52-Rede nicht so!

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Was hätte ich denn deiner Meinung nach tuen sollen, frage ich Nathan in unserer Gruppe, nachdem er meinte, dass ich gestern falsch gehandelt habe.

Gestern Abend habe ich ihn alles ausführlich erzählt, wie ich Harry am Sonntag angebrüllt habe, er sich quasi entschuldigt hat, wie wir uns jetzt so verstehen und dass er heute die Kinder fotografiert, ich bei ihm war und noch Vieles mehr, da Nathan alle Details haben will.

Ethan, der für zwei weitere Wochen in Deutschland feststeckt, schreibt nicht zurück. Wahrscheinlich versteht er entweder kein Wort oder ist anderweitig beschäftigt. Aber auf jeden Fall nimmt mein blonder Freund das keineswegs gut auf.

Gestern hat Nathan mich um kurz vor elf hysterisch angerufen und gefragt, ob ich weiß, wie lange er nach Deutschland fliegt und wie viel so ein Flugticket kostet. Er hatte es sich einfach in den Kopf gesetzt, seine Tasche zu packen und zu ihm zu fliegen, doch eher aus Verzweiflung und Sehnsucht.

Auch wenn es schwer war und mir die Nerven geraubt hat, die so wieso schon wegen dem heutigen Tag sehr strapaziert waren und sind, habe ich es geschafft, dass er sich beruhigt und scheinbar schlief.

Bis er heute Morgen wieder auf gestern zurückkommen musste.

Du hättest auf jeden Fall nicht fragen sollen, wann er Feierabend hat, schreibt er mir zurück, als ich seufzend die Treppe nach unten gehe. Ich meine, ihr steht da voll klischeemäßig und er küsst dich nicht, lese ich seine zweite Nachricht, wobei ich meinen Mundwinkel verziehe.

Harry und ich sind nur Freunde! Mehr fällt mir dazu nicht ein.

Er kann wirklich nett sein, mich auch zum Lachen bringen, aber da sind keine Gefühle, von denen Nathan seit gestern Abend redet, nachdem ich ihm erzählt habe, was geschehen war, als ich bei Harry im Treppenhaus gefallen bin.

Wieso muss er mich küssen? Das wäre doch vollkommen grotesk. Wir sind Freunde, nicht mehr, nicht weniger.

Schnell schicke ich meine Nachricht ab, bevor ich es in meine Hosentasche stecke, die Küche betrete, wo meine Mutter fröhlich das Frühstück zubereitet, während mein Blick auf die alte Dame bei uns am Küchentisch fällt, die verträumt ihren Kaffee aus der Tasse mit dem Blumenmuster trinkt.

Die lockigen, grauen Haare sind zu einem Dutt gebunden, die braunen Augen hinter einer runden Brille versteckt, durch die sie die Zeitung vor sich liest. Eine dünne, weiße Strickjacke liegt um ihre Schultern und dazu trägt sie ihren ausgedienten roten Rock.

"Morgen", begrüße ich die beiden Frauen in der Küche, nehme mit am Küchentisch Platz, worauf meine Grandma zu mir aufsieht, ich sie frage, was sie hier macht.

"Da denkt man sich einmal, dass man seine Enkelin abholen kann und dann ist man unerwünscht", schnaubt sie belustigt, schüttelt den Kopf.

Ich freue mich, dass sie mich mitnehmen möchte. Früher hat sie dies oft getan, wenn meine Eltern früh arbeiten mussten. Dann bin ich mit der Köchin in den Kindergarten gekommen, worüber ich immer ganz stolz war.

"Das man dich überhaupt noch Auto fahren lässt, Mutter", mischt sich meine Mom schmunzelnd ein, neckt meine Großmutter nur. "Wäre ich bei der Straßenbehörde wäre dein Führerschein nach der Sache in Cardiff verschwunden."

"Sei doch leise", mault meine Grandma, winkt beleidigt ab. "Du solltest nicht so frech zu deiner alten Mutter sein."

"Ich scherze doch nur", beruhigt sie Mom jetzt, doch meine Oma geht nicht drauf ein, kontert: "Außerdem solltest du mit deinen Fahrkünsten lieber ganz schnell leise sein."

Mom schweigt und ich kenne die Geschichte.

Sie ist einmal aus Versehen gegen einen Hydranten gefahren, der dadurch kaputt ging. Die Feuerwehr musste kommen, sowie die Wasserstadtwerke hatten eine anstrengenden Tag. Meiner Mutter ist die Geschichte immer noch peinlich und jedes Mal, wenn es um Fahrkünste geht, packt meine Grandma diese Geschichte aus, seitdem ich fünf bin.

Little FreaksWhere stories live. Discover now