Kapitel 60

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Meine Beine fühlten sich an, als beständen sie aus Beton. Mit jedem Schritt, den ich setzte, entfernte ich mich mehr von ihm. Obwohl ich eigentlich auf ihn zuging.

Alles in mir war taub. Als hätte nichts mehr eine Bedeutung nach diesem Tag.

Die Sonne strahlte kräftig auf meine Haut und wärmte mich. Und doch stellten sich meine Härchen auf, während ich diesem Ort immer näherkam. Die Endgültigkeit meiner Entscheidung raubte mir den Atem.

Ich ließ die Baumallee hinter mir und steuerte auf eine freie Bank zu, die einen idealen Blick auf die Stelle bot, an der ich Raven das erste Mal begegnet war. Mit diesem Ort verband ich so viele Erinnerungen, dass ich mich entschieden hatte, mich hier von Raven zu verabschieden. Nicht weil ich es wollte, sondern weil ich es musste. Seit einer Woche lag ich nächtelang wach, hatte mich von einer Seite auf die andere gewälzt und fieberhaft überlegt, was ich machen sollte. Doch jedes Mal war es die gleiche Entscheidung gewesen.

Ich konnte nichts gegen mein pochendes Herz unternehmen, dass mich drängte, wegzulaufen und mich gleichzeitig zwang, auf der Stelle zu stehen. So oder so würde ich es bereuen.

Alles wäre einfacher gewesen, wenn nicht noch eine zweite Person involviert gewesen wäre. Dass ich Raven wieder in meine Dunkelheit zog, zerbrach mir das Herz. Wir hätten uns nie begegnen sollen. Ich war mir sicher, dass er auch ohne mich glücklich werden konnte. Mit jemandem, der nicht so kaputt war wie ich. Irgendwann würde er meine Entscheidung verstehen. Das hoffte ich zumindest.

Der Gedanke, ihn für immer gehen zu lassen, nahm mir die Luft zum Atmen. Aber genau das war ich ihm schuldig. Wenn ich nicht mehr da war, könnte er sich endlich auf sich selbst konzentrieren, ohne dass ich ihm zur Last fiel. Wenn so viele Kilometer zwischen uns lagen, könnte er entscheiden, welches Leben er führen wollte. Ich war es leid, ihm im Weg zu stehen und ihn in die Tiefe meines Seins zu reißen.

Ich würde ihn gehen lassen und das für den Rest meines Lebens bereuen. Denn ich war mir sicher, dass ich nie wieder jemanden so lieben könnte wie ihn.

Aber er hatte eine Chance verdient. Ich wollte ihn nicht an mich ketten.

Nur weil es mir schlecht ging, sollte es ihm nicht genauso gehen.

Ein letztes Mal wollte ich noch seine Liebe spüren. In seine schönen, dunkelgrünen Augen schauen, die mich neckisch anfunkelten. Mich an ihn schmiegen und mir einreden, dass es für uns ein für immer gab.

Und dann würde ich gehen und alles mit mir nehmen. Weil ich egoistisch und ein schlechter Mensch war. Ich würde uns beiden das Herz aus der Brust reißen. Nur weil ich in meinem Leben nicht klar kam.

Hier inmitten der Baumallee fing alles an – mein Neuanfang. Der Blick in seine Augen hatte mein Leben komplett verändert. Es war auch der Ort, an dem wir uns wiedergefunden hatten, als ich daran zweifelte, je wieder seine Nähe zu spüren.

Mein altes Ich hätte mich gehasst für meine Entscheidung. Ich erinnerte mich an das Gefühl, als Raven mich in seine Arme gezogen hatte und ich wusste, dass alles gut werden würde, wenn ich nur bei ihm bliebe.

Doch wie sollte ich ihm erklären, dass ich erstickte, obwohl er mir die Luft zum Atmen gab? Es war ein Kampf, den wir beide nicht überstehen würden auf lange Sicht. Irgendwann würden wir beide untergehen. Lieber ging ich allein unter, als ihn mit mir in die Tiefe zu reißen.

Wenn ich die Augen schloss, sah ich sein Gesicht vor mir, das sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. Wie sollte ich je die Lücke füllen, die er hinterlassen würde?

Ich öffnete meine Augen und da sah ich ihn. Elegant wie ein Puma steuerte er in seiner schwarzen Kleidung auf mich zu. Seinen Blick hatte er mir zugewandt. Das kleine Grinsen auf seinen Lippen bereitete mir eine Gänsehaut. Mein Herz fing panisch an zu schlagen, da ich wusste, dass der Moment, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte, gekommen war. Seine rabenschwarzen Haare waren verwuschelt, was ihm einen verwegenen Ausdruck verlieh. Viele Frauen würden Schlange stehen, wenn ich nicht mehr da war. Bei diesem Gedanken zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Ich wollte ihn mir nicht mit jemandem anderen vorstellen und doch hatte sich der Gedanke in meinem Kopf eingenistet wie ein Parasit.

Someday we'll see each other againHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin