In der Kammer

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Allana

Die nächsten Tage konzentrierten wir uns voll und ganz auf die Horkruxe.
Jaime hatte die Vermutung gehabt, dass immer ein Horkrux in erreichbarer Nähe sein musste, sollte Voldemort versuchen wieder Gestalt anzunehmen. Deshalb hatte er genau untersucht, welche Gegenstände sich auf den Friedhof befunden hatten. Bis jetzt war er aber noch zu keinen nennenswerten Ergebnis gekommen. Dafür hatten wir herausgefunden, dass Horkruxe tatsächlich Besitz von jemandem nehmen konnten. Allerdings hing das von der emotionalen Nähe ab, die der potentiellen Host zum Horkrux empfand.
Ich versuchte vorsichtig mit Ginny über das Tagebuch zu sprechen, sowie über ihre Erlebnisse und andere Informationen, die uns möglicherweise helfen konnten. Aber sie blockte mich ständig ab.
,,Ich verstehe ja, dass Ginny sich unwohl dabei fühlt, aber hier geht es um etwas viel wichtigeres. Wir brauchen Ginnys Hilfe, damit wir endlich einen Vorteil über Voldemort haben!", meinte ich zunehmend genervt von dem Verhalten von Rons jüngerer Schwester.
,,Ich wette, wenn du es genau so formulieren würdest, wärst du dir ihrer Hilfe sicher", murmelte Jaime und schlug eine Seite seines Buches um. ,,Rettung der Welt und so. Wer kann dazu schon Nein sagen?"
,,Tja, nur leider wäre diese Formulierung leicht auffällig."
,,Auch wieder wahr." Mein Bruder legte das beinahe durchgelese Buch neben sich und tauchte für einen Moment lang unter dem Tisch ab, um eine Feder aus seiner Tasche zu fischen.
Im gleichen Augenblick bemerkte ich aus den Augenwinkeln eine etwas abgehetzt wirkende Hermine, die auf mich zueilte. Ihr Gesicht war ziemlich rot, aber das breite Grinsen war unmöglich zu übersehen. ,,Gute Neuigkeiten! Zu dem Treffen im Eberkopf wollen auch einige aus Hufflepuff kommen. Sie sind es wohl mittlerweile auch leid bei Umbrigde nichts zu lernen ..."
Jaime tauchte wieder auf und hielt eine zerfledderte Feder in seiner Hand und strich sich seine zerzausten Haare zurück. ,,Ich habe keine Ahnung, worüber du sprichst, aber ich bin dabei!"
Hermines Augen wurden groß. ,,D-du ... eigentlich solltest du das gar nicht mithören."
Mein Bruder zuckte die Schultern. ,,Zu spät. Also worum geht es?"
,,Hermine hatte die Idee, dass wir lernen müssen, uns zu verteidigen, weil Voldemort ja zurückgekehrt ist", erklärte ich ihm. Hermine warf mir einen pikierten Blick zu. ,,Das geht eigentlich nur Gryffindors, Hufflepuffs und Ravenclaws etwas an. Keine Slytherins."
Jaimes Augen blitzten schalkhaft und ich wusste, dass er einen Plan ausgeheckt hatte, um Hermine ihre Worte bereuen zu lassen. ,,Warum denn keine Slytherins?", fragte er scheinbar unschuldig.
,,W-weil Slytherins niemals mit Muggelstämmigen zusammenarbeiten und uns in der nächsten Sekunde an Umbrigde verraten würden!", stotterte Hermine und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Gleichzeitig schenkte sie Jaime einen trotzigen Blick.
Dieser lachte nur leise. ,,Als ob ich dich an Umbrigde verraten würde. Und habe ich dich jemals schlecht behandelt, nur weil deine Eltern keine Magie gebrauchen können?" Er lehnte sich lässig an den Tisch und sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
