Kapitel 13

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,,Sometimes you think you want to disappear but all you really want is to be found.''

Gefangen in der Dunkelheit fragte ich mich, wie lange ich dieses Mal hier sein würde. Das letzte Mal, als ich eine dieser Panikattacken hatte, musste ich zwei Tage im Krankenhaus bleiben. Bestimmte Situationen oder Gefühle, die mich an den Unfall erinnerten, wirkten bei mir wie ein Trigger, sodass ich meinen Panikattacken unkontrolliert ausgeliefert war. Schon kleine Dinge wie der Geruch von Rauch oder die Bilder eines Autounfalls, wenn diese in den Nachrichten gezeigt wurden, konnten für mich zum Verhängnis werden.

Das Schlimme an der ganzen Geschichte waren nicht mal die unkontrollierbaren Panikattacken, sondern die Ohnmacht, in welche ich verfiel.

Die Ärzte sagten, dass ich an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. In Situationen, in denen ich keinen Ausweg sah, passierte es manchmal, dass ich die Kontrolle über meinen Körper verlor und in Ohnmacht fiel.

Das ist auch der Grund, weshalb ich immer und immer wieder in meine persönliche Hölle zurückkehrte und die Ereignisse durchlebte. Dieses Mal war es allerdings anders. Ich war völlig unvorbereitet gewesen, als mich diese grünen Augen trafen, da ich nicht damit gerechnet hatte, sie jemals wieder zu sehen.

Um möglichen Triggern von vornherein zu entgehen, hatten mir die Ärzte auch geraten, größere Menschenansammlungen zu meiden. Am Anfang wollte ich selbst nichts mehr als diesen Rat zu befolgen und so kapselte ich mich komplett von der Welt ab. Doch mit der Zeit erdrückte mich diese ewige Stille, da es mich umso mehr daran erinnerte, dass meine Familie nicht mehr da war. Und so verbrachte ich meine Tage damit, die Stille in meinem Kopf mit allen möglichen Geräuschen und Eindrücken zu übertönen. Mich zog es an Plätzen mit vielen Menschen. Ich setzte mich allein in Cafés und mischte mich während der Hauptbetriebszeiten unter die Leute. Ich fing an Klavier zu spielen, ging auf Konzerte oder lauschte Gesprächen von wildfremden Menschen. Ich tat alles, um mich von dem Gedanken abzulenken, dass ich in Zukunft so viele Stimmen hören würde, nur nicht die von meinen Eltern oder meinem Bruder.

Das war der Grund, warum ich immer in Bewegung war. Ich rannte und suchte verzweifelt nach etwas, das mich von dem Schmerz, der Schuld und der Stille in mir ablenken würde. Ich irrte schon so lange umher, ohne Ziel und Hoffnung. Wo war mein Licht, mein Nordstern, der mich nach Hause leiten würde, wenn ich mich wieder einmal selbst verloren hatte und drohte an meinen eigenen Schuldgefühlen zu ersticken?

Ich dachte immer, dass ich verschwinden wollte, weg von diesem Ort und den Personen, die mich daran erinnerten, was mir genommen wurde. Doch das, was ich wirklich wollte, war gefunden zu werden.

***

Die Dunkelheit verschwand langsam und ein grelles Licht stach mir in die Augen. Wie durch Watte hörte ich einzelne Geräusche und zwei Stimmen, die miteinander stritten. Eine davon war männlich und die andere weiblich. Sie schienen noch nicht bemerkt zu haben, dass ich langsam zu mir kam. Ich schaute mich verwirrt im Raum um. Ein Déjà-vu Gefühl machte sich in mir breit, als ich die weißen Wände des Krankenhauszimmers betrachtete. Ich wusste nicht, wie spät es war oder welchen Tag wir hatten.

Die Stimmen wurden immer energischer und lauter.

,,Es ist verdammt nochmal deine Schuld, dass sie hier liegt. Was hast du mit ihr gemacht, dass sie so ist?'', schrie die hohe weibliche Stimme aufgebracht.

,,Du verstehst davon nichts, Alice. Misch dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen'', erwiderte die tiefe männliche Stimme mit einem kalten Unterton.

Warum waren sie nur so laut?

