Familiengespräche

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Jaime

,,Wo wart ihr denn so lange? Wir haben uns schon Sorgen gemacht!"
Allana zuckte auf Sirius' Frage hin nur müde die Schultern. ,,Wir haben nur das Gebäude erkundet und wohl das Zeitgefühl verloren", erklärte sie lahm.
Sirius schien nicht überzeugt von ihrer Ausrede zu sein. Er blickte uns taktierend an. Seine Arme waren verschränkt.
,,Was sie gesagt hat", murmelte ich und deutete auf meine Schwester.
Ein paar Meter weiter standen Harry, Ron und Hermine neben Mr Weasleys Bett. Auch dieser musterte uns neugierig.
Sirius schnaubte und schenkte uns einen strengen Blick. ,,Genauso wie Sela und Reg", grummelte er in seinen Bart. Allana verkrampfte sich unmerklich neben mir.
Er wandte sich an den Rest der Gruppe. ,,Okay, es sind alle da", meinte er gespielt fröhlich und klatschte in die Hände. ,,Dann können wir jetzt wieder zurück."

Beim Grimauldplatz angekommen, führte Sirius Allana und mich in einen mit Teppichen ausgelegten Raum. Er achtete sorgfältig darauf, dass die anderen Besucher des Hauses bereits in der Küche saßen und sah sich um, ob uns jemand folgte. Dann schloss er die Tür hinter uns und verschränkte die Arme. ,,Also. Wo wart ihr?"
Allana und ich tauschten einen hastigen Blick. ,,Nirgendwo", meinten wir dann beide gleichzeitig und Allana fügte ein empörtes ,,Ehrlich!" hinzu.
Sirius' starrer Blick fiel auf mich und ich bemühte mich angestrengt nicht zu blinzeln. So viel Autorität und Ernsthaftigkeit war ich von unserem Onkel gar nicht gewöhnt, der doch sonst nie nachfragte, was wir taten oder uns belehrte. Er erinnerte mich merkwürdigerweise etwas an Mrs Weasley, wenn sie den Zwillingen hinterherspionierte, weil sie vermutete, dass diese Feuerwerkskörper unter ihren Betten horteten.
Ein grimmiges Lächeln erschien auf Sirius' Gesicht. ,,Ich weiß genau, dass ihr nicht die Wahrheit sprecht." Er machte eine ausholende Geste. ,,Euer ganzes Gebahren erinnert mich gerade so sehr an Selena und Regulus. Sie waren genauso, wisst ihr? Haben immer zusammengehalten, egal was sie verbrochen haben."
Sein Augen wirkten auf einmal weicher und sein Blick schweifte in die Ferne. ,,Sie haben so viele Geheimnisse vor mir gehabt." Er stieß ein kurzes Lachen aus. ,,Ich meine, seht euch an! Ihr beide seid ein einziges Geheimnis! Bis vor zwei Jahren wusste ich noch nicht einmal, dass es euch gibt!"
Sein Blick wurde ernster. ,,Ich hätte ihnen helfen können. Hätten sie mir gesagt, in was für einer Klemme sie steckten, ich hätte ihnen um jeden Preis geholfen. Diese ganze Todesser-Kacke ..."
Seine Stimme verlor sich und er fuhr sich durch das Haar. ,,Sie sind beide tot. Meine beiden Geschwister. Ich wünsche mir, dass ihr das niemals erleben müsst." Sirius schloss für eine Moment lang die Augen. Seine Stimme war rau geworden. ,,Ihr sollt nur wissen ... es macht zwar nicht immer den Anschein, aber ich sorge mich um euch und ihr könnt mir alles anvertrauen. Wirklich alles. Bei irgendwelchen Problemen, irgendwelchen Ereignissen ... ich weiß nicht ... Ihr könnt jedenfalls immer mit mir sprechen."
Das hatte ich nicht erwartet. Sirius war zwar aufmunternd und lustig und freundlich gewesen, aber dieses ernsthafte, dieses sorgende, diesen schon beinahe väterliche Verhalten hatte ich ihm nicht zugetraut. Ich war dies einfach nicht gewöhnt. Von niemandem.
Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ihm alles zu erzählen, wirklich alles. Die Wahrheit über unsere Familie, Barty Crouch Junior, Selenas und Regulus' Tod, das Ritual, Sankt Mungo, einfach alles.
Ich erkannte an Allanas Blick, dass sie dasselbe dachte.
Letztendlich schwiegen wir beide.

