,,Und was nun?", wollte ich wissen. Ich war überrumpelt und verwirrt, wie vermutlich alle an diesem Tisch. ,,Also - was geschieht jetzt? Mit ihr, meine ich?"

,,Sie hatte einen ziemlich heftigen Schub und wurde von ihrer Nachbarin, die das zufällig mitbekommen hatte ins Krankenhaus eingeliefert. Ich denke - ich denke, ich werde schon morgen zu ihr fahren", beschloss Sally. Ich registrierte Dads missbilligenden Blick.

,,Schatz ... du musst selber erstmal auf die Beine kommen."

,,Ich stehe bereits wieder auf meinen Beinen. Wie du siehst", erwiderte Sally, etwas gereizt.

,,Du bist noch immer nicht fertig mit deinen Kontrollbesuchen beim Arzt und hatten wir nicht erst gestern über Therapiestunden gesprochen -?"

,,Toby, sie ist meine Schwester. Ich muss zu ihr", schnitt Sally ihm das Wort an. Ihr Blick ließ keinen Raum für Widerrede, dennoch öffnete Dad erneut seinen Mund. Damian unterbrach ihre kleine Diskussion plötzlich.

,,Wird sie sterben?" Sein Gesicht war eine harte Miene, doch ich kannte ihn. Unter diese Maske versteckte sich sein Schock und seine Traurigkeit. Er konnte sie bloß nicht zeigen. Mein Herz erschwerte sich bei dem Gedanken, wie traurig und ängstlich er wohl war.

Mit mitleidigen, blauen Augen schaute Sally ihren Sohn an und legte ihre zarte Hand auf seine riesige. ,,Ich weiß es nicht, mein Schatz. Die Ärzte konnten mir noch nichts Genaues sagen als ich heute mit ihnen telefoniert habe. Deswegen will ich vor Ort sein."

,,Und was kann im schlimmsten Fall passieren?", hakte er weiter nach.

,,Lähmungen können entstehen. Oder-", Sally schluckte, doch sie sagte es so gerade heraus als würde dieser Gedanke nicht zum ersten Mal vor ihrem inneren Auge aufploppen: ,,Oder sie könnte sterben."

Eine kurze Stille trat ein und ich betrachtete Damian sorgenvoll. Am liebsten würde ich ihn umarmen und ihn trösten, doch ich wusste, dass er das jetzt nicht zulassen würde. Natürlich war ich traurig über diese Nachricht, ich betete im Stillen für Greta, dafür dass sie dies überleben und ohne schlimme Folgen überstehen würde, doch meine Niedergeschlagenheit glich wohl in keinster Weise mit der von Damian oder Sally.

,,Nun, jetzt warten wir erstmal ab", versuchte Dad alle etwas aufzuheitern, wenn auch erfolglos. ,,Wir dürfen nicht sofort den schwarzen Peter an die Wand malen."

Plötzlich lässt Damian seinen Löffel, den er die ganze Zeit fest umklammert hielt, in seine Schüssel fallen, sodass die Milch aufspritze, schob seinen Stuhl nach hinten und stand auf. Wenige Sekunden später war er aus dem Raum verschwunden.

Sally seufzte tief und sah ihrem Sohn hinterher.

,,Er braucht ein bisschen Zeit für sich, glaube ich", warf ich leise in den Raum und sie nickte.

,,Er kommt mit Tod nicht gut zu recht. Nicht nach ... nicht nachdem sein Dad gestorben ist."

Mein Herz schmerzte noch mehr bei dem Gedanken, wie er wohl litt.

***

Meine Stimmung war natürlich für den Rest des Tages nicht mehr die Beste. Ich räumte mein Zimmer auf, erledigte ein paar Dinge für die Schule und gegen Spätnachmittag legte ich mich zurück in mein Bett und schaute mir Teen Wolf an. Mit den Gedanken war ich abwechselnd bei Damian und Sally und bei Greta.

Ich konnte mir Damians Tante nicht ans Bett gefesselt und kränklich vorstellen. Sie erschien mir immer als eine starke Frau und das war sie auch, doch der Gedanke, dass sie bald sterben oder gelähmt sein könnte, wollte sich in meinem Kopf nicht breitmachen. Wahrscheinlich war das auch besser so.

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