Wissen ist Macht

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Allana

Jaime warf mir einen verzweifelten Blick zu. ,,Ahhh ... Hi, Hermine", stotterte er und bemühte sich um ein schiefes Grinsen. ,,Wie geht es dir?"
Hermine rieb sich scheinbar verschlafen über das Gesicht, doch ihre Augen waren verblüffend klar und ganz und gar nicht benommen oder glasig. ,,Geht so ... ziemliche Kopfschmerzen", murmelte sie mit heiserer Stimme.
Jaime nahm dies zum Anlass sich hastig zu entfernen. ,,Ich hole dir etwas Wasser", presste er hervor und sprang dann auf. Im nächsten Augenblick torkelte er aufgrund der unbedachten Bewegung bereits und presste sich die Hände an die Schläfen. ,,Urgh ... alles dreht sich", murmelte er mehr zu sich selbst als zu uns. Dann blinzelte er tapfer und tastete sich an dem Mobiliar entlang,  wobei er dieses äußerst clever als Stütze für seinen noch immer unsicheren Gang gebrauchte.
Ich blickte erneut zu Hermine, die mir einen viel zu taktierenden Blick schenkte als nach einer durchzechten Nacht angemessen wäre.
,,Worum ging es gerade?", fragte mich Hermine stirnrunzelnd.
,,Ich habe keine Ahnung, was du meinst", antwortete ich und war im nächsten Moment wütend auf mich selbst, denn meine Stimme klang viel kälter und distanzierter als zuvor. Sofort setzte ich ein kleines Lächeln auf. ,,Jaime und ich haben nur ein ...  kleines persönliches Problem besprochen, dass er gerade hat. Nichts relevantes." Gleichzeitig verfluchte ich meinen Bruder, der sich einfach so von seinen Problemen davonstahl. Durch diese überstürzte Handlung würde Hermine ganz sicher irgendetwas vermuten. Wit konnten jetzt nur hoffen, dass sie das Gespräch zwischen Jaime und mir als unwichtig einstufte und Harry nichts davon erzählte ... Gleichzeitig wusste sie jedoch nun mit ziemlicher Sicherheit, dass Jaime und ich ein Geheimnis hatten ... Und mir fiel es gerade ziemlich schwer, eine glaubhafte Lösung für das Gespräch zu finden.
Jedoch musste ich zugeben, dass mir Jaime in seinem verkaterten Zustand sicher mehr eine Last gewesen wäre, weshalb es vielleicht doch sogar gut war, dass dieser gerade nicht hier war.
Ich räusperte mich scheinbar verlegen. ,,Eigentlich keine große Sache, aber ... Jaime und ich wollten während der Winterferien in Hogwarts bleiben, um erstens zusammen zu lernen und zweitens ... naja ... wir wissen nicht genau, wo wir sonst hinsollen ..." Ich senkte kurz den Blick als wäre ich beschämt. ,,Jaime ... er wollte nicht, dass du deshalb ein falsches Bild von ihm hast. Er und ich sind nur Freunde, nichts weiter."
So. Nachvolziehbare Lösung gefunden. Ich hatte damit Hermines alte Vermutung aufgegriffen, dass Jaime und ich mehr als nur Freunde seien, zusätzlich noch Mitleid geweckt, indem ich auf unsere zerstörten Familien hingewesen hatte und dies mit passender Verlegenheit und Unbehagen vorgetragen.
Hermine blickte mich noch einen Augenblick an, dann nickte sie leicht. ,,Achso ... alles klar."
Ich blickte die Gryffindor kurz an. Ich wusste nicht, ob Hermine mir tatsächlich glaubte, aber andererseits hatte sie auch keinen Grund an meiner Aussage zu zweifeln - hoffentlich.

