Kapitel 10

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,,Life is about finding a soul

In all places

You never thought

You would.''

- Robert M. Drake


Nach einer schlaflosen Nacht, in der ich verzweifelt versucht hatte, das Verhalten des Fremden zu verstehen, aber schlussendlich zu keinem Ergebnis gekommen war, schleppte ich mich von einer Veranstaltung in die nächste. Zumindest Dienstag vormittags schien das Glück auf meiner Seite zu sein, denn ich begegnete weder Jace noch dem Unbekannten.

Nur Carter war in fast allen meinen Kursen anwesend, was mir eher ungewöhnlich vorkam, als dass es ein Zufall hätte sein können. Er musste doch schon mindestens zwei Semester über mir sein. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, weshalb er mich immer beobachtete. Das Komische war, dass er nicht zufällig zu mir schaute, sondern mich direkt fokussierte.

Sein Verhalten war mir seltsamerweise nicht unangenehm, aber dennoch wunderte es mich, dass er bis jetzt keine Anstalten gemacht hatte, mit mir zu sprechen. Schließlich war nichts dabei, wenn sich zwei Kommilitonen austauschten. Vielleicht war er genau so seltsam wie ich.

Carter konnte man mit seinen kantigen Gesichtszügen und seinem gepflegten Dreitagebart, der ihn älter und reifer aussehen ließ, zwar als attraktiv bezeichnen, doch ich hatte absolut kein Interesse an ihm. Zwischen uns existierte zwar keine Anziehungskraft im romantischen Sinn, doch irgendwie spürte ich eine Art Verbindung zu ihm. Ich wusste, das klang verrückt, doch er gab mir ein Gefühl von Schutz und das, obwohl wir nicht mal miteinander gesprochen hatten.

Ich fragte mich ernsthaft, was das alles zu bedeuten hatte. Doch mit meinen eigenen Gedanken würde ich nicht weiterkommen als bisher. Da ich weder wusste, warum Carter sich auf diese Weise verhielt, wer der Unbekannte aus dem Ethikkurs war, noch warum Jace urplötzlich von ihm abließ, als er ihn erkannt hatte, musste ich mir dringend Informationen beschaffen.

Und ich wusste auch schon, wo.

***

Mit einem vollbeladenen Tablett steuerte ich zielstrebig auf meine Informationsquelle zu. Alice saß an einem kleinen Tisch am Fenster, von wo aus man die gesamte Mensa im Blick hatte. Natürlich musste unsere kleine Tratschqueen ausgerechnet diesen Platz besetzen, aber mir war es nur recht, da ich nun einige Antworten auf meine Fragen bekommen würde. Denn Alice kannte entweder den Namen oder sie würde ihn schnellstmöglich beschaffen.

Sie stopfte sich gerade einen großen Löffel Nudeln in ihren kleinen Mund, als sie mich bemerkte. Wild mit den Armen wedelnd winkte sie mich zu sich heran und gab mir zu verstehen, dass ich mich setzen sollte. Während sie krampfhaft versuchte, gleichzeitig zu sprechen und zu kauen, zeigte mir ihr vorwurfsvoller Blick, dass sie bereits von den gestrigen Ereignissen gehört hatte.

Natürlich wusste sie davon – es hätte mich auch gewundert.

,,Aza Davis, hast du eigentlich eine Ahnung, wer dir gestern geholfen hat?'', schrie sie mich mit weit aufgerissenen Augen an. Die Empörung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Ich bedeckte schnell mit meiner Hand ihren Mund, um die anderen nicht auf unser Gespräch aufmerksam zu machen.

,,Psch! Rede bitte etwas leiser oder willst du, dass die ganze Universität von diesem kleinen Zwischenfall erfährt? Und um zu deiner Frage zurückzukommen, nein, ich weiß nicht, wer er ist. Ich wollte dir gerade alles erzählen, damit du mir helfen kannst, etwas über ihn herauszufinden.''

Someday we'll see each other againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt