Epilog

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Ein Jahr später

Obwohl es um mich herum unfassbar laut ist, wurde es in mir immer stiller. Ich kam zur Ruhe. Ich erlaubte mir zu atmen, obwohl sich anfangs alles in mir widerstrebte.

Nun stehe ich hier, am anderen Ende der Welt und bin glücklich. Zumindest an den meisten Tagen.

Ich habe gelernt, allein zurechtzukommen. Es ist okay, wenn man niemanden mehr hat, dem man seine dummen Geschichten erzählt. Ich habe mir beigebracht, nicht mehr über Dinge zu weinen, die ich nicht kontrollieren kann.

Auch wenn es mich viel Kraft und Selbstüberzeugung gekostet hat, kann ich nun akzeptieren, dass ich keine Schuld an dem Tod meiner Familie habe. Es war ein schwieriger Prozess, mir einzugestehen, dass dieser Unfall nicht im Bereich meiner Kontrolle lag.

Ich vermisse sie. Doch ich habe akzeptiert, dass ich die Zeit nicht zurückdrehen kann.

Ich richte meinen Blick in den Himmel und strahle mit der warmen Sommersonne um die Wette, weil ich weiß, dass Evan immer bei mir ist und mir zuhört.

Und doch kann ich nicht verhindern, wie mich an manchen Tagen die Panik packt und ich mich frage, ob ich wirklich glücklich bin.

Seit Evan von uns gegangen ist, war das Zuhause, das ich kannte, nicht mehr dasselbe. Ein Jahr ist vergangen und doch ist fast vieles genau so, wie er es zurückgelassen hat.

Nur dass ich jetzt zweiundzwanzig Jahre alt bin und noch immer versuche, mich zu finden. Ich bin noch so, wie er mich zurückgelassen hat und doch bin ich anders. Der einzige Unterschied ist, dass ich nun keine Angst mehr davor habe, meine Gefühle zu zeigen und eigene Entscheidungen zu treffen. Nach dem er gegangen ist, musste ich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich habe durch ihn erkannt, dass das Leben zu kurz ist, um an einem falschen Ort gefangen zu sein.

Trotzdem habe ich jeden Tag an ihn gedacht. Alles war so grau. Das ist es noch immer, auch wenn ich an vielen Tagen schwach ein wenig Farbe durchblitzen sehe.

Evan hat sich nichts Sehnlicheres gewünscht, als dass ich mein Leben in vollen Zügen genieße. Das versuche ich. Doch ich kann spüren, dass mein Herz nicht am richtigen Ort ist.

Manchmal fühlt es sich so an, als hätte er ein großes Stück meines Herzens mit sich genommen. An manchen Tagen vermisse ich ihn so sehr, dass es mir die Tränen in die Augen treibt, während ich mich an anderen Tagen ermutige, weiter nach vorn zu blicken, weil ich weiß, dass er vom Himmel aus auf mich herabschaut.

Wo auch immer er ist, ich hoffe, dass er stolz auf die Person bist, die ich geworden bin.

Immer wieder rede ich mir ein, dass ich nun glücklich bin. Hier, in Seoul, wo alles voller bunter Farben und Lichter ist.

Und obwohl ich viele Tage in diesem Farbenmeer verbracht habe, kann ich nicht verhindern, wie meine Gedanken abschweifen und ich mich nach Hause zurücksehne.

Wenn ich an Raven denke, zieht sich mein Herz noch immer schmerzhaft zusammen. Ich spüre das Gewicht meiner Entscheidung bei jedem Schritt, den ich mich noch mehr von ihm entferne.

Seit ich mich am Flughafen von ihm verabschiedet habe, habe ich mich nicht mehr gemeldet. Kein Anruf. Keine Textnachricht.

Ich habe mich gezwungen, auf keine seiner Nachrichten zu reagieren. Nicht, weil ich es nicht wollte. Ich erinnere mich nicht daran, wie oft ich mich in den Schlaf geweint habe. Ich wollte ihm antworten. Doch meine Vernunft war jedes Mal stärker.

Als ich in das Flugzeug gestiegen bin, habe ich mich dazu entschlossen, all das, was in Nebraska passiert ist, hinter mir zu lassen. Ich wollte Raven nicht mehr beeinflussen.

Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now