G777mo (2)

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Deine Geschichte hat mir gefallen, was vor allem an der ungewöhnlichen Thematik liegt und der Tatsache, dass der Spannungsbogen Dir gut gelungen ist. Zu wissen, was Tory am Ende erwartet, hat mich gefangen genommen und weiterlesen lassen. Die Idee ist ungewöhnlich und reizvoll - mutig bist Du das angegangen und hast ungewöhnliche Figuren erschaffen, die fremdartig und sehr menschlich zugleich sind. Das ist, was sie trotz aller Fremdheit vertraut macht - das gilt auch für "Ende", der weit weniger monströs ist, als man zu Beginn meinen könnte. Er ist eher noch der menschlichste von allen. Das hast Du gut konstruiert und vorbereitet.

Sprachlich finde ich das ordentlich gelungen. Ab und an werden Worte zu oft wiederholt. Manche Formulierungen ("das nette Mädchen") nutzt Du zu oft, manche Formulierungen sind arg umgangssprachlich und flapsig - so passen sie nicht wirklich zu der in meinen Augen eher abwartenden und nachdenklichen Tory und dem, was sie sonst sagt und denkt ("Ey, du kannst doch nicht einfach so die Namen andere Leute beleidigen Und wie heißt Du überhaupt?). Bei der Wortwahl hätte ich mir gerne etwas mehr Abwechslung gewünscht, die Sätzelängen gelingen Dir weitgehend, zwei Sätze sind viel zu lang, das hemmt an dieser Stellen den Lesefluss.

Was den Hintergrund anbelangt, hatte ich mit Fortschreiten der Geschichte das Problem, dass ich mir das immer weniger vorstellen konnte, weil das was geschieht, schlicht die Vorstellungskraft sprengt. Da hast Du dir eine in meinen Augen fast unlösbare Aufgabe gestellt und findest leider nicht die sprachlichen Mittel, dass in seiner fremdartigen Schönheit aber auch Andersheit darzustellen - das, was Tory wahrnimmt, kann so nur ein Gott oder Ähnliches wahrnehmen. Sie ist aber keiner. Die Frage des Blickpunktes - wer kann wie etwas sehen und aus welcher Erfahrung heraus bleibt hier ungelöst. Tory selbst kann das nicht erfahren haben; wenn es die Erfahrungen des Endes ist, sind es seine Bilder. Hier wird die Geschichte in meinen Augen etwas brüchig, weil die innere Logik hier ins Wanken gerät.

Die Figuren bleiben ingesamt etwas farblos, das betrifft wenig Tory und Ende als alle anderen Figuren. Sie sind in meinen Augen Beiwerk der Geschichte und werden schnell vergessen - etwas mehr Individualität hätte ihnen guten gestanden. Generell empfang ich Tory als etwas unschlüssig konstruiert. Mal ist sie forsch, mal abwarten, mal risikobereit, mal nachdenklich, mal aufmüpfig - sie wirkt auf mich wie ein Teenager, der noch auf der Suche nach ihrer emotionalen Mitte ist. Dennoch hat sie spannende Facetten und es macht Spaß, sie auf ihrer Reise zu begleiten.

Die Dialoge sind mengenmäßig ziemlich passend, hier weniger, da etwas mehr hätte ich gut gefunden. Die zwischen Ende und Tory wirken manchmal etwas hölzern und künstlich. Sie bringen aber die Handlung gut voran und erfüllen damit eine wichtige Funktion.

Emotional gecatcht hat mich die Geschicht nicht unbedingt. Dafür war sie zu wenig aus einem Guss, war das Thema zu abstrakt und die Handlungen der Protagonisten zu wenig sinngelenkt und plausibel.

Die Beschreibungen verbleiben leider oft im "tell", vieles fasst Du zusammen und beschreibst es, als Dinge durch die Handlungen der Figuren erschließen zu lassen. Manche Stellen lesen sie wie ein Geschichtsbuch, das wirkte auf mich etwas spannungsarm, weil es wie eine reine Aufzählung anmutet. Sprachlich hast Du das gut gelöst, aber für meinen Geschmackt war das etwas viel.

Die Atmosphäre fand ich mysteriös, beruhigend und faszinierend zugleich, ich hätte mir aber von dem Ende etwas anderes versprochen. Was kann ich nicht genau sagen, aber das liegt wohl daran, das man Ungekanntes und nie Gesehenes schlecht atmosphärisch bewerten kann weil jegliche Erfahrung fehlt.

Alles in allem finde ich Deine Geschichte sehr reizvoll und habe sie gerne gelesen. Ein paar "Kinderkrankheiten" hat sie noch, aber mit etwas Umsicht, planvollerer Gestaltung der Figuren und etwas mehr Fingerspitzengefühl bei der Themenwahl (damit Du die Kontrolle über die Vorstellungswelt der Leserschaft nicht aus der Hand gibst) steckt da viel drin.

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