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"Pitaa kannst du mir helfen?" "Schatz, ich muss zum Arbeiten. Frag Maa wenn sie aus dem Bad kommt, ok?" Rahul blickte auf das Übungsblatt seiner Tochter. Seit wann lernten die denn mit 4 Jahren irgendwelche Zahlenkombinationen? "Lernst du rechenen, oder was?" "Ich lerne zahlen, Mensch Pitaa." Seine Tochter verdrehte die Augen. "Sehr gut. Brav. Sei lieb solange ich nicht da bin, ok?" "Versprochen." sie grinste. "Hab dich lieb bis zum Mond." flüsterte er und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Dich auch!" "Ciao Kira!" rief er laut genug, dass sie ihn hörte. "Ciao Mr. Devir!" er hörte ihr Lachen aus dem Bad, dann zog er die Tür hinter sich zu und fuhr zur Arbeit. SIe hatten mittlerweile hier in Dehli ein kleines Büro aufgebaut. Seine Kollegen hatten ihm geholfen. Naja, er hätte es ja schlicht verlangen können, er war schließlich ihr Chef.

Kirana kam aus der Dusche, schob die Toasts in den Toaster und kochte den Kaffee. "Rhuksar! Komm, du bist sonst nicht rechtzeitig da! Gott, wie vor 12 Jahren." rief die junge Frau die Treppe rauf. Ihr nasses schwarzes Haar klebte an ihrem lilanen Sari.  Keine 10 Minuten später schnappte sich Rhuksar, die in Röhrenjeans und schwarzem Shirt die Treppe herunterkam, einen Toast und blickte weit in die Ferne. "Was ist, hm?" "Normalerweise schreibt Krish immer zurück, weißt du...ich weißt nicht ob ich was flasch gemacht hab. Weißt du, er ist nicht wie Rahul." "Ich weiß. Das ist er nicht." Kirana musste sich konzentrieren, aber als sie ihre Schwester beobachtete...dieses abwesende Lächeln. "Er ist aber schon unglaublich lieb, wenn er will. Und er ist so lustig." "Rhuksar..." "Jetzt fang nicht damit an. Du hast dir schließlich auch einen verrückten geangelt." Oh Gott. "Ich muss los! Wenn er anruft schimpf mit ihm, dass er sich nicht meldet! Und sag er soll sich was als Entschuldigung einfallen lassen, der Trottel." "Mach ich." murmelte Kirana, sie hatte gar nicht gesehen, dass Prija neben ihr stand und ihr den Zettel vom Kindergarten hinhielt. "Machen wir gleich. Ich muss schnell Paa schreiben." "Ok."

Rahuls Handy vibrierte. Er legte den Stift zur Seite und sah eine Nachricht seiner Frau. "Wir haben ein großes Problem." Er rieb sich die Augen. "Wann haben wir das nicht. Was ist ?" "Rhuksar hat sich eventuell in deinen Bruder verliebt." "Ich weiß. Lass uns heute Abend darüber reden." Lange kam keine Antwort. "In Ordnung." "Rahul, hast die Statistik schon fertig? Damit ich sie nach New Jersy schicken kann? Die wollen die Dauer des Projekts." "Ja, ich mail sie dir gleich." er sah Jonathan nicht an. "Ist bei euch alles ok? Du hast ja nur Stress zuhause." "Geht. Mein Bruder ist vor ein paar Tagen verstorben." es war wahnsinn wie beiläufig das klang. Jonathan legte sein Headset beiseite. "Oh Gott, das tut mir furchtbar leid. Du bekommst keine Pause oder? Zuerst das mit Sadhia und jetzt...darf ich fragen wie das passiert ist?" "Das Leben testet den einen mehr als den anderen. Er war krank. Und seine Krankheit war zu schwer für ihn." "Mein Beileid, wirklich. Wenn du möchtest kannst du den Nachmittag frei nehmen." "Werde ich auch. Danke. Ich muss einiges erledigen. Du weißt ja wie beschissen indische Beerdigungen sind." "Ja Mann. Es tut mir wirklich leid." Sie schwiegen sehr lange, den Rest des Tages unterhielten sie sich nur über die Arbeit. Rahul wusste wie unangenehm der Tod für außenstehende war. Niemand wusste was das richtige zu sagen war, wie man helfen konnte. Was man tun sollte. Das wusste er mittlerweile. Er wusste, dass der Schmerz ein Teil von ihm bleiben würde. Mit jedem mal ein bisschen mehr. Das war einfach so.

-9 Stunden später-

Rahul schlich sich ins Haus, wenn er ehrlich war wollte er jetzt niemanden sehen. Nicht einmal Kirana. Ihm war etwas eingefallen und vielleicht klammerte er sich nur an die Hoffnung. Vielleicht. Vielleicht hatte Krish immer vorgehabt zu sterben, vielleicht hatte er ihm etwas hinterlassen. Nicht ihm...sondern ein Anzeichen darauf, was er für Rhuksar empfunden hatte. Rahul würde sonst hilflos im offenen Meer rudern, wenn es soweit war. "Bitte komm schon..." flüsterte er. Das Zimmer in dem Krish gewohnt hatte war groß, aber genauso leer war es, er hatte ja kaum etwas von seinem Elternhaus mitgenommen. Ein paar Kleidungsstücke, im Schrank das ganze medizinische Equiptment, im Bad das übliche Zeug. Nichts annähernd persönliches. Es war als hätte hier ein Fremder für zwei Tage gewohnt.

>Bhaiiya, schau was ich für dich gemacht hab!< Dieser Junge, der so viel Freude hatte. Dieser Junge, der lachte, der es geschafft hatte ihn in den härtesten Momenten zurückzuholen. Dieser Junge, der vergeblich auf ihn gewartet hatte. Weil er nicht zurückgekommen war. Heiße Tränen schossen ihm in die Augen. "Scheiße. Krishnan, wieso zum Teufel..." Nicht wieso. Er wusste wieso. "Ich dachte du könntest so stark sein wie ich. Obwohl ich ein verdammter Schwächling bin." Wie würde Rhuksar...wie würde er...um Himmels Willen. Nicht nur, dass Krish tot war...es könnte auch gut sein, dass er ihre Gefühle nie erwidert hatte. Er war nicht bereit für so etwas. Er war nicht bereit so ein verdammtes Gespräch zu führen. Tränen tropften auf seine Jeans, als er sich auf Krishs unberührtes Bett setzte. Seine Fäuste krampften sich zusammen, sein Kiefer verspannte sich. Er stieß die Luft gepresst aus. Der Schmerz war unmenschlich. Wieso war er so massiv? Wo er doch von allen Menschen Verlust begrüßen sollte wie einen alten Freund? Rahul erschrak fürchterlich, als sich die Tür einen Spalt öffnete. Bitte nicht Priya. "Schatz, bitte geh zu Maa wenn du was brauchst. Ich kann jetzt nicht, ehrlich." Ein riesiger Stein fiel ihm vom Herz, als er Kiranas Stimme hörte. Sie kam nicht herein. "Es ist alles gut. Bin nur ich. Brauchst du was? Kann ich dir helfen?" Er schwieg, wusste, dass sie noch da war. Geduldig und mit einer Liebe die er bei Gott nie verdient hatte. "Ich versuche nur...ich suche nach irgendetwas das es mir leichter macht mit unserem kleinen Quälgeist zu reden. Ich brauche noch eine letzte Sache von Krishnan. Den beweiß, dass Rhuksar ihm nicht egal war." "Darf ich dir helfen?" Rahul atmete aus. Seine Frau war unsagbar. Sie fragte nicht ob sie sollte, oder konnte. Sie fragte ihn ob er es ihr erlaubte. Es war immens wichtig für ihn, dass sie ihm den emotionalen Freiraum gab zu entscheiden wer ihn in welchem Zustand sehen durfte. Seine Frau kannte alle seine Seiten. Aber dennoch ließ sie ihm die Wahl. "Ja. Komm rein. Es ist alles gut."

Kirana betrat den Raum, der fast so unbenutzt war wie bei ihrem Einzug vor gut 10 Jahren. Ihr Mann saß auf dem Bett, seine Augen waren tränenunterlaufen und sein Mund zu einem dünnen Strich gepresst. "Weißt du, damals als unsere Mutter gestorben ist, war Rhuksar noch ein Baby. Als unser Vater gestorben ist war sie 10 oder 11. Maas Tod hat sie nicht mitbekommen, Paas Tod hat sie hart getroffen. Aber wir waren da um sie aufzufangen. Ich habe keine Ahnung wie man jemanden fängt wenn der stirbt, dem man sein Herz geschenkt hat." "Ich auch nicht. Ich will nicht, dass sie in ein Loch fällt, verstehst du? Ich habe alle Kraft gebraucht aus meinem herauszuklettern. Und du bist bei mir. Du bist immer bei mir. Hätte ich dich nicht-" Kirana schloss die Arme um Rahul. "Scht. Das wird nie passieren. Andersrum auch nicht. Was suchst du, Dil?" "Ich suche irgendwas, das beiweist, dass Krish sie vielleicht auch geliebt hat. Dann wird es nicht so vernichtend." "Oder vernichtender." "Ich habe keine Ahnung. Sadhi hätte vielleicht gewusst, was ich sagen muss." Kirana schwieg, nickte aber. Ihr Herz war immer noch gebrochen für Sadhis Tod, sie hatten etwas gemeinsam. Endlose Liebe für Rahul. Für die eine war es das größte Glück, für die andere der Tod. Und sie hatte Angst um ihre kleine Schwester. Denn Liebe vernichtete ebenso wie sie erschuf. Das wusste Kirana mittlerweile so gut wie Rahul. "Ok. Ok, komm wir finden was." Sie suchten eine gute dreiviertelstunde das Zimmer schweigend ab. Aber Rahul gab auf, die Wut und die Trauer in Krishs Blick würden für immer in seinem Kopf eingebrannt sein. Er glaubte einfach nicht, dass bei all dem Chaos in ihm Liebe für Rhuksar war. So hart es klang, er glaubte nicht, dass er fähig gewesen wäre Liebe für sie zu fühlen, wo er doch nur Hass ihm gegenüber empfunden hatte. Bis auf ein paar Augenblicke, in dem er Rahul seinen ganzen Schmerz gezeigt hatte. "Lass gut sein, Kira." murmelte er und verlies den Raum.

Seufzend schob Kirana den Schreibtisch wieder an Ort und Stelle. Plötzlich fiel ein Kuvert vor ihr auf den Boden. Es stand nicht Rhuksars Name darauf. Sondern Rahuls.


Tbc.

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