Kapitel 54

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Während sie sich alle Notizen machen, beginne ich mit der Lösung der Aufgabe. Jerry steht in der Ecke und starrt auf sein Telefon.

„Damit eine Veränderung entsteht, müssen bestimmte Faktoren beachtet werden. Durch sie - "

„Abbruch. Fae muss sofort gehen.", unterbricht mich Jerry und blickt erst am Ende des Satzes von seinem Display auf.

„Warte, was? Nein, ich bin noch nicht fertig."

Das kann doch nicht wahr sein. Ich bin jetzt schon stundenlang mit den vielen Abschlussprüfungen beschäftigt. Normalerweise hat man eine, höchstens zwei am Tag. Doch wegen „erhöhtem Risiko" haben Leira und ich das Glück, die Prüfungen an einem Tag ablegen zu dürfen. Nicht gerade schön, aber ich bin fast durch. Es fehlt nur noch das letzte Thema in Biologie. Doch Jerry schleift mich schon aus dem Raum.

„Diese Faktoren sind...", aber wir sind schon zur Tür hinaus. Wütend reiße ich mich von Jerry los und stampfe durch die Gänge der Schule davon. „Was soll das? Ich war fast fertig!"

Ich finde Prüfungen wie fast jeder andere Mensch, natürlich auch alles andere als toll. Aber jetzt, da ich schon angefangen habe, will ich sie auch zu Ende bringen. Ich werfe einen fast schon sehnsüchtigen Blick nach hinten, dann seufze ich laut und dramatisch auf.

Jerry läuft aber ungerührt mit starrem Blick und in einem zügigem Tempo weiter.

„Wieso muss ich denn jetzt weg?", frage ich ihn. Mittlerweile habe ich mich schon wieder leicht beruhigt. Die Prüfung kann ich jederzeit nach holen und wenn ich Glück habe, muss ich das gar nicht. Hat schon seine Vorteile, wenn deine Cousine Königin ist.

„Es gab einen Anschlag."

Entsetzt bleibe ich stehen. „Was? Wo?" Besorgt denke ich an Kayla. Dadurch, dass sie jetzt Königin ist, ist sie auch das Nummer eins Ziel aller Terroristen. Um Aliisa musste man sich da nicht ganz so viele Sorgen machen. Den Angreifer will ich erst einmal sehen, der sich traut, direkt sie fertig zu machen. Aber Kayla hat diese Wag-es-mich-anzurühren-und-ich-mach-dich-fertig-selbst-wenn-ich-tot-bin-Ausstrahlung noch nicht.

„Nein, nicht hier.", antwortet mir Jerry, „In Chëres." Jetzt bin ich verwirrt.

„Jerry, das ist zwar ziemlich traurig und so, aber mich würde es nicht wundern, wenn die Attentäter sogar aus Rejalia kämen."

Er schüttelt den Kopf. „Genau das ist das Problem! Qaletaqa Motavato, der König von Chëres ist bei dem Attentat verstorben. Ein paar Leute haben zum offenen Gegenschlag aufgerufen. Sie werden nicht lange brauchen."

Fassungslos starre ich ihn an. Das kann nicht wahr sein. Wenn ich Aliisa schon für unantastbar gehalten habe, dann den König für unsterblich. Und jetzt ist er tot.

„Aber...aber...", stottere ich. Jerry zieht mich weiter.

„Wir müssen uns beeilen."

Er stößt die Tür nach draußen auf und gemeinsam joggen wir zu dem bereits wartenden Auto. Schwarz lackiert, getönte Scheiben, mit Sicherheit kugelsicheres Glas, aber oberflächlich gesehen relativ normal. Besser als die Limousinen, die sie sonst immer schicken. Keine Ahnung, wie das Auto hier so schnell hingekommen ist. Die Limo, die uns hergebracht hat, ist jedenfalls weg.

Die Fahrt über schweigen wir. Ich muss noch immer verarbeiten, dass der König tot ist. Er ist zwar so etwas wie unser Feind, doch diese Sache ist eigentlich viel komplizierter. Ich bin mir relativ sicher, dass er und Aliisa alle Streitigkeiten schon längst aus dem Weg geräumt hätten. Doch das Volk hindert sie daran. Für sie gibt es keinen Mittelweg, jeder Kompromiss wäre ein Zeichen der Schwäche. Eine Sache, die wir uns schon lange nicht mehr erlauben können. Die Regentschaft ist gefährdet wie noch nie. Und die Krönung von Kayla hat bisher nur sehr wenig verbessert.

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