,,Ähm, nein- also nicht direkt", brachte Hermine hervor und biss sich auf die Lippe. Sie vermied es ihn anzusehen.
Jaime klatschte grinsend in die Hände. ,,Na, also! Wir sehen uns im Eberkopf, oder?"
Hermine nickte stumm, drehte sich dann schnell um und eilte mit ihren Büchern gegen die Brust gedrückt aus der Bibliothek. Ihr Gesicht war ziemlich rot.
,,Wie kommt es, dass du manchmal in Anwesenheit von ihr nicht einmal vernünftige Sätze stottern kannst und dich an anderen Tagen so großspurig benimmst, dass du Draco locker in den Schatten stellst?", fragte ich trocken.
Jaime zuckte die Schultern. ,,Manchmal paasen eben die Worte und manchmal ist mein Kopf einfach komplett leergefegt." Er kratzte sich gedankenverloren am Kopf. ,,Also ... hast du noch Ideen wegen der Horkruxe?"
Ich durchstöberte meine Unterlagen nach etwas halbwegs Brauchbaren. Ich hatte mir so viele Notizen wie möglich zu Voldemort aufgeschrieben. Ich war wie besessen gewesen. Endlich hatten wir eine Spur, eine winzige Chance ... Ich räusperte mich. ,,Erbe Slytherins, Parselmund, Waisenhaus, Schulsprecher, Kammer des Schreckens, Muggelhasser, Kinder, Selena, schwarze Magie, stolz auf seine Vorfahren, Intelligent und Hogwarts. Das sind meine Stichpunkte grob zusammengefasst. Sie könnten Hinweise auf das Aussehen des Horkruxes geben und wo sie vielleicht verborgen sind."
Mein Bruder schaute moch beeindruckt an. ,,Wow, du scheinst ja wirklich Feuer und Flamme für diese Idee zu sein."
Ich war geschmeichelt.
Ich war wirklich ungewohnt kreativ gewesen. Ich hatte mir nicht nur über die Horkruxe Gedanken gemacht, sondern auch bereits überlegt, wie ich Umbrigde ihre Foltermethoden an Jaime und Harry heimzahlen konnte. Bis jetzt war mein Plan zwar noch nicht ganz ausgereift, aber ich wusste, dass es Zeit war, meine Gabe Parsel zu sprechen wieder zu benutzen. Und es wurde Zeit, meine Killer-Schlange Scar wieder zu beschwören. Wenn ich mir gleichzeitig noch Harrys Tarnumhang "borgen" konnte, war es beinahe unmöglich, dass die Aktion noch schiefgehen konnte.
,,Ich schaue, ob ich vielleicht ein paar Informationen über Voldemort Kindheit im Waisenhaus finden kann", meinte Jaime und kritzelte sich etwas auf einen Fetzen Pergament. ,,Und es wird Zeit mal wieder die Kammer des Schreckens zu öffnen, oder? Wir brauchen schließlich noch einen Vorrat an Basiliskenzähnen. Vielleicht können wir sie an verschiedenen Stellen verstecken, sodass wir immer Zugriff darauf haben ..."
Einzelne Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf, so viele, dass ich diese für einen Moment schließen musste. Ginny, die vollkommen wahnsinnig scheint, die Dunkelheit, die Pfütze, in der ich liege, die Stimme von Voldemort ...
Jamie hatte meinen Blick gemerkt, denn er schaute mich besorgt an. ,,Ich kann auch alleine gehen, wenn du magst."
Ich schüttelte den Kopf. ,,N-nein, wenn, dann machen wir es zusammen." Ich schluckte kurz, dann straffte ich mich. ,,Komm. Bringen wir es hinter uns."

