86-Aufgeben

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"Ich kann nicht mehr!"

In Strömen fließen die salzigen Tränen über mein Gesicht, tropfen auf meine nackten Beine, die ich an meinen Körper ziehe, umschlinge und mein Kopf auf meine Knie lege, niemanden mein Gesicht, dieses verheulte, rote Gesicht sehen lasse.

Nathan und Ethan sitzen beide hilflos neben mir, sehen sich über mir fragend nach einer Lösung an, was ich nur weiß, da ich sie kenne. Beide haben eine Hand auf meinen Rücken, mit der sie über das Shirt rauf und runter streichen.

"Honor?", kommt es flehend von Ethan, der versucht meinen Kopf anzuheben, indem er seinen Daumen unter mein Kinn schiebt, ich darauf aber sofort stur den Kopf schüttele, noch mehr auf meine Beine presse, die ich zitternd umklammere.

Wenn ich mich an niemanden festhalten kann, muss ich es an mir selbst tun.

"Was ist los?" Dad tritt schnell auf uns zu, kniet sich vor mir hin, wobei er mit einer Hand sanft, liebevoll über meinen Kopf streicht, mit der anderen meine Handgelenke umfasst. All die Besorgnis und Angst um mich, die in den letzten Tagen in ihm wuchs, hört man nun in seiner besorgten, ruhigen, jedoch leidenden Stimme.

All seine Trauer und Angst, die er wegen mir verspürt.

"Ich will hier weg!", erkläre ich ihm unter Schluchzern und scheußlichen Schniefern. "Raus aus Corby."

"Schatz, wir sind gerade erst umgezogen", antwortet er, wobei er versucht meinen Kopf anzuheben, um mir in die Augen zu blicken, durch die ich eigentlich immer, schon als Baby, beruhigt wurde.

Langsam sehe ich auf, will mich selbst beruhigen und blicke, in die mir so bekannten Augen meines Vaters. Aus Liebe zu ihm, da er sich das nicht mit ansehen soll, sehe ich auf, da er mich nicht immer weinen sehen soll, nicht wegen Harry oder jemand anderem.

"Ihr- Du und Mom müsst gar nicht mitkommen", gebe ich zurück, stottere, weil ich nicht ordentlich Luft holen kann. "Aber ich halt es nicht mehr aus."

"Honor, du weißt doch gar nicht, wo du wohnen kannst. Wo willst du hin?"

Dad versucht, dass ich meine Meinung ändere, hierbleibe, das erkenne ich genau, sehe es, wie er mich fragend und verzweifelt ansieht, dabei ein leichtes Lächeln aufsetzt, um sein Flehen hinter den Worten zu verstecken.

"London", krächze ich, kann dies aber nicht weiter erklären.

"London ist doch so weit weg und du wärst ganz alleine. Wo willst du wohnen, wenn du niemanden kennst?"

"Im Studentenwohnheim", kommt es von mir, worauf ich ein paar Tränen von meiner Wange wische.

"Im Studentenwohnheim, also", seufzt Dad, lässt die Schultern sinken. "Du möchtest in London studieren und im Wohnheim wohnen?", fragt er mich, erhält ein kleines Nicken von mir, das in meinen Augen aber nicht so entschlossen rüber kommt.

Es wirkt eher so, als hätte ich all dies innerhalb von wenigen Minuten entschieden, weshalb es ungeordnet, unüberlegt klingt und ich ganz unentschlossen und unüberzeugt bin. Doch wovon ich klar und deutlich überzeugt bin ist, dass ich aus Corby raus muss, wenn ich mir nicht den Rest, meines Leben, ruinieren lassen möchte.

"Ganz alleine?", erkundigt der Mann sich weiter. "Ohne jemanden, den du kennst?"

"Ethan und Nathan kenne ich", bringe ich leise hervor. "Die beiden werden auch da sein."

Tief holt Dad Luft, seufzt, ehe er meine Hände in seine legt, sich vor mir, ganz genau ordentlich hinkniet und dann spricht, ruhig und ernst: "Wenn es das ist, was du möchtest, werden deine Mutter und ich dich unterstützen. Wir werden dir bei allem helfen, wenn du dadurch wieder lachen kannst und glücklich bist."

Little FreaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt