Kapitel 11

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Langsam öffnete ich meine Augen und starrte mit leerem Blick an die weiße Zimmerdecke.

Es war wieder einer dieser Tage, an denen es mir schwerfiel zu atmen.

Ein massiver Druck legte sich auf meine Brust, der mich immer weiter in die harte Matratze meines Bettes presste. Meine Arme und Beine fühlten sich an wie Beton und so hielt ich ganz still. Eine Leere, die ich schon beinahe verdrängt hatte, breitete sich in mir aus und ich merkte, wie mich die Erschöpfung übermannte.

Das Einzige, was ich in diesem Moment wollte, war hier liegen zu bleiben. Ich wollte nicht in den überfüllten Vorlesungsraum und die belanglosen Gespräche meiner Mitstudenten mitanhören. Es war zu viel, zu voll, zu laut, als dass ich es heute ertragen könnte.

Trotzdem rappelte ich mich mühselig auf und ging ins Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass auch keine Schminke dieses Debakel überdecken konnte. Traurige, trostlose Augen sahen mich verzweifelt an und flehten mich an, sie nicht hinaus in ihre persönliche Hölle zu schicken. Das schwache Leuchten war nun endgültig erloschen, sodass nur ein leerer Blick zurückblieb.

Seufzend spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht in der Hoffnung, dass dieses verdammte Taubheitsgefühl endlich nachlassen würde.

Meine Hände zitterten unkontrolliert, als ich mir durch die strähnigen Haare strich. Ich wollte dieses Mädchen nicht länger anschauen, da es mich daran erinnerte, wie schwach ich eigentlich war. Nur ein winziger Hauch konnte mein Kartenhaus zum Einsturz bringen und so stand ich da nackt und ohne Schutz.

Vorsichtig streckte ich eine Hand nach dem hilflosen Mädchen im Spiegel aus und versuchte ihr Mut zu zusprechen.

Alles wird gut. Du bist okay.

Doch als ich das kalte Glas berührte, zuckte ich erschrocken zurück und ließ die Hand sinken. Unwillkürlich schoss mein Blick auf meinen linken Unterarm, an dem ich mir vor einem Jahr die Worte ,,I'll be okay'' tätowieren ließ. Wie ein inneres Mantra wiederholte ich diese Wörter in meinen Gedanken, während ich mich auf den Weg in Richtung des Vorlesungsraumes aufmachte.

Heute war Montag, doch ich war zu erschöpft, um mir Gedanken darüber zu machen, was das bedeutete. Eine Minute vor Beginn der Geschichtsvorlesung betrat ich mit gesenktem Kopf den Raum. Ohne mich nach jemandem umzusehen, lief ich zum hintersten Platz an der Wand und hoffte, dass sich niemand zu mir setzen würde, denn dafür hatte ich heute keine Kraft.

Energielos legte ich meinen Kopf auf meine Hände und schloss kurz die Augen. Während in mir drinnen eine Totenstille herrschte, prasselte die Lautstärke der Außenwelt förmlich auf mich ein. Durch die immense Geräuschkulisse verstärkte sich das Gefühl der Leere und Rastlosigkeit.

Es ist zu viel, zu voll, zu laut.

Besonders diese endlose Rastlosigkeit nagte in den letzten Tagen an meiner Seele. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich immer auf der Suche nach etwas, ohne zu wissen, wonach und ich irrte pausenlos, ohne festen Platz, umher, aber egal, wo ich war und egal, wie weit ich rannte, ich kam dort nicht an.

Vielleicht lag das auch daran, dass ich an den falschen Orten gesucht hatte und dieses etwas nicht finden konnte. Schon vor dem Unfall hatte mich diese Sehnsucht begleitet, doch es wurde schlimmer, als ich mein Zuhause verlor. Seitdem wanderte ich rastlos und heimatlos umher, nur um jemanden zu finden, der mir das Gefühl gab, wieder ganz zu sein.

Nach dem Tod meiner Eltern und dem Verlust meines Bruders fühlte es sich so an, als wäre ich nur noch eine Silhouette meiner selbst. Es gab da diesen einen Moment im Krankenhaus, als all die Schuldgefühle und all der Schmerz zu groß wurden, als dass ich sie hätte ertragen können und so verbannte ich sie in den hintersten Teil meines Bewusstseins.

Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now