Kapitel 4

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Drei Jahre später

Völlig außer Atem, jedoch stolz auf mich und meine physischen Fähigkeiten, stand ich nun vollgepackt vor dem Eingangstor der University of Kearney. Meine dunklen Jeans klebten an meinen Oberschenkeln. Ich war mir sicher, man hätte die Schweißflecken unter meinen Armen sehen können, wenn ich mich heute morgen nicht für ein schwarzes T-Shirt entschieden hätte. Meine leicht gewellten weißblonden Haare, welche mir bis zum Bauchnabel reichten, waren an der Kopfhaut schweißgetränkt. Wenn ich jetzt in einen Spiegel geschaut hätte, hätte ich wahrscheinlich einer Tomate zum Verwechseln ähnlich gesehen – was nebenbei gesagt bestimmt hundertprozentig der Fall war.

Erschöpft ließ ich mein Gepäck achtlos neben mich fallen und begutachtete das vor mir liegende Gebäude.  Das war er also: mein Neuanfang und meine Zukunft mitten im Nirgendwo von Nebraska. Nach meinen guten Abschlussergebnissen hatte ich zwar viele Zusagen von verschiedenen Universitäten erhalten, doch irgendwas hatte mich hierher gezogen. Ich wusste nicht genau, warum ich das Gefühl verspürte, an diesen Ort zu müssen, aber es kam mir lange nichts mehr so richtig vor.

Noch immer nach Luft schnappend starrte ich auf den großen Backsteinkomplex, wo ich von nun an die nächsten drei Jahre leben sollte. Um mich herum herrschte ein wildes Treiben, zahlreiche Studenten tummelten sich auf dem Campusgelände. Schnell erkannte ich, wer bereits länger studierte und wer, wie ich, neu hier war. Die meisten Anwärter wurden von ihren Eltern begleitet, wobei einige mehr oder weniger über diese Tatsache begeistert schienen.

Gerade beobachtete ich ein Mädchen, welches sich dem Anschein nach möglichst schnell von ihren Eltern verabschieden wollte. Ihre Mutter schien diese Tatsache gekonnt zu ignorieren, da sie in dem Moment, als sich das Mädchen umdrehte, diese in eine weitere tränenreiche Umarmung zog.

Bei diesem Anblick zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Denn während das braunhaarige Mädchen verzweifelt versuchte, sich aus der Umarmung zu befreien, um der Peinlichkeit der Situation zu entfliehen, würde ich alles für solch eine Berührung meiner Mutter geben. Ich würde ihr mit Tränen in den Augen und einem breiten Lächeln in die Arme springen und meinem Vater einen tröstenden Blick zuwerfen, der ihm signalisieren würde, dass es mir in Zukunft gut gehen würde. Wenn ich anstelle der Braunhaarigen gewesen wäre, dann hätte ich ihnen gesagt, dass ich sie vermissen würde und so oft es ginge nach Hause käme.

Doch leider konnte ich das nicht, da meine Eltern tot waren.

Nach einem letzten Blick wandte ich mich schließlich ab und begutachtete mein Gepäck.

Für Außenstehende musste ich ein ganz fantastisches Bild abgegeben haben, da ich mit meinem eher schmalen Körperbau und meiner mickrigen Körpergröße eindeutig im Nachteil war, um drei Reisetaschen und einen viel zu großen Campingrucksack zu schleppen. 

Jedoch musste ich zugeben, dass es meine eigene Entscheidung war, alleine hierher zu kommen.

Mein Großvater hatte mir zwar angeboten, mich zu fahren, doch ich wusste, dass er und meine Großmutter wichtigere Verpflichtungen hatten, um die es sich zu kümmern galt.

Denn der Zustand meines Bruders war auch nach drei Jahren noch unverändert. Aber seit einigen Tagen ging es ihm plötzlich immer schlechter, sodass meine Großeltern für weitere Rücksprachen mit den Ärzten immer abrufbar sein mussten. Deswegen wollte ich auch bei Evan bleiben, doch meine Großeltern sagten, ich sollte gehen und die Universität kennenlernen. Falls es irgendwelche Neuigkeiten gab, würden sie mich sofort informieren. Meine Gedanken waren immer bei ihm und ich hoffte jeden Tag, dass sein Zustand sich positiv veränderte, doch bis jetzt wurde ich immer enttäuscht.

Nach dem Tod meiner Eltern hatten meine Großeltern die Verantwortung für Evan und mich übernommen und sich sorgenvoll um uns gekümmert. Ohne ihre Unterstützung hätte ich heute nicht hier stehen können, das wusste ich. Nach dem Unfall war für mich eine Welt zerbrochen, doch meine Großeltern hatten mir in den letzten drei Jahren Kraft und Stabilität geschenkt, wofür ich unglaublich dankbar war.

Die Hupe eines Autos riss mich aus meinen Gedanken, da ich wohl mein Gepäck mitten auf der Straße fallen gelassen hatte. Ups! Genervt betrachtete ich den Fahrer des PKWs, der mir mit einer Handbewegung zu verstehen gab, dass ich meine Sachen von der Straße räumen sollte.

Schlepp du mal alleine drei Reisetaschen den Berg hier hoch und versuch nicht zu sterben, du Affe, regte ich mich in Gedanken auf.

Gezwungenermaßen richtete ich meinen Blick auf die Gegenstände neben mir und schulterte kraftlos die erste Tasche. Das wird morgen mit Sicherheit Muskelkater geben – juhu. Ich hatte nichts gegen Sport, denn ich lief für mein Leben gerne, aber beim Kraftsport hörte der Spaß auf. Obwohl mein Name, die Kräftige oder die Starke bedeutete, hatte ich davon wohl wenig abbekommen - was für eine Ironie.

Voll bepackt humpelte ich von der Straße und taumelte in Richtung Campus, wo sich eine große Anzahl von Studenten um die Stände der verschiedenen Studiengänge versammelte. Als ich näher kam, bemerkte ich, dass mich gefühlt die Hälfte der Menschen anstarrten. Mein Plan, mich so unauffällig wie möglich zu verhalten, scheiterte vermutlich in dem Moment, als ich mich entschied, die dritte Reisetasche zu packen. Jap, eindeutig.

Klasse Einstieg Aza, du bist gerade mal zehn Minuten hier und schon Mittelpunkt der Gespräche. Es kann nicht viel schlimmer werden.

Wenn ich mich da mal nicht gewaltig getäuscht hatte.

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Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now