> Part 104

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Ein halbes Jahr später; Arias POV:

Zuhause. Es war überraschend, dass England sich immer noch wie mein Zuhause anfühlte. Kaum war ich in London, fühlte sich alles wieder so vertraut an. Aber was hatte ich auch erwartet? Ich war nur etwas mehr als ein halbes Jahr weg.

Das Taxi fuhr mich im langsamen Tempo durch die vollen Straßen Englands. Überall waren hektische Menschen zu sehen, die einfach so über die roten Ampeln gingen und sich durch die Menge drängten. Ja, ich bin wirklich wieder zuhause, dachte ich.

Es war Mitte Juli, also mittem im Sommer und die Sonne stand auch weit oben am Himmel, weshalb ich auch nur im T-Shirt hier saß. Es war unerwartet warm.

Dad und Sally wussten nicht, dass ich wieder in der Stadt war. Eigentlich sollten sie mich morgen erst vom Flughafen abholen, doch ich wollte sie überraschen und ich hoffte, es gelang mir auch. Ich hatte sie sehr vermisst, obwohl wir oft telefoniert und geschrieben haben.

Da ich wusste, dass die Fahrt noch ein bisschen dauern würde, lehnte ich mein Kopf an die warme Fensterscheibe des Autos und schloss kurz die Augen. Ich war total müde und erschöpft, da ich früh aufstehen musste und die Hektik am Flughafen mich die Nerven gekostet hatte. Außerdem war da noch der Abschied von Lily ... das war das Schlimmste von allem gewesen. Es würde ungewohnt sein, wieder ohne sie zu leben.

Lily war in dem vergangenen halben Jahr sowas wie eine Schwester für mich geworden. Wir haben eigentlich so ziemlich alles zusammengemacht. Wir wohnten zusammen, wir gingen in den selben Unterricht, wir hatten die selben Freunde. Doch ich war froh darüber, denn sie hatte mir gut getan. Deutschland hatte mir gut getan.

Ich öffnete wieder die Augen und begegnete den Augen des japanischen Taxifahrers. Kurz lächelte ich und schaute wieder weg. Ich hatte mich eigentlich nicht sonderlich verändert. Okay, meine Haaren waren ein ganzes Stück kürzer, sodass sie nicht mehr so dünn und fein wirkten und ich hatte gelernt, mich besser zu schminken (was nicht hieß, dass ich aussah wie Barbie; Wimperntusche und manchmal Concealer waren das Einzige, was ich benutzte). Sonst war ich eigentlich gleich geblieben, zumindestens was das Äußerliche anging. Ich war nicht, wie es in manchen Hollywood-Film vielleicht der Fall gewesen wäre, plötzlich total dünn und wunderschön - ich war immer noch exakt dieselbe Aria, die ich vor meiner Deutschlandreise gewesen war. Trotzdem hatte ich mich in gewisser Weise verändert - ich habe eingesehen, dass es das Beste war, wenn ich mich einfach akzeptiere. Dass ich gut war, so wie ich eben war und dass das Hungern oder Kotzen nichts half. Ich wusste nun, dass mein Aussehen okay war, dass mein Körper okay war, denn ich war und ich und so hatte Gott mich nun mal erschaffen.

Mir war das erst im Laufe der Monate klar geworden. In Deutschland hatte nämlich keiner solche Kommentare abgegeben, wie Mike es immer  tat. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass dort jeder nett war und ich jeden mochte, denn das stimmte nicht - doch ich habe nie mitbekommen, dass dort irgendwer so gemobbt worden war, wie ... nun ja, ich. Mit der Zeit fühlte ich mich immer besser, denn ich hatte Lily, ich hatte Freunde, ich hatte Leute, die mich mochten und niemanden, der mich hasste. Ich wurde ausgeglichener und entspannter, weshalb ich auch keine einzige Sekunde des vergangenen halben Jahres bereute. Ich wurde glücklicher.

Das Taxi blieb plötzlich stehen und ich warf einen Blick aus dem Fenster. Stau. Na super. Ich schaute auf meine Handyuhr und stellte fest, dass es kurz nach zwei Uhr war. Es war Samstag, also sollte Dad gleich eigentlich von der Arbeit kommen. Seufzend lehnte ich mich in dem Sitz zurück.

Wenn ich sage, dass ich Freunde hatte, dann meinte ich eigentlich nur vier Personen. Lily, Jonas, Candice und ein Mädchen namens Anna. Das hieß nicht, dass ich mich mit den anderen Leuten nicht gut verstand, die meisten waren sehr nett zu mir gewesen, doch diese vier Menschen waren eigentlich die Einzigen, zudem ich tagtäglich Kontakt hatte. Anfangs war die Sprache schon ein ziemliches Problem, doch mit der Zeit wussten wir uns alle zu verständigen. Ich konnte noch immer kein perfektes Deutsch - noch lange nicht - doch ich war gut genug, um mich in Deutschland zurecht zu finden; wofür ich mich aber sehr anstrengen musste.

Our Little SecretWhere stories live. Discover now