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Mit dieser Geschichte beweist der/die Autor*in eine ausgeprägte Fantasie und ein gutes Verständnis für die deutsche Rechtschreibung und Grammatik.

Ich fange mal damit an, die Stellen in der Kurzgeschichte aufzuzählen, die mir komisch vorkamen oder in denen Fehler zu finden sind.

-        „ […] die Augen weit offen, um durch kein Blinzeln einen Augenblick dieses Spektakels zu verpassen.” → Satz klingt schief, sinnvoller wäre (meiner Meinung nach) „[…] die Augen weit offen, um nicht mit nur einem Blinzeln einen Augenblick dieses Spektakels zu verpassen.“

-        „Aber da ist nur noch ein schwarzer Haufen, […]“ → Tempusfehler, richtig wäre „Aber da war nur noch ein schwarzer Haufen, […]“

-        „Der Junge konnte nicht lesen, aber diese Adresse kannte er.“ → Den Sinn hiervon verstehe ich nicht. Wie kann er die Adresse kennen, wenn er nicht lesen kann? Ist auf dem Zettel ein Bild abgedruckt und darunter steht die Adresse?

-        „Der Junge ging schließlich doch zur Eingangstür […]“ ; „Der Junge hielt nochmal inne“ ; „[…] und der Junge wich ein paar Schritte zurück.“ → Wortwiederholung von „der Junge“ – am besten wäre ein Synonym, eine Beschreibung oder ein Name, um dieses Dilemma zu lösen

-        „ „Jaaa?“, fragte sie und ihre Augen wanderten dabei langsam den Flur entlang […]“ → Soll die vermehrte Nutzung des Buchstaben A ihr einen kindlichen Charakter verleihen? Ist das so, passt es nicht wirklich in das Bild, das man von ihr bekommt.

-        „Der Junge schloss seine Faus noch fester […]“ → Bei Faust fehlt ein T -  Richtig wäre „Der Junge schloss seine Faust noch fester […]“

-        „Der Junge wendete den Kopf […]“ ; „Widerwillig verzog die schöne Frau ihre Miene wieder zu einem Lächeln, wendete sich zu dem Jungen […]“ → In beiden Fällen klingt „wandte“ schöner, „wendete“ ist aber grammatikalisch nicht falsch

-        „Wenn Ihr es je konntet, dann habt ihr vor Jahren die Zeit verpasst, ihr zu helfen.“ → Das zweite „Ihr“ muss auch großgeschrieben werden, weil es eine Anrede ist, das dritte bleibt klein, weil damit eine dritte Person gemeint ist: „Wenn Ihr es je konntet, dann habt Ihr vor Jahren die Zeit verpasst, ihr zu helfen.“

Grundsätzlich ist mir aufgefallen, dass sich die meisten Fehler oder schief klingende Sätze in der ersten der vier zusammenhängenden Kurzgeschichten verstecken. Das ist an sich nicht schlimm, weil es nur eine Handvoll sind, zeigt aber, dass der/die Autor*in da noch etwas unkonzentriert war.

Die Geschichte(n) selbst haben mich nicht wirklich abgeholt. Die Beschreibungen sind zwar schön zu lesen, aber ich persönlich habe nicht viele stilistische Mittel gefunden, die das Lesen etwas runder gemacht hätten. Die Charaktere werden nicht benannt, bleiben „der Junge“, „der Mann“, „die Scherbenfrau“ und so weiter. Das ist schade, passt aber dennoch irgendwie in die Stimmung der Geschichte. Dieser Aspekt zieht das Bild, das sich durchaus in meinem Kopf während des Lesens aufgebaut hat, ein wenig in Unkenntlichkeit. Ich fand es auch ziemlich schwierig zu verstehen, dass „die Frau“ aus der ersten Geschichte gleichzeitig auch „die Scherbenfrau“ ist und dass dies der Zusammenhang zwischen all diesen Geschichten ist. Grundsätzlich ist die Idee gut, so versteckt einen Zusammenhang herzustellen, aber es hat mich viel zu sehr an die Vorstellung vom Sensemann erinnert. Vielleicht ist „die Scherbenfrau“ auch einfach die emanzipierte Version vom Sensemann? Wäre nett wenn mich hier jemand aufklären würde.

Der Charakter der Scherbenfrau ist auch einen Satz wert. Während sie in der ersten Geschichte „Phönix“ noch als kindliche, mittelschwer verrückte Persönlichkeit dargestellt wird, ist sie in der zweiten Geschichte „Junge mit Schmetterlingshänden“ bereits eine erwachsene und pflichtbewusste Frau, die „mit einer Stimme ohne Form” spricht, in der letzten Geschichte „Bücherfrau“ nimmt sie sogar eine Frau gegen ihren Willen mit sich. Man erhält keine Information über ihr tatsächliches Alter. Passt sie ihren Charakter nun den Protagonisten aus den Geschichten an? Wird innerlich zum Kind, wenn ihr ein Kind gegenübersteht? Verhält sich erwachsen, wenn es darauf ankommt? Oder ist einfach Zeit vergangen, in der sie gereift ist? Für mich ist diese Frau ein Rätsel, noch mehr, als es durch die spärlichen Informationen beabsichtigt wird.

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