Einige Tage später erlebten wir in Hogwarts bereits die nächste Überraschung. ,,Massenausbruch aus Askaban", las Allana laut aus der Schlagzeile des Tagespropheten vor und ihr Blick verdunkelte sich mit jedem Wort.
Ich saß gegenüber von ihr und schluckte schnell mein Rührei hinunter. ,,Irgendwelche Namen?"
Sie nickte düster. ,,Bellatrix Lestrange, ehemals Black. Sirius' Cousine."
Mit welchen Mördern sind wir wohl noch alles verwandt?, dachte ich trocken.
,,Außerdem noch Augustus Rookwood und Antonin Dolohow, sowie sieben weitere von Voldemorts Anhängern. Alle saßen in Askaban wegen Spionage, Verrat, Folter und Mord."
,,Aber warum ausgerechnet jetzt?", flüsterte ich. ,,Wenn Voldemort seine Rückkehr doch offenbar geheim halten will, warum dann dieser auffällige Ausbruch? Ich meine, er steht auf dem Titelblatt der Zeitung!"
Allana zuckte die Schultern. ,,Niemand verbindet den Ausbruch mit Voldemort. Schließlich glaubt Harry niemand."
Ich trommelte auf die Tischplatte. ,,Jaa, schon klar, aber warum jetzt?"
,,Er holt zum Schlag aus."
Ich starrte sie an. Sie errötete leicht. ,,Guck nicht so, Jaime! Es macht doch Sinn!"
,,Und genau das macht mir Angst."
Wir schwiegen für einen Moment.
,,Weißt du ... ich habe nachgedacht", meinte Allana dann. ,,Dieses Gedankenlesen -"
,,Legillimentik."
,,Gesundheit. Es scheint bei uns beiden besser zu wirken, was wahrscheinlich an unserer Nähe liegt - emotionale Nähe. Außerdem bei starken Empfindungen und physischen Kontakt. Also Berührungen zum Beispiel." Sie fuhr sich durch das Haar. ,,Vielleicht hilft uns das weiter."
Ich nickte langsam. So ähnliche Theorien hatte ich auch bereits gehabt.
Wir stehen uns wirklich nahe. Darüber hatte ich noch nie so richtig nachgedacht, aber nach dem Gespräch mit Sirius spukte dieser Gedanke wie ein Gespenst in meinem Kopf herum.
Wir hatten dem jeweils anderen bisher alles anvertraut, alle Gefühle und Ängste geteilt, Vertrauen gehabt, das wir sonst niemanden vermitteln konnten. Weil wir niemanden wirklich trauten. Weil wir uns sonst niemanden mehr anvertrauen konnten.
Durch unsere mentale Verbindung würden wir letztendlich keine Geheimnisse mehr voneinander haben. Vollkomenes Vertrauen und vollkommenes Anvertrauen.

Ein weiterer, viel unangenemerer Gedanke bildete sich in meinem Kopf:
Was wenn meine Schwester sterben würde?
Nach dem Gespräch mit Sirius war auch dies unglaublich präsent. Sirius hatte beide seine Geschwister verloren. Selena war vermutlich später als Regulus gestorben. Hatte sie von dem Tod ihres Zwillings gehört? Hatte es sie innerlich zerrissen? Hatte sie-

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, denn Harry und Ron setzten sich neben Allana. ,,Falscher Tisch, Gaunt", meinte Harry in einem trockenen Unterton, gemischt mit Genervtheit.
,,Gleiche Rechte für alle."
Er rollte die Augen und verwickelte dann Allana in ein Gespräch, welchem ich nur mit halben Ohr zuhörte, da mir der Zeitungsartikel tausendmal spannender erschien.
,, ... Dumbledore will, dass ich jetzt Unterricht nehme, um meinen Geist irgendwie zu verschließen ... wegen diesen Träumen ... bei Snape Okklumentik ..."
,,Gesundheit", murmelte ich leise. Allana gluckste. Harry nahm davon keine Notiz.  ,,Jedenfalls ... ich habe keine Lu- Was ist das?"
Ich sah auf. Harrys Finger deutete auf den Tagespropheten. ,,Zeitung."
Harrys Augen sprühten Funken. ,,Danke, Gaunt, für diese unglaublich bedeutenden Worte."
Genau genommen war es nur ein Wort.
Allana warf mir einen mahnenden Blick zu.
Ich seufzte. ,,Es gab einen Massenausbruch aus Askaban. Sind ein paar ziemlich üble Gesellen entkommen."
Harry schnappte sich ungefragt die Zeitung aus meiner Hand und überflog den Artikel. Auch sein Blick wurde mit jeder Sekunde düsterer. ,,Er - Voldemort - plant etwas ..."
No shit, Sherlock!
Ich behielt meine teilnahmslose Miene bei.
Harry runzelte die Stirn, die Hand an die Blitznarbe gedrückt. ,,Wir sollten die DA-Treffen jetzt häufiger abhalten, es wird da draußen immer gefährlicher. Und ich werde Hermines Ratschlag befolgen."
Ich sah auf.
,,Was für ein Ratschlag?", fragte Allana. Harry lächelte und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass er seine nächsten Worte genau an mich richtete. ,,Ich werde ein Interview geben und alles erzählen, was sich letztes Jahr auf dem Friedhof zugetragen hat. Die ganze Wahrheit. Wirklich alles." Er schenkte mir einen kurzen Blick und lächelte dann.
In meiner Wange zuckte ein Muskel.

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now