> Part 21

89.1K 4.3K 634
                                    

"Vielen Dank, Spätzchen", sagte Dad, als ich ihm die Zugtickets gab. Es war schon dunkel draußen, aber Dad und Sally waren erst jetzt wieder gekommen.

"Kein Problem. Was wollt ihr eigentlich bei Sallys Schwester?", fragte ich und strich ein paar Krümel von der Arbeitsplatte.

"Sally meinte, ich solle sie mal kennenlernen."

"Und wieso kommt sie dann nicht zu uns?"

"Sie ist krank", erzählte Dad. "Aber ich weiß nicht genau, was sie hat."

Ich fragte mich, ob er mit "krank" ein Schnupfen oder so meinte oder ob sie ernsthaft krank war, aber ich beschloss nicht weiter nachzufragen.

"Okay", sagte ich. "Ich werd dann jetzt schlafen gehen." Ich gab Dad ein Kuss auf die Wange und schlenderte nach oben ins Bad. Leah war schon weg, als ich gekommen war und sie hat sich seitdem noch nicht gemeldet.

Ich schloss die Badezimmertür hinter mir ab und fing an mich bettfertig zumachen, das hieß: Duschen, Zähne putzen, Haare kämmen und mein (trockenes) Gesicht eincremen. Als ich 30 Minuten später aus dem Bad kam, öffnete sich gerade Damians Zimmertür und er kam heraus.

"Bist du fertig?", fragte er und fuhr sich durch die Haare. Er sah etwas grummelig aus. Seine Haare waren noch mehr verwuschelt als sonst, er trug eine alte Jogginghose, ein einfaches schwarzes Shirt und er war barfuß.

Ich nickte und drückte gerade meine Türklinke runter, als er sagte: "Hey. War das Justin, der gerade vor unserer Tür stand?"

Verblüfft drehte ich mich um. Wie konnte er uns gesehen haben? "Ja. Wieso?"

Damian zuckte nur die Achseln und schloss ohne ein weiteres Wort die Badezimmertür hinter sich.

Ich zog mich schnell und sprang dann ins Bett. Ich hatte vor zehn Minuten eine Nachricht von Leah bekommen.

Wo warst du?

Musste für Dad Zugtickets besorgen. Wollte euch nicht stören, schrieb ich zurück.

Tut mir leid, dass ich das Zimmer gewechselt habe, aber ... das Aber ließ sie sozusagen in der Luft hängen.

Kein Problem. :) Erinnerst du dich an Justin?

So viel getrunken hab ich auch nicht - klar, was ist mit ihm?

Ich hab ihn getroffen und er hat mich in ein Café eingeladen...

Ich sagte doch, er steht auf dich!  Dahinter setzte sie noch tausende von WhatsApp-Smileys.

Er steht doch nicht auf mich! Und bevor du anfängst - ich auch nicht auf ihn! Ehrlich!

Wie ich immer so schön sage - was noch nicht ist, kann ja noch werden.

Bei dir wirds wohl so sein.. wie man sieht. :D

Allerdings.

***

Als ich am Mittwochmorgen den Schulflur entlang ging, zog mich Direktor McLion beiseite.

"Hat die Polizei Sie benachrichtigt?", fragte er, nachdem er nach allen Seiten geschaut hatte, ob irgendwo neugierige Schüler lauerten. Er war genauso wie ich darauf bedacht, dass niemand irgendwas von dem Vorfall mit Mr Glint erfährt.

"Nein, w-wieso?", fragte ich zögernd, da es mit großer Sicherheit um ihm ging.

Er atmete aus und sagte dann: "Er hat gestanden."

In dem Moment fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen - ich konnte ihn beinahe fallen hören. "Und was passiert jetzt? Kommt er ins Gefängis?"

Mr McLions Gesicht verhärtete sich ein wenig, was ich als schlechtes Zeichen deutete. "Nein, das nicht, aber er ist auf Bewährung und darf sich Ihnen nicht mehr nähern. Auch dieser Schule nicht. Und ich habe gehört, dass er in eine andere Stadt ziehen wird."

"Aber ins Gefängis kommt er nicht?" - "Nein, außer wenn er sich wieder irgenwas zu Schulden kommen lässt."

Mir zog sich der Magen bei der Vorstellung zusammen, dass dieses Schwein weitere Mädchen anfassen oder sogar vergewaltigen könnte - ob er dabei gegen Bewährungsauflagen verstoßen würde hin oder her.

"Okay", sagte ich etwas benommen, nickte aber.

Er ließ seine Hand kurz auf meinem Arm verweilen und sagte: "Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Benson. Er wird sich Ihnen nicht mehr nähern." Dann ging er zurück in sein Büro.

Nach der vierten Stunde trottete ich mit gemischten Gefühlen zur Cafeteria. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein sollte, weil Mr Glint jetzt endlich weg war und sich mir nicht mehr nähern durfte oder ob ich fassungslos darüber sein sollte, weil er 'nur' eine Bewährungsstrafe bekommen hatte.

Ich ging zu meinem Tisch ganz hinten in der Ecke und holte unauffällig mein Handy heraus, als ich Mikes laute Stimme durch den Raum hallen hörte.

"Ey, Schweinchen Dick!", rief er und ich hob den Kopf; ich wusste, dass er nur mich meinen konnte. Vielleicht hätte ich ihn einfach ignorieren sollen, aber ich dachte nicht darüber nach. Er stand wenige Meter vor mir und tatsächlich war sein Blick auf mich gerichtet.

"Mein Alter arbeitet bei der Polizei und rate mal, was er mir erzählt hat", fuhr er fort und schaute mich herausfordernd an. Alle Blicke waren auf uns gerichtet, doch ich antwortete nicht.

"Keine Idee? Da will ich mal nicht so sein und sag's dir einfach. Er sagte, dass ein Mädchen aus meiner Schule von unserem geliebten Herrn Sportlehrer belästigt wurde. Er wollte mir zwar nicht sagen, welches Mädchen, aber das können wir uns doch alle denken, oder?" Er grinste mich höhnisch an.

Ich sagte immer noch nichts, sondern presste die Lippen hart aufeinander, um nicht vor Verzweiflung und/oder Schock loszuheulen. Dass ausgerechnet Mikes Vater Polizist war ... durfte er überhaupt Auskunft über die Fälle geben? Aber das Mike so reagierte, war klar. Er ließ doch nie eine Gelegenheit aus, mir zu weh zutun.

"Nämlich die kleine, liebe Miss Piggy."

Am liebsten würde ich im Boden versinken, ganz tief, so weit es ging. Er stellte mich vor der ganzen Schule bloß, mit einer Sache, die überhaupt nicht witzig war. Aber er schaffte es mal wieder, dass ich mich scheiße fühlte.

Ich konnte nichts erwidern und das schien Mike als Bestätigung zunehmen, denn sein Grinsen wurde breiter. Wie konnte ein Mensch bloß so gehässig sein? Bestimmt war er immer noch wütend, weil ich ihn geschlagen hatte und er wollte sich doppelt und dreifach rächen. Die Schüler in der Cafeteria tuschelten jetzt  und ich wusste, dass ich jetzt Gesprächsthema Nummer Eins werden würde. Verzweifelt schaute ich durch die Menge und suchte aus irgendeinem Grund Damian, aber dann fiel mir ein, dass er ja nicht in der Schule war.

"Es kann nicht Aria gewesen sein", meldete sich eine Stimme zu Wort und ich war ganz überrascht, als ich mich umdrehte.

Our Little SecretWhere stories live. Discover now