G102ji (1)

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In dieser Geschichte geht es um einen Racheplan, der eine dramatische Wendung nimmt.

Die Geschichte hat nur knappe 2000 Wörter, ist also recht kurz. Und das merkt man leider. Aber später mehr darüber. Zunächst ein Wort zu Rechtschreibung und Grammatik. Gleich zu Beginn fallen mir Wortwiederholungen auf (in drei Absätzen wird „junge Frau" drei Mal erwähnt). Auch später im Text kommen vermehrt Ausdrücke aus dem gleichen Wortfeld eng hintereinander vor. Hier würden Synonyme helfen.

Bei Rechtschreibung und Grammatik ist mir soweit nichts aufgefallen.

Sprachlich hatte ich ein Problem mit manchen Formulierungen. Beispiel „Dieser metaphorische Vorgang faszinierte sie". Beim Adjektiv „metaphorisch" wird etwas beschrieben, das gar nicht wirklich so ist, sondern eine Metapher. Im obigen Satz bezieht sich das Ganze jedoch auf das Zerfallen von Holzscheiten zu Asche, was ja tatsächlich auch so passiert. Was, wie ich glaube, eigentlich ausgedrückt werden sollte, war, dass dieser Vorgang sehr gut zur Situation passt. Man könnte es also vielleicht in etwas so formulieren: „Es faszinierte sie, wie gut dieses Bild zu ihrer Situation passte".

Neben diesen Formulierungen hatte ich aber allgemein Schwierigkeiten mit der Geschichte warm zu werden. Das mag auch unter anderem daran liegen, dass sie sehr arm an lebhaften Beschreibungen ist. Abgesehen von der Handlung und ein paar visuellen Eindrücken bekomme ich als Leserin fast nichts mit. Am Anfang zu Beispiel sollte Rahel ja angespannt sein. Ich merke davon aber kaum etwas. Das ließe sich aber schnell ändern. In einigen Sätzen könnte man zum Beispiel beschreiben, dass sie im Zimmer auf und ab geht, ihre Hände knetet, zittrig atmet, auf ihrer Unterlippe kaut, an ihrer Kleidung herumnestelt, etc. All das sind eindeutige Verhaltensweisen von jemandem, der nervös oder angespannt ist. So wirkt ihre Figur gleich viel greifbarer.

Das eben Erwähnte ist leider nicht die einzige Stelle, an der Beschreibungen fehlen. Um das zu verbessern, empfehle ich wie oben vorzugehen. Frag dich: „Was fühlt meine Figur gerade? Und wie verhält sich jemand, der so fühlt?" Beschreibe dann dieses Verhalten, um die Figur dem Lesenden näher zu bringen.

Diese Armut an Beschreibungen hat leider dazu geführt, dass ich beim Lesen kaum etwas gefühlt habe. Außerdem erschienen mir die Figuren sehr blass. Ich weiß, dass es sehr schwierig ist, in einer so kurzen Geschichte Charaktermerkmale herauszuarbeiten, aber sie sind essenziell notwendig, um die Geschichte spannend und einzigartig zu machen. Hier erschienen mir die Charaktere fast austauschbar. Ich kann über die Hauptfigur, Rahel, beispielsweise kaum etwas sagen, außer, dass sie aus Rache ihren Vater ermorden will. Bei ihrem Bruder frage ich mich sogar, warum er überhaupt Teil der Handlung ist, da er sie in keiner Weise vorantreibt. Ich weiß, dass er zum Verstehen am Ende wichtig ist, aber hätte dazu nicht eine bloße Erwähnung gereicht?

Die Dialoge wirken teilweise sehr hölzern. Zudem sind sie zu knapp, um den Figuren wirklich Tiefe verleihen zu können. Um das zu verändern, kann ein kleines Experiment helfen. Ich beobachte immer Menschen in meinem näheren Umfeld und höre genau zu, wie sie reden. Allein an Sprachgeschwindigkeit, Pausen, Lautstärke, Stimmhöhe usw. lässt sich schon viel ablesen. Dazu kommen noch Satzlänge, häufig verwendete Floskeln oder Worte, Sprachfehler, Dialekt, Akzent, ...

Werden diese Punkte deskriptiv zur wörtlichen Rede hinzugefügt, lassen sich die Charaktere viel besser voneinander abgrenzen.

Oben habe ich erwähnt, dass die Geschichte eher kurz ist und ich das als problematisch empfinde. Das ist deshalb so, weil ich das Gefühl habe, dass so viele wichtige Aspekte fehlen, wie ausführliche Beschreibungen und dass der Handlung viel zu wenig Zeit gelassen wird.

Das resultiert leider in einigen Logiklücken und offenen Fragen, die ich am Ende hatte.

Es ist mir zum Beispiel nicht verständlich, warum sie ihren Bruder verletzt/umbringt. Ja, sie befürchtet den Verrat an den Vater. Aber wenn sie ihn unauffällig ausschalten kann, kann sie ihn dann nicht auch einfach irgendwo einschließen? Oder ermordet sie ihn, weil er dem Vater so nahesteht, dass auch er zum Feindbild geworden ist? Aus der Handlung ist mir das leider nicht ersichtlich geworden.

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