versuche diese Art Gedanken wieder zu unterdrücken. Es gab Tage im Internat, da habe ich sie vergessen. Doch seit seinem Tod kommen sie wieder, immer häufiger. Der Gedanke daran, dass ich den Schmerz, den ich verspüre, etlichen anderen angetan habe, indem ich gemordet habe.

Ich war gefangen in meinem Körper, der keine Emotionen gezeigt hat. Wenn ich wach war, habe ich mich nicht lebendig gefühlt, tot. Wenn ich geschlafen habe, wurde ich von den Erinnerungen gequält. Die Drogen haben mich wieder spüren lassen. Mir wenigstens einen Moment der Erholung und der Freude gegönnt.

Doch Ethan hat mich aufgeweckt, so konnte es nicht mehr weiter gehen. Ich habe mich und alle um mich herum zerstört. Also habe ich aufgehört und das war verdammt schwer. Seit der Party habe ich noch nicht einmal einen einzigen Tropfen Alkohol getrunken.

Aber es wird besser. Langsam aber sicher wird es besser. Ich spüre wieder und manchmal spüre ich auch wieder wahre Freude. Doch vermissen tue ich ihn jeden Tag.

Und Pearline hat anscheinend doch irgendwie eine gute Seite. Sie hat mich bis vor kurzem mit allem verschont. Ich musste zu keinen Veranstaltungen, sie hat nicht versucht mir den einen Leibwächter wieder anzudrehen und die ganzen Skandale hat sie auch nie erwähnt.

Denn es gab unglaublich viele Skandale.

Paarmal hieß es, dass ich eine Affäre mit ihm gehabt hätte, die Reporter konnten sich nicht anders erklären, wieso ich so lange trauere. Manchmal wurden Bilder von mir oder Interviews mit Mitschülern veröffentlicht, in denen mein Alkohol- und anderer Konsum thematisiert wurden.

Ich wurde von den Medien als verantwortungs- und respektlos dargestellt. Als eine dumme, drogensüchtige Partygängerin ohne Weitblick und Verstand.

Das hat die Gegenspieler der Phastiktion nur weiter angeheizt, es war gefundenes Fressen für die. Ich sei eben typisch Mensch. Und trotzdem haben weder Aliisa, noch Pearline oder Melissa es angesprochen.

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