Jaime

Ich drückte mir meine kühle Handfläche auf die Stirn und tatsächlich lichteten sich die pochenden Kopfschmerzen darauf ein wenig. Ich atmete erleichtert auf und trottete eilig weiter.
,,Mr Gaunt, ich muss Sie bedauerlicherweise für einen Moment lang stören", meinte eine tiefe Stimme hinter mir. Ich verzog kurz das Gesicht, denn zum einem löste die Stimme in meinem brummenden Schädel ein Dröhnen wie ein Hammerschlag aus, zum anderem kannte ich die dazugehörende Person bereits und ich spürte tiefes Unbehagen in mir, diese erneut zu hören.
Er hat sich sogar meinen Namen gemerkt, da muss ich doch tatsächlich einen prägenden Eindruck hinterlassen haben, dachte ich finster. Und in meinen noch nicht ganz ausgenüchternden Zustand würde es mir außerordentlich schwer fallen,  mit dem Auror ein vernünftiges Gespräch zu führen. ,,Kingsley Shacklebolt", grüßte ich den Zauberer und hoffte, dass mein Lächeln nicht allzu gequält wirkte. ,,Womit habe ich diese Ehre verdient?"
Der dunkelhäutige Zauberer lächelte leicht und schüttelte mir die Hand. ,,Ich würde Sie gerne zu einem kurzen Gespräch mit mir einladen ... nur des Protokolls wegen."
,,Aber natürlich", meinte ich höflich, obwohl meine Gedanken sich überschlugen, ,,darf ich fragen, warum Sie ausgerechnet mich ausgesucht haben?"
Der Auror neigte kurz den Kopf. ,,Sie werden nicht die einzige Person sein, die Gespräche mit uns haben wird, das kann ich Ihnen garantieren."
Ich hob eine Braue. ,,Und trotzdem bin ich die erste Person, die Sie bezüglich Ihrer Untersuchungen ansprechen", stellte ich fest. ,,Gibt es dafür einen bestimmten Grund?"
Der Auror musterte mich kurz, dann nickte er. ,,Tatsächlich gibt es den. Eine ehemalige Lehrerin an dieser Schule - Professor Dolores Umbrigde, ich bin mir sicher, Sie kennen sie noch ... nun, sie hat mehrere Aufzeichnungen über Sie und einige weitere Schüler verfasst, die wir gerne überprüfen würden."
In mir begann es zu brodeln und ich ballte die Hand zur Faust. Umbridge, diese Kröte! Selbst nach ihrer Zeit als albtraumhafte Professorin schaffte sie es trotzdem, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen! ,,Ich verstehe", meinte ich langsam. ,,Nun, unter diesen Umständen wäre ein Gespräch natürlich sinnvoll."
,,Genau."
Ich räusperte mich kurz. ,,Nun denn, ich will Sie nicht länger aufhalten. Wäre das Gespräch "- das Verhör! - ,,in den Winterferien für Sie passend?"
,,Ja, vielen Dank."
,,Nichts zu danken", murmelte ich und entfernte mich nach einem kurzen Nicken hastig von dem Auror.
Oh, das war ganz und gar nicht gut! Umbrigde hatte also tatsächlich Informationen über mich gesammelt ... und möglicherweise auch über Allana. Damit hatten die Auroren bereits einige Vorteile und eine großzügige Menge an Wissen ... Was genau konnten sie bereits über mich in Erfahrung gebracht haben? Durch Umbrigdes Aufzeichnungen wussten sie bestimmt bereits, dass ich ohne Eltern aufgewachsen war, dass mein Haus Slytherin war und ich außerdem ziemlich intelligent war - was ich jedoch lange vor Umbrigde geheimgehalten hatte. Ich verstand mich außerdem nicht gut mit Harry Potter. Die Auroren konnten auch herausfinden, dass ich Parsel beherrschte - ein Fakt, den ich im Nachhinein betrachtet wohl lieber nicht während des dritten Schuljahres der halben Schule gezeigt haben sollte. Am wichtigsten war jedoch, dass ich kein wirkliches Alibi aufweisen konnte, als Voldemort zurückgekehrt war, schließlich war ich tatsächlich auf dem Friedhof gewesen. Auch war ich letztes Jahr verdächtigerweise im Ministerium gewesen, wobei jedoch niemand wusste, wo genau. Und es klaffte eine gewaltige Lücke zwischen unserer Ankunft im Ministerium und dem Duell mit Voldemort, in der niemand außer Allana und Voldemort wusste, was geschehen war.
Apropos Allana. Ich zweifelte nicht daran, dass Umbrigde auch Informationen über meine Schwester zusammengestellt hatte. Auch konnte eine aufmerksame Person schnell herausfinden, dass Allana und ich kurz bevor Voldemort auf dem Friedhof zurückgekehrt war, in das Schloss geeilt waren ... und nur sie wieder herausgekommen war. Außerdem wussten genug Personen, dass Allana und ich gemeinsam im Ministerium gewesen waren.
Auch sonst gab es genug Gemeinsamkeiten zwischen uns: Wir beide kannten unsere Eltern nicht, waren beide ein Jahr später eingeschult worden und waren merkwürdigerweise gut miteinander befreundet, obwohl wir in verschiedenen Häusern waren. Auch konnte Allana ebenfalls mit Schlangen sprechen, was an sich nur Salazar Slytherin und Lord Voldemort persönlich vorbehalten war. Und natürlich Harry und mir.
Ich raufte mir die Haare. Merlin, bei den ganzen Hinweisen war es doch sogar für Außenstehende scheinbar logisch, dass wir Geschwister waren! Selbst Allana und ich hatten es vergleichsweise schnell herausgefunden, warum also machte sich sonst niemand die Mühe, zwei und zwei zusammenzuzählen?!
Nur Luna ahnte natürlich mehr als alle anderen Personen, doch sie war glücklicherweise so in sich selbst versunken - man mochte auch sagen verpeilt - dass ich bezweifelte, dass ihr jemand glauben würde.
Trotzdem. Die Hinweise auf Allana und mich begannen sich zu häufen und drohten, uns unter ihrer schieren Masse zu begraben.

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,,Irgendwann werden wir es ihnen sagen müssen. Die ganze Wahrheit." Die Worte gingen ihr seltsamerweise nicht mehr aus dem Kopf. Jaime hatte dabei resigniert gewirkt. Besorgt. Beinahe schon ängstlich, was ein Verhalten war, welches sie von ihm keineswegs gewöhnt war. Normalerweise war er stets sachlich, häufig sogar sarkastisch oder mockend. Es war ... untypisch für ihn. Und Allana ... Allana war für sie immer der Inbegriff von normal gewesen. Nicht sonderlich herausstechend wie Jaime, jedoch immer aufmerksam und ab und zu ein wenig aufbrausend und stur. Und mit einem Humor, der anstrengenderweise dem von Jaime immer weiter ähnelte.
Sie hatte immer gewusst, dass Allana und Jaime gute Freunde gewesen waren, trotzdem hatte sie nicht geahnt, dass die beiden Geheimnisse miteinander teilten. Und diese waren offenbar zumindest für Jaime enorm wichtig. Allanas Erklärung hätte logisch geklungen - sie klang sogar logisch und plausibel, wäre da nicht Jaimes unüberhörbare Besorgnis  gewesen. Dies passte einfach nicht so recht zu Allanas eher banalen Erklärungsversuch.
Oder?
Hermine seufzte leise und nippte an dem Wasser, das Jaime ihr soeben gebracht hatte. Dieser saß mit Allana auf der Kante des Sofas und schien ihr kurz und knapp etwas mitzuteilen. Sein Haar war noch immer zerzaust und die obersten Knöpfe seines zerknitterten Hemdes geöffnet, was Hermine (wie sie zugeben musste) leicht ablenkte. Allana runzelte gerade leicht die Stirn und strich sich eine braune lockige Strähne aus der Stirn.
Ihre Beine berührten die von Jaime, was eine merkwürdig vertraute Geste war, die Hermine noch nie aufgefallen war ...
Fest stand, dass es etwas gab, dass Jaime und Allana ihr nicht erzählten. Und was immer auch die Wahrheit war - Hermine Granger war sich noch nicht sicher, ob sie diese erfahren wollte.

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now