,,Ich soll mich also nicht einmischen?! Sag mal, spinnst du eigentlich? Wenn sich einer nicht einmischen soll, dann bist du das. Du hast nichts mit ihr zu tun, also hau ab, du bist hier nicht erwünscht. Lass sie einfach in Ruhe. Du bist nicht gut für sie und sie hat schon ohne dich genug Probleme.''

,,Ich werde sie nicht verlassen. Nicht noch einmal. Egal, was du sagst, ich werde hier warten, bis sie aufwacht. Aber es stimmt, was du sagst. Ich bin nicht gut für sie. In Zukunft werde ich mich von ihr fernhalten. Es war ein Fehler von mir zu denken, dass sie schon bereit dazu wäre.''

Nicht noch einmal? Was meinte er damit? Was für ein Fehler?

Mein Kopf dröhnte wie verrückt. Es war schon wieder alles zu viel.

Als der Monitor neben mir anfing zu piepen, verstummten die Stimmen automatisch.

Kurze Zeit später erschienen zwei Gestalten vor meinem Sichtfeld und schauten mir angstvoll entgegen.

Alice traten Tränen in die Augen, als sie sah, dass ich aufgewacht war und es mir dem Anschein nach gut ging.

Sie war sofort an meiner Seite und strich mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht.

,,Da bist du ja wieder. Ich habe mir so Sorgen um dich gemacht. Wie geht's dir? Alles gut? Kann ich dir irgendwas bringen? Soll ich die Schwestern rufen?''

Alice war wieder in ihrem Element, doch ich schüttelte nur zaghaft den Kopf. Ich wollte mich den Ärzten noch nicht stellen.

Als etwas Raues meine linke Hand berührte, huschte mein Blick nach links. Meine Augen weiteten sich, als ich sah, wer da gerade meine Hand hielt und mich mit angestrengter Miene musterte. Sein Daumen strich über meinen Handrücken und verursachte damit eine Gänsehaut auf meiner Haut. Ich starrte ihn noch immer ungläubig in seine hell leuchtenden, smaragdgrünen Augen, die mich mit einem Ausdruck von Sorge fixiert hielten. Für einen kurzen Moment verlor ich mich in ihnen, doch ich wandte schnell den Blick ab.

Meine Freundin neben mir versteifte sich, als sie die Szene beobachtete. Tonlos stieß sie hervor:

,,Raven, es wäre vielleicht besser, wenn du jetzt gehen würdest. Ich kümmere mich um sie. Du hast nun alles, was du wolltest. Ihr geht es gut, also kannst du jetzt verschwinden, so wie wir es abgemacht haben.''

Ich richtete meinen Blick wieder auf Raven. Sein Kiefer war angespannt und seine Wangenknochen stachen deutlich hervor, während er Alice einen kalten und wütenden Blick zuwarf. Die Atmosphäre im Raum wurde mit jeder Sekunde zunehmend kühler.

Ruckartig erhob er sich und wollte sich gerade von uns wegdrehen, als ich seinen Unterarm zu fassen bekam.

Sein wutverzerrtes Gesicht veränderte sich schlagartig, als er meinen flehenden Blick bemerkte.

Ein leises ,,Danke'' kam über meine ausgetrockneten Lippen. Ich wollte so viel mehr zu ihm sagen, doch ich wusste, dass es nicht der richtige Moment war. Zudem musste ich erst meine Gedanken ordnen, bevor ich ihm erneut entgegentreten konnte. So viel Unausgesprochenes lag in diesem Augenblick zwischen uns. Doch ich spürte, dass da etwas zwischen uns war, das uns zusammenhielt.

Für einen kurzen Moment legte er seine kühle Maske ab und schenkte mir einen sehnsuchtsvollen Blick. Mit seinem Handrücken strich er mir sanft über die Wange und wischte eine Träne weg, die sich aus meinen Augen gelöst haben musste.

Nachdem er mich mit einem letzten traurigen Blick bedacht hatte, setzte er seine ausdruckslose Fassade wieder auf und verließ fluchtartig das Zimmer.

Als er die Tür geschlossen hatte, bildete ich mir ein, ihn laut fluchen gehört zu haben, aber ich wusste nicht, ob das nicht vielmehr meine Einbildung war, da ich im nächsten Moment in einen unruhigen Schlaf fiel.

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Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now