Ein leises Klopfen an der Tür ließ mich zusammenzucken.

,,Ich geh schon'', murmelte Raven und gab mir zu verstehen, dass ich sitzen bleiben sollte. In seinem Blick spiegelte sich Sorge wider. Er hatte Angst um mich, das konnte ich in seinen Augen sehen, die mich immerzu wachsam beobachteten. Ich merkte es an der Art, wie fest er mich hielt, wenn eine neue Panikattacke mich überfiel.

Seitdem wir ihn vor zwei Tagen mit Evan alleingelassen hatten, wirkte er verändert. Er konnte mir an diesem Tag nicht in die Augen schauen. Er dachte, ich hätte es nicht gemerkt, doch ich hatte gesehen, wie seine Hände gezittert hatten, als er den Raum verlassen hatte, um zu telefonieren. In der gleichen Nacht hatte ich ihn zu mir in die Arme gezogen und seinen Kopf auf meine Brust gebettet, da er in seinem Traum geweint hatte. Ganz leise hatte er immer wieder meinen Namen geflüstert. Es hatte mir das Herz gebrochen, ihn so leiden zu sehen wegen mir. In diesem Moment empfand ich so viel Liebe für ihn, dass ich Angst hatte, ich würde ihn mit in meine Dunkelheit ziehen, wenn er weiterhin an meiner Seite bleiben würde. Mein Leben war vom Schicksal gezeichnet seit dem Moment, als alles schief ging. Nur weil es mein Schicksal war, bedeutete es nicht, dass es seins werden müsste. Raven verdiente mehr als das hier. Mehr als ich ihm je geben könnte.

Während Raven um die Ecke bog, um die Tür zu öffnen, strich ich Evan eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. Sein Fieber war noch immer nicht gesunken. Immer wieder tupfte ich mit einem feuchten Tuch den Schweiß von seiner Stirn. Unter seinen geschlossenen Augenlidern flimmerte es. Seine Augen zuckten unruhig hin und her. Wahrscheinlich träumte er schlecht.

Sanft strich ich ihm über die knochigen Wangen.

Das Getuschel aus dem kleinen Flur ließ mich allerdings aufhorchen.

,,Ihr müsst leise sein. Er schläft gerade.''

,,Du'', rief Alice in normaler Lautstärke, als sie plötzlich verstummte. Wieder zischte jemand.

,,Was ist an dem Wort leise so schwer zu verstehen?'' – Jace. Seine tiefe Stimme hätte ich überall wiedererkannt. Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Es fühlte sich ungewohnt an. Falsch irgendwie. Als dürfte ich nicht glücklich sein.

Im nächsten Moment schob sich Alice' Gesicht in mein Blickfeld. Ihr folgten Jace und Carter, die allesamt mehrere Luftballons in den Händen hielten. Alle drei kamen sie auf Zehenspitzen auf mich zu. Freude durchströmte mich, als ich in ihre verschmitzten Gesichter sah. Nur Alice' Gesicht zeigte eine Spur von Reue.

Ich löste meine Hand von Evan und legte sie zurück unter die warme Decke, ehe ich mich aufrichtete und Alice in die Arme lief. Es war schon komisch. Vor einem Dreivierteljahr war es mir noch unangenehm gewesen, andere Menschen zu umarmen. Nun waren die Arme meiner Freunde zu meinem Zufluchtsort geworden, in denen ich mich verstecken konnte. Dass sie hier waren, bedeutete mir mehr, als ich mit Worten ausdrücken könnte.

Ich klammerte mich an sie fest und legte meinen Kopf an ihre Schulter. ,,Danke, dass ihr da seid'', flüsterte ich in ihre langen schwarzen Haare, die nach Kokosnuss rochen. Auch Alice schlang ihre Arme um mich und strich mit ihrer freien Hand beruhigend über meinen Rücken.

,,Das ist doch selbstverständlich.''

Ihr warmes Lächeln heilte mich und ließ mich für kurze Zeit meinen Schmerz vergessen. Auch wenn der Druck in meiner Brust immer blieb.

Eine Träne quoll mir aus dem Augenwinkel, als ich mich von ihr löste und zu Carter aufschaute, der mir in diesem Moment viel größer erschien, als ich es bisher wahrgenommen hatte. Seine kristallblauen Augen verhakten sich mit meinen. Er breitete wortlos die Arme aus und ich flüchtete mich zu ihm, da er von all meinen Freunden einem Bruder am nächsten kam.

Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now