Kapitel 9

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Der schrille Ton meines Weckers riss mich unsanft aus einem unruhigen Schlaf. Stöhnend schaltete ich ihn aus und lief schlaftrunken mit halbgeöffneten Augen Richtung Bad. Es sollte verboten werden, so früh aufstehen zu müssen, besonders dann, wenn die Sonne noch nicht mal aufgegangen war. Ganz ehrlich, welcher normale Kurs fing 7:30 Uhr an? Da ich aber niemand war, der seine Kurse schwänzen würde, schon gar nicht mein Hauptfach, blieb mir nichts anderes übrig, als mich fertig zu machen.

Als ich meinen Blick auf den Spiegel richtete, erstarrte ich kurz. Mein Spiegelbild sagte mir eindeutig, dass es zu früh am Morgen war. Meine Augen waren zu kleinen Schlitzen verzogen. Mit meinen dunklen Augenringen machte ich den Mondkratern bestimmt Konkurrenz und von meinen Haaren wollte ich erst gar nicht anfangen.

Das könnte länger dauern als gedacht.

Nachdem ich mich geduscht und geschminkt hatte, sah ich mich halbwegs zufrieden im Spiegel an. Meine weißblonden Haare, die in leichten Wellen bis zu meinem Bauchnabel reichten, trug ich offen. Das rundliche Gesicht mit den hohen Wangenknochen, der geraden Nase, den schmalen Lippen und den meeresblauen gelb gesprenkelten Iriden schaute mir aufmerksam entgegen.

Ein lautes Poltern ließ mich meinen Blick abwenden. Das darauffolgende Stöhnen und Fluchen quittierte ich mit einem Lächeln, denn es schien so, als hätte nicht nur ich einen schlechten Start in den Tag gehabt.

Das Bild, welches sich vor mir ergab, brachte mich augenblicklich zum Grinsen. Alice lag zusammengeknüllt mit ihrer Decke halb schlafend auf dem Boden, nur ihr linker Fuß hing noch am Bettpfosten.

Und ich dachte, ich hätte schlecht geschlafen.

Ich schaute auf mein Handy und mir wurde schlagartig bewusst, dass es schon ziemlich spät war. Eilig packte ich meinen Laptop ein und rannte in Richtung der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät.

Fünf Minuten vor Beginn der Einführungsvorlesung kam ich vor der Tür des Vorlesungsraumes schnaufend zum Stoppen. Tief einatmend drückte ich die Klinke vorsichtig herunter und betrat schüchtern den Raum. Eine ganze Menge von schlaftrunkenen Studenten, die mich zum Teil eher an Zombies erinnerten, lungerten bereits auf ihren Plätzen. Einige musterten mich aufmerksam, doch die meisten schienen meine Anwesenheit nicht zu bemerken, da sie entweder in Gespräche verwickelt waren oder verzweifelt versuchten, ihre Augen offen zu halten.

Ich setzte mich in eine der hinteren Reihen, wobei die beiden Plätze neben mir leer blieben. Da der Professor noch nicht angekommen war, nahm ich mir die Zeit, um meine Kommilitonen zu beobachten. Einige hatte ich in der Einführungswoche schon gesehen, doch die meisten schienen mir unbekannt. Als ich meinen Blick nach rechts schweifen ließ, registrierte ich, wie mich zwei eisblaue Augen verstohlen musterten.

Ich brach den Blickkontakt schnell ab, da ich wusste, dass ich mich von dem Jungen lieber fernhalten sollte, wenn ich unter dem Radar bleiben wollte. Sofort erinnerte ich mich daran, was ich mir vorgenommen hatte, als ich die Uni-Zusage erhalten hatte. Ich wollte nur meinen Abschluss machen, mehr nicht. Das bedeutete so wenig Kontakt zu anderen wie möglich. Alice bildete da wohl eine Ausnahme.

Trotzdem merkte ich, wie mich Carter weiterhin unverhohlen anstarrte. Ich konnte mir nicht wirklich erklären, warum er mich so fokussierte. Wir waren uns doch erst einmal in der Cafeteria begegnet und da hatten wir nicht mal miteinander gesprochen.

Während ich meinen Gedanken weiter nachhing, bekam ich erst zu spät mit, dass sich jemand neben mich gesetzt hatte.

Doch schon anhand des süßlichen Parfüms wusste ich, wer mich gleich freudestrahlend begrüßen würde.

Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Nein, nein, nein. Innerlich schlug ich meine Hände gegen die Stirn.

Ich atmete tief ein und beruhigte mich damit, dass ich nur neunzig Minuten durchhalten musste und wir danach höchstwahrscheinlich getrennte Wege gehen würden.

Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now