Jaime

Das Mädchenklo war völlig leer, selbst Myrte schien ausgeflogen zu sein. Wortwörtlich.
Ich näherte mich dem lädierten Waschbecken und fuhr sanft mit dem Finger über die eingravierte Schlange.
Meine Schwester stand neben mir und schaute sich immer wieder furchtsam um.
,,Öffne dich", zischte ich auf Parsel und spürte augenblicklich wie der Mechanismus in Gang gesetzt wurde. ,,Ich kann mir zwar bessere Orte als Kammer des Schreckens vorstellen, aber ich muss Slytherin doch bewundern. Dass die Kammer unter dem Mädchenklo liegt, hätte bestimmt niemand erwartet", witzelte ich.
Allana berührte nachdenklich die filigrane Schlange, mit den Gedanken scheinbar woanders. ,,Myrte war sein erster Mord, weißt du das? Voldemort wusste, dass sie unreines Blut hatte und hat den Basilisken auf sie losgelassen ... Er war Fünfzehn, Jaime. Fünfzehn! Er hat mit Fünfzehn seinen ersten Mord begangen!" Sie raufte sich die Haare.
Die Worte Wir sind auch Fünfzehn Jahre alt schwebten unausgesprochen zwischen uns.
Ich räusperte mich unbehaglich und deutete auf den dunklen Schlund vor uns, der endlos lang in die Tiefe zu führen schien. ,,Ladys first?"
Allanas Lippen zuckten leicht. ,,Alter vor Schönheit."
,,Touché." Ich seufzte, zuckte sicherheitshalber meinen Zauberstab und machte einen Schritt nach vorne. Im nächsten Moment fiel ich mehrere Meter, bis sich der Tunnel zu einer Art Rutsche führte in der ich hinabglitt. Es gab weitere Gänge, die von hier abzweigten und ich nahm mir vor, sie alle einmal zu erkunden.
Welche Geheimnisse hier versteckt sein könnten ...
Die Rutsche wurde flacher und ich erkannte ein paar Meter vor mir einen runden Raum, der in einen größeren Saal zu führen schien. Mehrere Felsbrocken lagen an den Wänden herum, als hätte sie jemand beiseite geschafft. Ich rappelte mich auf und sah zu Allana, die hinter mir aus der Röhre kletterte. Ihr Gesicht war bleich.
,,Weißt du, ob Harry während der letzten beiden Jahre noch einmal hier war?"
Allana schüttelte den Kopf. ,,Ich denke nicht."
Vorsichtig stieg ich über die Steine in den anderen Raum. Auch hier musste man Parsel sprechen, um das stählerne Tor zu öffnen.
,,Lass mich das machen", meinte Allana und murmelte leise etwas auf Parsel. Geräuschlos schwang diese auf und offenbarte den Blick auf einen prächtigen Saal. An den Wänden standen Statuen von Schlange, der glatte Boden schimmerte grünlich und am Ende des Saals stand eine riesige, in Stein gemeißelte Figur von Salazar Slytherin persönlich. Ein Glück, dass wir offenbar nicht zu viele Gene Slytherins haben, dachte ich, als ich in das affenartige Gesicht des mächtigen Magiers hochblickte. Obwohl ... vielleicht die Augenbrauen ...
Vor mir befand sich eine Pfütze, die zu einem Wasserbecken zu gehören schien, dass sich ein paar Meter weiter befand. Dort lagen die eingefallenen Überreste einer gigantischen Schlange.
Ich ging ein paar Schritte näher und ließ mich neben dem Körper auf die Knie nieder. Behutsam strich ich mit den Fingern über den Schädel des toten Basilisken. Was für ein Leben er geführt haben musste ... Hunderte von Jahre ohne einen einzigen Strahl Sonnenlicht, dann endlich im Schloss und tötet Myrte. Danach für weitere Fünfzig Jahre eingeschlossen, kurzzeitig freigelassen, geblendet und kurz danach äußerst unspektakulär durch einen zwölfjährigen Jungen getötet, der gerade einmal wusste, wo sich die spitze Seite des Schwertes befand.
Allana blieb bei der Wasserlache stehen und deutete auf einen Punkt am Rande der Pfütze. ,,Da lag ich. Voldemort hat mich hochgehoben und dorthin getragen. Das Tagebuch befand sich nur ein paar Meter weiter, siehst du?"
Tatsächlich. Die kleinere Pfütze, die mir noch gar nicht aufgefallen war, schien dunkler zu sein, als ob- ,,Tinte", murmelte ich.
Allana nickte und setzte sich neben mich. Eine Hand legte sie sachte auf die stumpfen Schuppen des Basilisken. ,,Also ... sollen wir jetzt einfach ein paar Zähne ... mitnehmen?"
Ich strich dem Geschöpf noch ein letztes Mal über den Kopf. Es hätte ein anderes Leben verdient gehabt. ,,Ja, ich denke, wir brauchen die Zähne jetzt dringender als es, nicht wahr?"

Mit vereinter Kraft hebelten wir vier Zähne heraus. Einer für mich und der andere für Allana. Die beiden anderen würden wir an Orten verstecken, auf die wir leicht zugreifen konnten, vielleicht einer im Haus der Blacks ...
Ich warf noch einen letzten Blick auf die Statur unseres Vorfahren. ,,Komm, lass uns gehen. Sonst fällt unsere Abwesenheit noch auf."

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now