Aria schaute mich entgeistert an, als würde mir ein langes Horn aus der Stirn wachsen und meinte: ,,Wenn du wüsstest, was ich eben gedacht habe, dann würdest du selber merken, dass du so schrecklich gar nicht aussehen kannst."

Ich grinste sie an, da sowas aus ihrem Mund echt untypisch war. ,,Ich würde liebend gerne wissen, was du eben gedacht hast."

Aber als Antwort bekam ich nur ein breites Grinsen, was ich so an ihr liebte und mir nichts anderes übrig blieb als zurückzugrinsen, so schwul das auch klingen mag.

Das für mich einst so unscheinbare Mädchen stand nun vor mir in einem roten Kleid, das mich verrückt machte und grinste mich auf eine Art an, bei der ich sie am liebsten über die Schulter schmeißen und in das Bett verfrachten würde.

Sie war mir gleich am ersten Tag in London begegnet, auch wenn es damit anfing, dass sie mir heißen Kaffee über mein helles T-Shirt geschüttet hatte und dann auch noch tatsächlich Minuten lang versucht hatte, es mit einem Taschentuch zu beseitigen und verzweifelt und beschämt an mir herumrubbelte. Und wenn ich ehrlich war, dachte ich mir: Wie hibbelig kann man sein? Ich war erst genervt  und dann amüsiert als ich sah, dass ihre Wangen sich immer und immer dunkler färbten, doch dann machte sie sich vom Acker und zwei Minuten später hatte ich sie vergessen. Sie war damals kein Gesicht für mich gewesen, das man sich merken musste.

Dann fand ich endlich das Haus meiner Mum und Toby, wo sie gerade dabei waren einzuziehen. Als Toby Aria herunterrief, um ihr die frohe Kunde über mein Auftauchen zu überbringen, hielt ich es für einen schlechten Witz als mir gerade das Mädchen begegnete, dessen ich mein T-Shirt-Verlust ich zu verdanken hatte, doch da sich ihre Wangen erneut rot färbten als sie mich sah und erkannte, konnte ich ein belustigtes Grinsen nicht verhindern. Wieso wurde sie denn immer so rot wie eine Tomate, hatte ich mich gefragt.

Naja, und dann war es wohl unausweichlich, dass ich mehr und mehr Zeit mit ihr verbrachte. Ich fand sie nett, sie war freundlich, wenn auch ein bisschen verpeilt und tollpatschig, was mich hier und dann mal grinsend den Kopf schütteln ließ, doch für mich war sie einfach nur durchschnittlich. Keinesweg hässlich, sie war recht hübsch, doch ihre unsichere, nicht ausreichende Ausstrahlung ließ einen über sie hinweg blicken. Anfangs hielt ich sie für verklemmt, für eine Spaßbremse, für ein graues Mäuschen. Kurz gesagt: Sie entsprach keineswegs den Typ Frau auf den ich stand, doch das musste sie ja auch nicht, denn sie war nur zu meiner Quasi-Stiefschwester geworden. Ich musste sie nicht besonders attraktiv oder spaßig finden, ich musste nur mit ihr klarkommen. Und das tat ich.

Aber mit der Zeit erkannte ich, dass sie nicht langweilig war. Sie war nicht wie ich es erwartet hatte. Spätestens als sie an jenem Tag ihren Spind öffnete und lauter Quark herausquoll und alles in ihrer Umgebung versaute, einschließlich sie, wusste ich, dass sie es nicht leicht hatte.
Bis heute weiß ich noch, wie sie da stand, völlig verzweifelt und hilflos, wie sie sich umschaute und all das Gelächter ertragen musste bis sie schließlich mich entdeckte und mich mit diesen tieftraurigen, mit Tränen gefüllten Augen anschaute und sie dann plötzlich geradewegs auf Mike zusteuerte und ihm eine klatschte. Damals dachte ich, dass es sie wohl ziemlich viel Überwindung gekostet haben musste.

Dann kam unser erster Kuss, damals auf Justins Hausparty. Wir hatten Flaschendrehen gespielt und wie klischeehaft es nun mal sein musste, sollte Aria mich küssen oder strippen. Was soll's, hatte ich mir gedacht. Ich habe schon hunderte Mädchen geküsst und bevor sie sich hier blamiert, kann ich ihr auch daraus helfen. Also hatte ich sie geküsst. Es gab da keine tieferen Gefühle oder Hintergründe, wir kannten uns dort höchstens ein paar Wochen.

Aber ich lernte immer mehr über sie kennen, ich lernte sie immer mehr kennen. Ihre düsteren Gedanken, ihre negative Sicht auf sich selber, all ihre Macken, doch auch die tollen Charaktereigenschaften an ihr, wo mir jedoch erst hinterher klar wurde, wie toll ich sie fand.

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