Kapitel 48

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,,Seit du fort bist , wartet hinter jeder Tür einsame Stille, nur die Wände flüstern immerzu deinen Namen.''

- Mitternachtsecho


Die Matratze, die mir früher immer so vorkam, als würde ich auf Wolken liegen, stach mir nun wie tausend Nadelstiche schmerzhaft in den Rücken. Doch ich rührte mich nicht. Schmerz zu spüren war etwas Gutes. Es bedeutete, dass ich noch etwas fühlen konnte. Denn manchmal vergaß ich, dass ich noch hier war und sich nichts geändert hatte.

Zwei Wochen, drei Tage und neunzehn Stunden war es her, seit Raven nicht mehr an meiner Seite war. Egal, was ich mir im Vorfeld eingeredet hatte. Ich konnte mich nicht auf diese Leere vorbereiten, die er hinterlassen hatte, als er mich verließ. Obwohl das nicht einmal stimmte. Ich war gegangen, ohne mich nach ihm umzusehen. Vielleicht, weil ich es sonst nicht anders ertragen hätte. Denn wenn ich mich noch einmal zu ihm umgedreht hätte, wäre ich zu ihm zurückgelaufen. Doch das hätte er nicht gewollt. Da war ich mir sicher. Seine hasserfüllten Augen verfolgten mich in meinen Träumen. Vielleicht zwang ich mich deswegen nicht einzuschlafen. Ich konnte die blanke Wut und seine Enttäuschung, die hinter seinen traurigen Augen aufblitzte, nicht ertragen. Also blieb ich wach und starrte in den grauen wolkenbedeckten Himmel und fragte mich, wie viel Schmerz ich noch verdiente, bis ich endlich meine Schuld beglichen hatte. Sogar der Himmel verdammte mich.

Mein Körper fühlte sich an, als würde ein enormer Druck auf ihm ruhen. Wenn ich meine Hand anhob, spürte ich die Schwere meiner Knochen und das Gewicht, das mich zu Boden drückte. Also blieb ich liegen. Ganz still. Und versuchte mir einzureden, dass es irgendwann besser werden würde, obwohl ich mir dieses Mal nicht sicher war, ob ich es wieder schaffen würde, aufzustehen.

Das letzte Mal, als ich an diesem Punkt gewesen war, dass ich mich so schwach und ausgelaugt gefühlt hatte, als würde nur noch ein Fünkchen Leben in mir stecken, war der Moment, als ich erfuhr, dass ich keine Eltern mehr hatte. Ich wollte nie wieder diesen Druck auf mir spüren, der sich in meiner Lunge manifestierte und ich drohte an der Schuld zu ersticken. Und doch war ich wieder genau an diesem Punkt angekommen. Jetzt musste ich mit den Konsequenzen leben, die meine Handlung mit sich zog. Ein Leben ohne den Menschen, der mir in all meiner Dunkelheit Hoffnung geschenkt hatte.

Fast zögerlich berührte ich das kleine Stück Metall, das wie ein Talisman um meinen Hals lag. ,,So hast du immer einen Teil von mir an deiner Seite, egal, wie einsam du dich auch fühlen magst.'' Ich schloss die Augen und hielt den Mondanhänger fest in meiner Hand. Das raue, kalte Metall spießte sich in meine Fingerkuppen, doch ich weigerte mich, es loszulassen. Ich wusste, dass es keine Bedeutung für mich haben würde, wie viel Zeit verging. Ich würde niemals in der Lage sein, Raven zu vergessen. Auch wenn das zwischen uns vorbei war und er nicht zu mir zurückkommen würde. Denn wenn ich ihn aufgab, hatte ich nichts mehr, das mich halten würde, wenn ich fiel. Vielleicht lag genau darin mein Problem. Ich konnte nicht akzeptieren, dass Menschen, die ich liebe, aus meinem Leben verschwanden. Ich war nicht bereit dazu, loszulassen.

Ein leises Schlurfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, ehe Alice ihren Kopf ins Zimmer streckte. Ihr sorgenvoller Blick versetzte mir einen Stich und ich wandte meine Augen wieder zu dem großen Dachfenster über mir. Die Stille umhüllte mich wie ein seidenes Tuch und doch war es zu laut. Die harte Matratze unter mir knarzte, als Alice sich neben mich legte. Ich rutschte ein wenig zur Seite, um ihr mehr Platz zu geben.

Niemand von uns sagte etwas. Schulter an Schulter lagen wir dicht beieinander und schauten in den wolkenbedeckten Himmel. Mit Alice an meiner Seite konnte ich spüren, dass die Leere nicht mehr meinen ganzen Körper einnahm und doch war ich nicht komplett. Aber das war in Ordnung. Sie gab mir schon mehr, als ich bereit war zu nehmen.

Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now