Kapitel 16

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Die Sonne strahlte mir ins Gesicht. Ich schirmte meine Augen mit meiner Hand vor der Sonne ab und blickte mich um. Ich saß auf einer Bank und wartete darauf, dass mein großer Bruder mich finden würde. Meine Beine schwangen fröhlich umher. Vor mir lag ein kleiner Teich, die Wasseroberfläche glitzerte in einem kräftigen Blau. Ich war schon einmal hier gewesen, doch ich erinnerte mich nicht, wie ich nach Hause zurückkommen sollte. Das war mein Problem, ich lief einfach los, ohne mir zu merken, in welche Richtung ich gegangen war. Mein Bruder sagte immer, ich wäre kopflos, aber das stimmte nicht. Ich war vielmehr orientierungslos.

Ich schloss meine Augen und holte tief Luft. Es roch nach Frühling. Schnelle Schritte holten mich aus meinem Tagtraum und ich öffnete langsam meine Augen. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während ich den Jungen vor mir betrachtete. Er hatte mich gefunden, das tat er immer. Ich weiß nicht, wie er das immer machte, doch egal, wo ich mich verloren hatte, er war jedes Mal da, um mich nach Hause zu bringen. Mit einem tiefen Seufzen setzte sich Evan neben mich und strich mir liebevoll über die Haare. ,,Da bist du ja'', flüsterte er mir zu. ,,Ich wusste, dass du kommen würdest'', antwortete ich mit einem Lächeln. ,,Wahrscheinlich ist das deine Superkraft. Solange ich dich habe, werde ich immer nach Hause finden.'' Seine Miene hellte sich schlagartig auf und er erhob sich von seinem Platz. Er streckte seine Hand nach mir aus. ,,Du darfst nie vergessen, egal wie weit du läufst und wie sehr du dich auch verlieren magst, ich werde dich finden und nach Hause bringen. Du bist niemals verloren, solange du ein Zuhause hast, an das du zurückkehren kannst.'' Ich nickte und nahm seine Hand.

Ich schlug die Augen auf und starrte an die weiße Decke. Das Zimmer war hell erleuchtet, einzelne Sonnenstrahlen warfen Schatten an die Wand. Erschöpft rieb ich mir die Augen, als ich merkte, dass meine Wangen feucht waren. Ich hatte im Traum geweint, schon wieder.

Es war wieder Montag. Heute in einer Woche hatte ich Geburtstag, doch den hatte ich schon seit drei Jahren nicht mehr gefeiert. Für mich war es nicht mehr der Tag, an dem ich geboren wurde, sondern der, an dem ich und meine Familie gestorben waren. Dass ausgerechnet ich überlebt hatte, fühlte sich wie ein böser Albtraum an. Umso näher der Tag rückte, umso stärker wurde der Schmerz. Die Schuldgefühle, die mich wie eine Lawine überrollten, drohten mich zu ersticken. Erneut schloss ich meine Augen. Ich hatte diese Gefühle verdient, denn ich war schuld an ihrem Tod.

Ich griff nach meinem Handy, um zu überprüfen, ob mir Alice eine Nachricht hinterlassen hatte, da ich sie nirgendwo entdeckte. Tatsächlich hatte sie mir einen guten Tag gewünscht und versprochen, dass wir am Abend etwas essen gehen würden. Das kleine Lächeln verschwand augenblicklich, als ich eine Nachricht von meiner Großmutter entdeckte. Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Hallo Aza. Ruf mich bitte schnellstmöglich zurück, wenn du diese Nachricht liest. Es geht um Evan.

Mein Sichtfeld verschwamm, als neue Tränen meine Augen verließen. Meine Gedanken rasten.

Es muss ihm gut gehen, ohne ihn schaffe ich das nicht. Er kann mich nicht auch noch verlassen. Das kann er nicht, das hatte er mir versprochen.

Meine Hand zitterte, als ich die Nummer meiner Großmutter wählte. Meine Atmung ging hektisch, das Herz schlug wie wild gegen meine Brust, während das dumpfe Gefühl der Angst durch meine Adern kroch.

Nach wenigen Sekunden meldete sich eine brüchige Stimme. ,,Aza, mein Kind. Es ist gut, dass du anrufst.'' Sie machte eine kurze Pause und ich hörte, wie sie tief Luft holte. Die nächsten Worte auszusprechen, schien sie sehr viel Kraft zu kosten.

,,Es geht um Evan. Sein Zustand hat sich in den letzten Tagen drastisch verschlechtert. Er hatte mehrere Anfälle. Die Ärzte wissen nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt.''

Someday we'll see each other againNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