Kapitel 49

303 48 190
                                    

Raven

Wie oft stand ich in den letzten vier Wochen vor dieser maroden bernsteinfarbenen Tür und starrte auf die von einem Blechrahmen umhüllte Klingel, ohne sie zu betätigen? Ich hatte aufgehört zu zählen. Unfähig mich zu bewegen, stand ich mit zitternden Knien und klopfendem Herzen hier und fragte mich, warum ich so ein verdammter Feigling war.

Ich legte eine Hand auf mein pochendes Herz, um mich zu beruhigen. Noch einmal nahm ich einen tiefen Atemzug, ehe ich meine Hand vorsichtig auf die Türklingel zubewegte. Heute würde der Abend sein, an dem ich endlich mutig war.

Mein Finger berührte das kalte Plastik. Ich verharrte in meiner Bewegung und ließ die Hand schnell wieder sinken. Frustriert fuhr ich mir durch die kurzgeschorenen Haare und fluchte innerlich. Was machte ich ihr überhaupt? Aza würde mich nicht sehen wollen. Nicht nachdem, was ich zu ihr gesagt hatte.

Ich schüttelte den Kopf in der Hoffnung, dass diese Gedanken mich nicht wieder einnahmen. Heute durfte ich nicht auf sie hören, auch wenn ich wusste, dass meine innere Stimme mit allem Recht hatte. Ich war mit dem Ziel hergekommen, für Aza in dieser schwierigen Zeit da zu sein. Unabhängig davon, was zwischen uns vorgefallen war. Das war nur eine Ausrede, sie wiederzusehen, Idiot.

Ich hatte es verbockt. Mal wieder. Ich war mir sicher, dass sie mir nicht verzeihen würde. Die Worte, die ich zu ihr gesagt hatte, waren unverzeihlich gewesen. Doch ich konnte sie nicht zurücknehmen. Auch wenn ich alles dafür geben würde, um es anders enden zu lassen. Aber das konnte ich nicht. Weil du ein mieses Stück Scheiße bist, deshalb. Du hättest ihr nie zu nahekommen sollen, fluchte ich in Gedanken.

Ich seufzte, da meine innere Stimme mal wieder ins Schwarze getroffen hatte. Wie immer. Doch das bedeutete nicht, dass es weniger weh tat. Sie fehlte mir seit dem Moment, als sie durch unsere Haustür in der Dunkelheit verschwunden war. Ich konnte sie nicht halten. Wie auch? Ich hatte ihr ins Gesicht geschrien, dass ich sie nicht brauchte. In der Sekunde, als diese Worte meinen Mund verließen, hatte ich sie bereut. Jede Nacht, wenn ich meine Augen schloss, sah ich ihre tränenerfüllten Augen vor mir, die mich schockiert anstarrten. Mein Albtraum war Realität geworden. Ich hatte von Anfang an Angst davor gehabt, dass ich sie irgendwann einmal mit meinen Worten verletzten könnte. Und genau das hatte ich auch getan. Ich hatte sie von mir gestoßen, obwohl ich nichts anderes wollte, als mich an ihrer Schulter anzulehnen. Ich hatte sie behandelt, als wäre sie mir nichts wert und als wäre sie nicht das Licht, das meine Nacht erhellte.

Sie würde mir nie wieder vertrauen können. Angst hatte sich in ihren Augen widergespiegelt, obwohl ich gehofft hatte, dass sie mich nie so ansehen würde und erkannte, was ich eigentlich war. Die Dunkelheit.

Ich presste meine Lippen fest aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Bis heute konnte ich mir nicht erklären, warum ich solche harten Worte gewählt hatte. Als sie mir erzählt hatte, dass sie mit meinem Dad gesprochen hatte, waren bei mir alle Sicherungen durchgebrannt. Für einen kurzen Moment hatte ich mich von ihr hintergangen gefühlt, doch dieses Gefühl war augenblicklich verpufft, als ich ihre wässrigen blauen Augen gesehen hatte. Doch ich konnte die Worte, die ich zu ihr sagte, nicht zurücknehmen. Als Aza zur Tür hinausstürmte, wusste ich, dass ich sie verloren hatte. Dieses Mal endgültig.

Umso länger ich in den letzten Wochen darüber nachdachte, warum sie mit meinem Dad gesprochen hatte, umso mehr verstand ich sie. Ich kannte Aza, sie wollte mir nur helfen. Wahrscheinlich hatte ihre verdrehte Denkweise dazu geführt, dass sie der Überzeugung war, sie müsste mir etwas zurückgeben. Aber das hätte sie nicht tun müssen, denn allein ihre Nähe hatte mir immer ausgereicht. Sie musste mich nur mit ihren großen dunkelblauen Augen ansehen und mir ihr sonnenähnliches Lächeln schenken und schon fühlte ich mich besser.

Someday we'll see each other againМесто, где живут истории. Откройте их для себя