G481ba (2)

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Ausführliche Bewertung:

Sprache:

Die Rechtschreibung ist gut. Ich hab ein paar Wörter gefunden, die auseinandergeschrieben wurden, aber zusammen gehören („weiterzuleben“, „zusammenreißen“, „hochgezogenen“). Davon abgesehen eigentlich nur Flüchtigkeitsfehler, wie „Hauaufgaben“ oder „So gerne hätte meine Wut herausgeschrien“ oder „aus.zusteigen“ statt „aufzusteigen“ oder „fügte leise ich hinzu“. Aber das ist alles nix Wildes. Die Grammatik ist auch top. Bei der Zeichensetzung fehlen ab und zu Kommas (vor „als“ oder beim Infinitiv mit zu) und du solltest darauf achten bei den drei Punkten (…) ein Leerzeichen davor zu machen, wenn dabei kein Wort abgebrochen wird (also „Mann, Alter, das ist echt … fuck“ und „Mann, Alter, das ist echt fu…“).

Schreibstil, Wortwahl etc. hat mir auch gut gefallen. Es hat sich alles flüssig lesen lassen und war verständlich. Der Wortschatz passt soweit, auch wenn die Geschichte da jetzt keine extrem hohen Ansprüche stellt. Die Fußballbegriffe (?) sind mir in diesem Zusammenhang besonders aufgefallen (positiv). Also alles in allem passt das gut zusammen. Wortwiederholungen sind stellenweise beabsichtigt („perfekt“) und wenn sie es mal nicht beabsichtigt waren, sind sie mir nicht negativ aufgefallen. Ich hatte eigentlich fast immer Bilder im Kopf. Metaphern und co werden sparsam eingesetzt (was gut ist) und wo sie mir begegnet sind, fand ich sie sehr passend („als wäre ich ein Vulkan, der lange geruht hatte und nicht anders konnte, als endlich zu explodieren“).

Idee:

Die Idee ist vielleicht nicht superneu, aber mir kam das Konzept gut durchdacht vor.

Wissen/Hintergrund/Facettenreichtum:

Ich weiß nicht, wie viel Recherche betrieben wurde, aber mir ist keine grobe Nachlässigkeit aufgefallen. Eine Sache könnte ich vielleicht anmerken, aber das ist mehr so ein Gedanke, der mir beim Lesen gekommen ist, und weniger eine Kritik. Noahs Tante ist ja in einer Klinik (Entzugsklinik, nehme ich mal an) und es entsteht der Eindruck, dass sie da schon sehr lange ist. Jetzt ist es so, dass Klinikbetten teuer sind, und die Verweildauer von Patienten in Kliniken daher eher kurz gehalten wird. Alkoholentzug (ich nehme mal an, dass sie eine Alkoholabhängigkeit hat, wegen der leeren Flaschen im Prolog) dauert ein paar Tage bis eine Woche, betreut etwa drei bis vier Wochen. Angenommen sie macht danach noch eine stationäre Entwöhnung ist sie vielleicht drei bis vier Monate in der Klinik (längstens). Danach würde sie entweder in einer anderen Einrichtung weiterbehandelt oder ambulant weiterbetreut. Der komplizierte Teil einer Alkoholabhängigkeit ist nämlich weniger der Entzug (wobei der sicher auch nicht ohne ist), sondern das trocken bleiben danach (bei Alkohol spricht man auch eher von „trocken“ und nicht von „clean“). Deswegen würde ich nicht sagen, dass sie ihr Leben schon wieder im Griff hat, solange sie noch in einer Klinik ist. Wenn sie mal 3-4 Jahre trocken ist, kann man vielleicht davon sprechen, denn die Krankheit bleibt einem leider lebenslang erhalten (womit ich es nicht geringschätzen will, wenn jemand „erst“ ein Jahr oder ein paar Monate trocken ist; das sind alles wichtige Schritte auf dem Weg, wieder ein normales Leben führen zu können). So, das nur mal dazu. Ansonsten fand ich deine Darstellung der Tante und ihrer Krankheit aber gelungen. Die Geschichte ist auch sehr weit ausgearbeitet und detailreich. Da habe ich nichts zu beanstanden, auch wenn ich gerne gewusst hätte, was seinen Eltern zugestoßen ist.

Figurenentwicklung:

Noah war für mich ein sehr nachvollziehbarer Charakter. Ich hab zwar keine Ahnung, wie er aussieht, aber das finde ich nicht wirklich dramatisch. Sein Innenleben war sehr schlüssig. Seine Sorgen und Ängste, seine innere Zerrissenheit zwischen den vermeintlichen Ansprüchen anderer Menschen und seinen eigenen Möglichkeiten war sehr gut veranschaulicht. Ich denke, dass er in einem Konflikt steckt, der viele Menschen beschäftigt – und ganz besonders Kinder, die immer funktionieren müssen. Oder die denken, dass sie immer funktionieren müssen. Die Panikattacken fand ich auch gut geschildert, wobei die natürlich bei jedem Menschen etwas anders ablaufen können. Also … lange Rede kurzer Sinn, ich fand Noah einen sehr plastischen Charakter. Ich habe das Gefühl, ihn zu kennen (was auch damit zusammenhängt, dass mir seine Gedanken einen guten Eindruck seiner Situation und seiner Persönlichkeit vermitteln) und kann mich gut in ihn hineinversetzen. Aber auch seine Tante Jean fand ich gut dargestellt. Sie hat mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, macht dadurch viele Fehler, aber meint es im Grunde gut. Das hat mich durchaus berührt. Lorcan scheint ein wirklich guter Freund zu sein. Allerdings musste ich kurz schmunzeln, als mir aufgefallen ist, dass er so viele Aspekte unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen auf sich vereint (sitzt im Rollstuhl, trägt Make-up, hat zwei Mütter). Aber er war mir sehr sympathisch und er scheint trotz seiner eigenen Behinderung sehr daran interessiert, Noah mit seinen Problemen zu helfen. Generell hat Noah ein sehr unterstützendes Umfeld, worüber er sich glücklich schätzen kann.

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