G345ot (2)

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Ich gehe mal der Reihe nach die Punkte durch.

1. Sprache. Rechtschreibung und Grammatik sind gut. Da kann man nicht meckern. Es gibt eine Reihe von Wortwiederholungen (“jede Nacht”, “immer”, “leise”, “noch” etc.), einmal einen Zeitfehler (“konnte sich nur noch vage”) und ich hatte mehrfach das Gefühl, statt eines Kommas hätte ein Punkt bzw. ein Semikolon gesetzt werden müssen. Davon abgesehen ließ es sich jedoch flüssig lesen. Was ich noch anmerken kann, ist, dass mehrfach überflüssige Füllwörter vorkamen “leicht”, “ein wenig” etc.) und dass ich gerade am Ende manchmal Schwierigkeiten hatte, zu erkennen, von wem gerade die Rede ist (bei Verwendung von “sie” und “ihr”). Da der Text so kurz ist, kamen nicht viele sprachliche Mittel vor, aber wo sie vorkamen, fand ich sie schon sinnig eingesetzt.

2. Idee. Darüber kann man sich bestimmt drüber streiten. Jede Idee ist ja irgendwo einzigartig, aber man muss die Geschichte halt auch im Vergleich zu anderen, deutlich komplexeren Geschichten sehen, die mit einem ungewöhnlichen Setting oder unerwarteten Plot-Twists aufwarten können.

3. Wissen/Hintergrund/Facettenreichtum. Ich denke, man braucht nicht viel Vorwissen, um diese Geschichte zu schreiben (höchstens mal die Nachrichten schauen). Die Handlungen sind alltäglich und erfordern kein besonders Hintergrundwissen. Es passt aber soweit alles gut zusammen. Detail- und Facettenreichtum ist, was die Beschreibungen angeht, teilweise vorhanden, aber als wirklich differenziert ausgearbeitet würde ich die Geschichte nicht bezeichnen.

4. Figuren. Mit den Figuren hab ich mich wirklich schwer getan. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, weil außerhalb der Figuren im Grunde nichts passiert. Beide Figuren werden weder namentlich bezeichnet, noch irgendwie äußerlich beschrieben. Kann sein, dass das eine bewusste Entscheidung gewesen ist (bei Kurzgeschichten gar nicht so ungewöhnlich), aber das gibt halt in diesem Schema keine Punkte. Ich erfahre auch nicht viel über den Charakter der Figuren (außer dass die Protagonistin eher ängstlich zu sein scheint?). Auch eine Entwicklung, ein Ziel oder einen Konflikt scheint es nicht zu geben. Die Protagonistin mag gegen ihre Ängste ankämpfen, aber am Ende wird nicht klar, ob sie ihre Angst überwindet und wieder einschlafen kann oder nicht. Deshalb ist es schwer, diesen Teil zu bewerten.

5. Dialog. Es gibt nur einen Dialog in der Geschichte. Und der ist auch eigentlich eher ein Monolog. Die Funktion dieses Dialogs ist mir bewusst und er hat auch eine klare Funktion bei der Charakterisierung der Freundin, aber er trägt jetzt nicht unbedingt dazu bei, die Handlung voranzutreiben, sondern beendet im Grunde die Handlung.

6. Emotionalität. Ich denke, die Geschichte kann beim Leser Emotionen wecken. Hätte sie vielleicht auch bei mir, wenn ich nicht so abgebrüht wäre :) Aber es sind im Grunde alle Zutaten dafür vorhanden.

7. Beschreibungen. Die Beschreibungen, die da waren, fand ich soweit ganz gelungen. Man hätte natürlich das Zimmer noch konkreter beschreiben können. Irgendwelche Details einfließen lassen können, die der Charakterisierung der Personen dienen (z.B. Snoopy-Bettwäsche, Sticker auf dem Handy oder den antiken Kleiderschrank von der Omi). Dadurch wäre alles etwas lebendiger geworden und man hätte nebenbei noch die Personen charakterisiert. Win-Win. Aber ich konnte mir trotzdem alles gut vorstellen. Bis auf die Personen selbst, denn die waren mal so gar nicht beschrieben.

8. Spannungsbogen. Das war 50-50. Ich hab mal angenommen, dass es einen Spannungsbogen gibt, wobei der für mein Empfinden ziemlich schief ist. Aber ich erkläre mal meine Gedanken beim Lesen. Ich fand den Anfang durchaus spannend. Sie wacht aus ihrem Albtraum auf, geht zum Fenster und versucht sich selbst zu beruhigen (für einen kurzen Moment dachte ich, dass sie ein Geist ist, weil da stand “Kurz blickt sie neben sich. Dort liegt sie auf der Matratze”. Ich dachte, damit wäre sie selbst gemeint. Von einer Freundin war bis dahin nämlich noch nie die Rede). Es ist dunkel, kalt, ein bisschen unheimlich. Dann geht sie zurück zu ihrem Nachttisch, schaut auf ihr Handy und sieht einen Zeitungsartikel, der genau denselben Wortlaut hat wie das, was die Stimme ihr in ihrem Albtraum zugeflüstert hat. Das war gruselig und spannend und ich dachte, jetzt geht es los, ihre Träume werden wahr und sie befindet sich im Epizentrum einer riesigen, paranormalen Verschwörung. Na ja, so war es dann nicht und der Spannungsbogen ist danach sehr schnell wieder abgeflaut. Versteh mich nicht falsch, die Botschaft der Geschichte (Sein Leben in Angst zu leben ist sinnlos) finde ich toll (auch wenn ich nicht verstehe, was die beiden bereits tun, um die Welt zu einem bessern Ort zu machen – da wären Hintergrundinfos zu den Charakteren nötig gewesen). Die Botschaft ist wirklich gut, aber vielleicht hätte die Protagonistin das im Lauf der Geschichte selbst für sich erkennen müssen, anstatt es einfach nur gesagt zu bekommen.

Ideenzauber 2022 - KritikbüchleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt