Kapitel 5

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Die Blicke der Umherstehenden ignorierend hielt ich Ausschau nach dem Stand meiner Studienfachrichtung. Als ich ihn nach einer längeren Suche endlich entdeckte, beschleunigte ich meine Schritte, um meinem Körper die dringend benötigte Pause zu gönnen. Am Ziel angekommen, ließ ich meine Taschen achtlos fallen und steuerte auf die verantwortlichen Studenten zu.

,,Hallo, mein Name ist Aza Davis und ich wollte mich gerne anmelden.''

Mein Gegenüber suchte mit zusammengezogenen Augenbrauen konzentriert meinen Namen auf der Liste für Studienanfänger und lächelte mir entgegen, als er ihn schließlich entdeckte.

,,Herzlich Willkommen an der University of Kearney. Deinen Semesterplan bekommst du in den nächsten Tagen zugeschickt und die Kurswahl für die Wahlpflichtfächer beginnt diese Woche, doch dazu wirst du nochmal genaue Infos erhalten. Deine Zimmernummer ist die 204 und du wirst dir das Zimmer mit einer gewissen Alice Spencer teilen. Die Wohnhäuser befinden sich im östlichen Teil des Campus', während die Seminare und Vorlesungen für Geschichte, Erziehungswissenschaften, Medizin und Sport im westlichen Sektor stattfinden. Hier hast du noch einen Lageplan.''

Kopfnickend nahm ich den Zimmerschlüssel und den Plan entgegen und betrachtete die Karte eingehend.

An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich den Orientierungssinn einer Kartoffel hatte. Ich besaß ein ausgeprägtes Talent dafür, mich an den simpelsten Orten zu verlaufen und dabei völlig die Orientierung zu verlieren.

Wenn ich mich als Kind verirrt hatte, blieb ich einfach an der Stelle stehen, wo ich war, weil ich wusste, dass mein Bruder mich finden würde, denn das tat er immer. Doch nun war ich weder ein Kind, noch war mein Bruder an meiner Seite. Ich war allein und auf mich gestellt.

Zweifelnd wandte ich meinen Blick von dem Papier zu dem Betreuer. Er musste mir meine Hilflosigkeit angesehen haben, denn er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Anschließend markierte er mir unseren derzeitigen Standort und zeichnete mir den Weg zum Wohnheim detailliert auf.

,,Falls du noch irgendwelche Fragen hast, kannst du dich immer an den Studienrat oder ältere Studenten wenden. Ich wünsche dir einen guten Start.''

Mit einem leisen Danke verabschiedete ich mich und lief zu meinem Gepäck. Die Sonne brannte auf meiner Haut und ich war froh, als ich sah, dass der Himmel sich zunehmend mit Wolken bedeckte.

Als ich meinen Blick wieder auf die Taschen vor mir richtete, stöhnte ich entnervt auf. Ich hoffe dieses Wohnheim hat einen Fahrstuhl, sonst kann ich für nichts garantieren, betete ich in Gedanken.

Plötzlich überkam mich das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Meine Augen suchten die Umgebung ab, aber ich konnte nichts Auffälliges entdecken. Nur eine kleine Gruppe von Kommilitonen spähte in meine Richtung, jedoch kam es mir nicht so vor, als ob sie dieses Gefühl in mir ausgelöst hatten.

Schulterzuckend wollte ich mich gerade abwenden, als ein Raunen durch die Menge ging. Wie in einem schlechten Highschool-Film fingen die Mädchen um mich herum an zu kichern und steckten die Köpfe zusammen. Ihre Blicke waren auf jemanden hinter mir gerichtet. Stirnrunzelnd beobachtete ich, wie die Augen der Mädchen groß wurden und sie fast schon anfingen zu sabbern.

Langsam drehte auch ich mich zum Objekt der Begierde um und musste mir ein Lächeln verkneifen.

Ein Sonnyboy, wie er im Buche stand, mit sandblonden kurzen Haaren und meerblauen Augen, kam mit einem breiten Zahnpastalächeln in unsere Richtung. In den Augen der anderen Mädchen musste er der absolute Traumtyp sein, denn er war groß und muskulös und schien nur vor Selbstbewusstsein zu strotzen.

Das war der Moment, der mich schlagartig alles vergessen ließ. Wie in Zeitluppe beobachtete ich, wie Dreamy auf mich zu kam. Doch es war nicht sein Gesicht, das ich vor mir sah, sondern das meines Bruders. Mein Herz zog sich bei seinem Anblick schmerzhaft zusammen. Ich wollte zu ihm gehen, ihn berühren und ihm sagen, wie sehr er mir fehlte. Doch obwohl ich wusste, dass er nicht Evan war, bildete ich mir für einen Sekundenbruchteil ein, dass er es wäre. Und dieser winzige Augenblick riss mir den Boden unter den Füßen weg.

Someday we'll see each other againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt