"Setz dich", bringe ich es murmelnd hervor, plumpse eher auf die Couch, anstatt wie geplant, mich langsam und ordentlich zu setzen.

Harry schaut sich im Wohnzimmer um, mustert unsere Vorhänge der Fenster, die in einem angenehmen Weiß strahlen, sieht zu den vielen Bildern an der Wand, den Büchern im Schrank und unserem Kamin. Er betrachtet die Couch, auf der ich sitze, ehe er seufzend den Kopf schüttelt und sich neben mich auf den weichen Stoff sinken lässt, dabei Abstand hält.

Es schmerzt, wenn jemand anders einem nicht mal zu nah kommen möchte.

"Also-" Worüber soll ich mit ihm überhaupt reden?

Gestern? Nein, darüber will ich einfach nicht reden. Das tolle, wunderbar, heiße Wetter, bei dem ein die Lunge austrocknet? Meine Lunge fühlt sich durch die Aufregung sowieso schon trocken an, als könne ich jeden Moment für Sauerstoffmangel umkippen. Soll ich ein Gespräch darüber beginnen, wie komisch, jedoch gut er in seinem Hemd aussieht? Nein!

Ich finde kein Thema mit Harry, bin mir jedoch sicher, dass er mit mir über gar nichts reden möchte. Schließlich bin ich nervig, würde bestimmt tausende Fragen stellen. 'Du machst dich manchmal selber runter', tönt Nathans mahnende Stimme in meinem Kopf, worauf ich ergeben seufze.

Irgendwo hat er ja Recht.

Wieso glaube ich nicht an mich selbst, schenke den Worten anderer mehr Gehör als meinen, mehr Wahrheit?

Vielleicht, weil ich nichts anders kenne, außer diese verletzenden Worte. Nichts anders kenne ich aus meiner Schulzeit, erinnere mich nur an die Tage, an denen ich hektisch durch die Schulflure gelaufen bin, auf der Flucht vor Harry und Louis, die mich trotzdem oft fingen, vor den anderen lachend blamierten.

Nie bekam ich Komplimente, sondern nur fiese Worte.

"Dir steht der Rock!"

Was?

Als hätte er meine Gedanken gehört und wolle mir nun das Gegenteil beweisen, ertönt Harrys leise, raue Stimme in meinen Ohren, bringt mein Herz kurz zum Stillstand, mit seinen Worten, die so plötzlich und unerwartet kommen, dass ich ihn nur mit offenen, fassungslosen Mund ansehen kann.

Wieso sagt er so etwas plötzlich?

"Danke?", antworte ich, mehr als eine Frage. Verlegen kratzt er sich am Hinterkopf, während ich nervös und unwohl an meinen Fingernägeln nippe. "Du siehst ähm... ja, auch nicht schlecht in dem Hemd aus."

Was mache ich hier eigentlich?

Ich setze auf einer Couch, in unserem Wohnzimmer, zusammen mit Harry, der zu den letzten Personen gehört, von denen ich das erwartet hätte, gebe ihm Komplimente, während er mich total überrascht, ich mir unwohl vorkomme. Es wirkt einfach so unreal, obwohl ich weiß, dass es genau anders herum ist.

Er sitzt hier neben mir, atmet dieselbe Luft und sieht wirklich gut aus.

"Danke, dass du Nathan gestern geholfen hast", bedanke ich mich nach einer Weile Stille. "Ich möchte gar nicht daran denken, wie es sonst ausgegangen wäre."

"Anders", gibt er knapp zurück, schaut weiterhin stur auf die an der Wand hängenden Bilder, von mir und meiner Familie, so wie Freunden.

"Ich wollte mich nur bei dir bedanken."

"Ich brauche aber keinen Dank", zischt er. Sofort wird er aufgebrachter, redet nicht mehr so sanft, dass ich seine Stimme wirklich mögen könnte, sondern tief und abweisend. "Das solltest du dir merken."

"Wieso darf man nicht mal mehr Danke sagen?", frage ich. "Du nimmst keine Hilfe an, willst alles alleine machen, und man darf sich auch nicht bei dir bedanken? Kannst du mir erklären, wieso?"

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