G038jl (1)

60 8 4
                                    

Ich mag Deine Geschichte, auch wenn sie viele Fragen aufwirft, auf die ich mir keinen Reim machen kann. Vor allem sprachliche fand ich das stellenweise sehr bezaubernd, was Du geschrieben hast. Alles fließt elegant, die Sätze haben die richtige Länge und Du gehst sicher mit Grammatik und Rechtschreibung um. Du hast sprachliche Details im Blick und weißt sehr sicher mit Rhythmen und Klängen umzugehen.

Manche der evozierten Bilder sind wunderbar: "Die Rosenbüsche im Schlossgarten verschwammen zwischen den undeutlichen Schlieren, der Wasserspeier am kleinen Teich schaute grau und traurig über sein Reich. Seit Tagen gab es nichts als Regen, kalte, nasse Tropfen, die zu Tausenden den Staub aus der Welt wuschen."

Richtig schön. Sehr gelungen finde ich auch die Komposition der Geschichte. Wie man Spannung erzeugt, weißt Du sehr gut. Ich hatte immer das Gefühl, dass sich etwas anbahnt, ohne genau zu wissen, was eigentlich. Das liegt auch daran, dass Du gekonnt mit Andeutungen und Handlungen spielst, die Lesegewohnheiten sprengen, zumindest in meinem Falle. Was sich zunächst anfühlt wie eine trockene Adelsgeschichte entpuppt sich als makabres Stück mit einer Prise Humor (wie ich finde) – der Protagonist ist eine gelangweilter Lord, der sich (so habe ich das verstanden!) Leute aus dem Volk angelt, sich verplappert und sich dann genötigt fühlt, das gemein Volk zu unterstützen – was völlig unfürstlich und standzersetzend ist. Am Ende entledigt er sich der Unliebsamen - nur um erneut sein Spiel zu spielen.

Anfang und Ende der Geschichte klingen sehr ähnlich, was ich als sehr angenehm empfunden habe. Alles in allem habe ich kaum etwas zu bemängeln... was aber stört mich dann?

Es sind ein paar Details, auf die ich mir keinen Reim machen kann und die wie Versehentlichkeiten in einem Meer aus Konzisität und Planhaftigkeit wirken.

- Da wäre zum Beispiel die deutschen Namen. "Gentlemen" werden sie genannt, irgendwie passt das nicht.

- Die Bürger/Lords dürfen einander nicht ihre Geburtsnamen nennen – wer das tut, geht einen Bund mit dem anderen ein, was zur Inversion der Verhältnisse führt und dies von einer Art Kontrollgremium (die alten Weisen) gerügt/überwacht wird. Einer der beiden (Lord/Heini) muss sterben, aber die Weisen entscheiden nicht – das tut der Lord (indirekt). - - Ich habe mich oft gefragt, was es mit den Geburtsnamen auf sich hat. Das Konzept soll die Geschichte tragen, die Handlung ergibt nur Sinn, weil es diese Regelung gibt ... allerdings scheint es mir, dass dem Lord diese Regel grundsätzlich eher egal ist und sie zu seinem Vorteil nutzt. Hier hätte ich mir etwas mehr Background bzw. mehr Berücksichtigung im Laufe der Geschichte gewünscht.

Nicht immer ganz klar sind mir die Motivationen der Figuren. Tut der Lord all das nur, weil er sich langweilt? Ist das alles für ihn Zeitvertreib oder rutscht er wirklich versehentlich in dieses Dilemma, dessen Auflösung aber so zufällig nicht ist.

Die Figuren sind Dir grundsätzlich gut gelungen, manchmal etwas stereotypisch (Heini > dummer Bauer/Bürger) oder zu vage (die alten Weisen). Die Beschreibung finde ich sehr harmonisch integriert und sinnvoll eingesetzt – bisweilen sind sie sehr bildhaft, stellenweise ein bissel unrund, aber das stört kaum.

Die Dialoge sind Dir gut gelungen, manchmal wirken sie etwas statisch – insgesamt bringen sie die Geschichte aber gut voran.

Was bleibt ist mein Eindruck, dass Dir da eine wirklich gute Geschichte gelungen ist, die zum Nachdenken anregt, weil sie nicht alles erklären möchte – das ist aber auch ihr größter Makel, zumindest für mein Empfinden.

Wenn Du Licht in mein Dunkel im Oberstübchen bringen würdest, würde mich das sehr freuen – ist der Lord wirklich nur ein abgezockter, gelangweilter, abenteuerhungriger Herrscher, der aus reiner Freude Bürger hinters Licht führt? Wenn nicht, kläre mich auf. :D

Ideenzauber 2022 - KritikbüchleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt