Kapitel 7

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Der Raum war genauso, wie man sich ein Zimmer in einem Studentenwohnheim vorstellte. Er war klassisch zweigeteilt, sodass jeder seine eigene Zimmerhälfte mit jeweils einem Bett, einem kleinen Schrank und einem Schreibtisch zur Verfügung hatte. Das Einzige, das herausstach und dem Zimmer ein besonderes Flair verlieh, waren die großen Fenster. Wir hatten Glück, denn unsere kleine Wohnung war Richtung Süden ausgerichtet, sodass sie die meiste Zeit des Tages mit Licht geflutet wurde.

Meine Taschen glitten langsam von meinen Schultern.

Ich nahm mir die Zeit, um zu den Fenstern zu gehen und meinen Blick Richtung Himmel schweifen zu lassen.

Die Sonne strahlte mir mit ihrer ganzen Kraft entgegen und ich schloss die Augen. Während ich meinem Körper einen Moment Ruhe gönnte, nahm ich einen tiefen Atemzug und befreite mich von dem Druck der letzten Monate.

Ich hatte es geschafft.

Alles, wofür ich die letzten Jahre hart gearbeitet hatte, war die Mühe wert gewesen, denn nun war ich hier.

Es fühlte sich so an, als hätte ich monatelang die Luft angehalten, um in diesem Moment endlich wieder atmen zu können. Ein winziges Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich meine Augen wieder öffnete.

Mit beiden Armen in die Hüfte gestützt, stand die kleine Schwarzhaarige in der Mitte des Raumes und funkelte mich angriffslustig an.

,,So, wenn die Dame dann fertig mit ihren Meditationsübungen ist, könnten wir unsere Zimmeraufteilung besprechen. Ich will schnell auspacken und dann endlich etwas essen gehen. Denn du willst mich nicht erleben, wenn ich richtig hungrig werde. Da hilft ein Snickers auch nicht mehr, das kannst du mir glauben.''

Und wie ich ihr das glaubte. Ehrlich gesagt wollte ich an unserem ersten Tag diese Erfahrung vermeiden und legte beruhigend einen Arm um ihre Schultern.

,,Ganz ruhig Tiger, du bekommst dein Essen schon gleich. Ich habe nämlich auch echt großen Hunger. Lass uns nur noch schnell die wichtigsten Dinge auspacken und dann können wir schon los in die Mensa.''

Nachdem wir uns darauf geeinigt hatten, dass Alice die linke Zimmerhälfte bekam, da sie dort angeblich besseres Karma spürte, waren wir die nächste halbe Stunde mit Auspacken beschäftigt.

Alice redete dabei ununterbrochen. Sie erzählte mir, dass sie eine große Schwester und einen großen Bruder hatte und beide auch auf diese Universität gingen. Zudem hatte ich erfahren, dass sie ursprünglich aus Südkorea stammte, aber ihre Eltern schon vor ihrer Geburt nach Amerika ausgewandert waren. Zum Glück war sie so in ihre Erzählungen vertieft, dass sie mich nicht nach meiner Familie fragte.

Gerade räumte ich meine zwei Lieblingsbücher in den kleinen Beistellschrank, als mein Blick auf die zwei Fotorahmen fiel, die in meiner Tasche lagen. Das eine zeigte mich und meine Familie, wie wir uns lachend am Strand von Florida in den Armen lagen. Mein Blick trübte sich und meine Sicht begann leicht zu verschwimmen.

Nicht weinen. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt.

Das war das erste und letzte Mal, dass wir zusammen am Meer waren. Ich strich leicht mit dem Daumen über die Gesichter meiner Eltern. Ich vermisste sie. An Tagen wie heute fehlten sie mir besonders.

Ich stellte das Bild auf meinen Schreibtisch und betrachtete mit einem traurigen Lächeln die zweite Fotografie. Ein zehnjähriger Evan grinste mir darauf hämisch entgegen, da er mich wenige Momente vor der Aufnahme mit seiner Hand unter Wasser getaucht hatte. Während mein klitschnasses achtjähriges Ich meinen Bruder böse von der Seite anfunkelte, lachte er höhnisch in die Kamera.

Bei diesem Anblick zog sich meine Brust zusammen und ich spürte, wie mich eine neue Welle der Traurigkeit überfiel. Ich entschloss mich dazu, diesen Gefühlen nicht mehr nachzugeben und verdrängte sie in einen Bereich meines Körpers, der keine Schmerzen zuließ.

Someday we'll see each other againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt