Kapitel 59

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18 Tage. 18 Tage seit alles schief gegangen ist, 18 Tage seit sich die Ordnung schlagartig verändert hat. Seit unserem Besuch in Chëres, seit der Hochzeit und seit meinem Zusammenbruch. 18 Tage lang habe ich nun nichts mehr von Ethan gehört, geschweige denn von dem ganzen Land.

Denn seit sie mich halb besinnungslos im Zimmer gefunden haben, schonen sie mich. Sie erzählen mir nichts, was mich aufregen oder verärgern könnte. Deswegen habe ich schon lange keine Nachrichten mehr von der Außenwelt bekommen. Ich weiß weder etwas über die aktuelle Situation in Rejalia, noch über die im Rest der Welt.

Stattdessen, oder wahrscheinlich eher gerade deswegen können mich Tag für Tag die Gedanken überfallen. Die Ärzte hatten irgendeinen Namen für das, was ich habe. Doch der ist so hochkompliziert, dass ich ihn sofort wieder vergessen habe.

Doch im Grunde meinten sie nur, dass ich krank sei. Eine Art Überforderung. Hervorgerufen durch aufwühlende Ereignisse. Ein Rückfall. Vermutlich der dritte.

Aber ich habe nicht das Gefühl, als ginge es mir besser, jetzt, da ich es weiß. Oder schlechter. Es bringt mir eigentlich gar nichts. Das Problem ist viel eher, dass dieses Schonen nur alles verschlimmert. Denn so bleibt mir gar nichts anderes, worüber ich nachdenken könnte.

Selbst wenn ich an die anderen Vampir-Jäger denke, geht es mir schlecht. Ich frage mich manchmal, ob sie geschnappt wurden. Ob ich ihnen damit geholfen habe, die Dokumente zu verbrennen. Ob man sie nur durch uns gefunden hat. Ob sie sicher sind.

Als mir nachmittags diese Fragen mal wieder nicht aus dem Kopf gehen, entscheide ich mich, es selbst herauszufinden. Etwas anderes habe ich schließlich nicht wirklich zu tun. Die Frage ist nur wie.

Ich kann wohl schlecht einfach aus dem Schloss raus marschieren, als sei nichts. Und mindestens genauso schlecht kann ich Pearline oder Aliisa oder Kayla darauf ansprechen. Ich bezweifle, dass Leira etwas davon weiß.

Welche Möglichkeiten bleiben mir also? Ich könnte versuchen, mich raus zu schleichen. Doch die Wache ist noch immer in Alarmbereitschaft, es gab zu viele Anschläge in letzter Zeit.

Dennoch, vielleicht schaffe ich es trotzdem. Zum einen weil die Wachen erwarten werden, dass jemand von draußen kommt, nicht von innen und zum anderen bin ich eine ausgebildete Vampir-Jägerin. Zwar ein wenig aus der Übung, aber ein Versuch kann ja nicht schaden.

Entschlossen lege ich mich wieder in mein Bett und schließe die Augen. Ich werde bis morgen Mittag warten, dann sind die wenigsten unterwegs und diese sehen am wegen der Tageszeit relativ schlecht.

Ich merke nicht wie ich wegdämmere. Es fühlt sich an, als wäre ich die ganze Nacht wach. Doch wahrscheinlich döse ich die meiste Zeit und wache nur manchmal auf. Trotzdem fühle ich mich wie in einem traumartigen Zustand. Jedenfalls wird es immer heller, bis irgendwann die Mittagssonne hoch am Himmel steht.

Schnell stehe ich auf und ziehe mich um. Dabei tausche ich meine vorher so gemütliche Jogginghose gegen eine Jeans und ziehe ein einfaches Top und einen Hoodie darüber als Oberteile an. Danach streife ich in dunkle Turnschuhe über meine Füße und schlüpfe zur Tür hinaus.

Mehrere Gänge schaffe ich ungestört, dann biege ich um eine Ecke und stehe direkt vor Jerry. Einen Moment blicken wir uns in die Augen, dann fragt er verblüfft: „Du gehst raus?" Seine Verwunderung ist eigentlich ziemlich gerechtfertigt. Die letzten 18 Tage haben mich zwar die anderen Leute von der Außenwelt abgeschottet, aber ich habe mich auch selbst eher zurück gezogen. Unter anderem, weil ich irgendwie bei meinem letzten Zusammenbruch doch ein paar Erkenntnisse gewonnen habe. Und ein klitzekleines bisschen vielleicht auch, weil ich mich für die Situation ein wenig schäme.

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