G632ji (1)

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Deine Geschichte hat mir im Grunde genommen sehr gut gefallen. Deine Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung sind nahezu einwandfrei, ich bin gewillt, davon auszugehen, dass alle vorhandenen Fehler auf Tippfehler oder Korrekturen zurückzuführen sind. Bei den Kommata ist eine klitzekleine Unsicherheit da, aber sein wir mal vollkommen ehrlich, wer sieht da schon zu 100% durch?

Deine starke Seite beim Schreiben ist definitiv dein Stil. Während du im ersten Kapitel vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen hast und es sich ein bisschen gezogen hat, hatte der Rest ein sehr angenehmes Tempo mit einem schönen Spannungsbogen. Möglicherweise solltest du deine Liebe zum Gebrauch von „…“ ein wenig zügeln, die kommen besonders am Anfang wirklich oft vor. Da tut es gelegentlich vielleicht auch einfach ein Komma oder Gedankenstrich.

Besonders gefallen haben mir deine Metaphern und Vergleiche: „die mein Herz durchbohrt wie ein rostiges Messer“, „Eiszapfen schienen sich in mein Herz zu bohren“, „[Die Melodie] füllt meinen Kopf wie das Echo eine Höhle.“ Mit solch starken Kandidaten fallen etwas schwächere, wie zum Beispiel „mein Gehirn fuhr Karussell“ aber natürlich sofort auf. Auch schießt du mit der Metaphorik an einigen Stellen ein bisschen übers Ziel hinaus: „…wie ein Defibrillator, den man spät, aber nicht zu spät eingesetzt hat“ – kann man einen Defibrillator früh einsetzen? Vielleicht wäre an der Stelle etwas in Richtung „den man gerade noch rechtzeitig eingesetzt hat“ besser. Ein weiteres Beispiel dafür fand ich „Meine Augen begannen zu jucken und Tränen sammelten sich unter meinen Lidern.“ Es ist einfach einen Tick zu weit, nimm eins davon, das reicht völlig aus. Und, die dritte Stelle: „eisblaue Iriden“ – nein, bitte schreib einfach Augen. Es ist ok, einfach zu schreiben, oft ist das besser als die Alternative, verzweifelt ein Synonym zu finden.

Ausgezeichnet umgesetzt fand ich hingegen deine Beschreibung vom Ertrinken. Ich hoffe wirklich, dass du es noch nicht erlebt hast, und da es mir glücklicherweise auch bisher erspart geblieben ist, kann ich die Richtigkeit natürlich nicht beurteilen, aber deine Beschreibung fühlt sich extrem plausibel an und geht extrem nah.

Deine Idee ist nicht unbedingt neu. Ein Geliebter stirbt/wird verwandelt und holt den anderen zu sich ist natürlich kein riesiger Durchbruch in der Bücherwelt (auch wenn ich den queeren Twist sehr begrüße, insbesondere weil du kein Tamtam darum machst, sondern es einfach als gegeben hinstellst, sehr cool). Ist meiner Meinung nach auch gar nicht nötig, aber da gehen natürlich Punkte im Raster verloren.

Es wird sehr offensichtlich, dass du Ahnung vom Segeln hast. Mein Tipp wäre trotzdem, die Fachbegriffe ein bisschen zurück zu nehmen, gerade im ersten Abschnitt vom dritten Kapitel wird man als Leser davon ein bisschen überrollt. Ein paar sind völlig in Ordnung, und es spielt auch keine Rolle, wenn man sie beim lesen nicht versteht, sie setzen eine gute Atmosphäre – das ist dir im weiteren Verlauf sehr gut gelungen. Bei dieser ersten Stelle hat es allerdings ein bisschen den Vibe von „schaut mal, wie viel ich übers Segeln weiß“, was sicherlich nicht deine Absicht war. Wenn du aus dem Absatz zwei der vier Fachbegriffe durch allgemein verständlichere Wörter ersetzt tust du der Atmosphäre nichts ab, aber verhinderst, dass man beim Lesen als „Landratte“ nicht stolpert. Dann kannst du dir auch den Glossar sparen.

Den allergrößten Punkteverlust musstest du bei den Figuren einbüßen. Sie sind nicht der Schwerpunkt deiner Geschichte, was auch vollkommen in Ordnung ist, aber sie sind vollkommen blank. Ich könnte dir von Freya nur sagen, dass sie gern segelt und von Karya überhaupt nichts, höchstens noch, dass sie ineinander verliebt sind. Es tut der Geschichte selbst nicht weh, per se (deshalb ist mir die Bewertung an der Stelle auch extrem schwer gefallen), aber ihnen mehr Charakter zu geben, könnte ihr insgesamt noch einen Kick geben.

Das gleiche gilt für irgendwelche Konflikte. Ich habe sie beim Lesen nicht wirklich vermisst, da deine Geschichte weniger von der Handlung lebt als von den Beschreibungen, aber wären sie da, würden sie vermutlich nicht schaden.

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