Das Verhör

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Jaime

,,Ganz ruhig, Jaime."
Ich atmete kurz durch, trotzdem war ich nicht in der Lage meine verkrampften Finger von dem Brotmesser zu lösen. Allana legte ihre kleine Hand auf meine und entzog mir sanft das Messer. Anschließend zog sie meinen Teller zu sich und zerschnitt das Obst darauf.
,,Danke", murmelte ich und fuhr mir kurz mit der Hand über das Gesicht. Diese Geste half mir, meinen Gesichtsausdruck wieder zu neutralisieren. Ich horchte in mich hinein, spürte meinen unregelmäßigen Herzschlag und versuchte ihn mit gleichmäßigen Atemzügen zu verlangsamen. Mit nur mäßigen Erfolg. Ich schluckte den Kloß herunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte und antwortete meiner Schwester mit gemäßigter Stimme. ,,Ich dachte, ich sollte vor Kingsley nervös wirken."
,,Nervös wirken, aber innerlich taktierend", korrigierte mich Allana, ,,und das geht nicht, wenn du jetzt schon so panisch bist, dass du nicht mehr vernünftig denken kannst."
,,Ich bin nicht panisch. Nur beunruhigt." Und das mehr als ich zugeben will.
Kingsley war nicht Dumbledore. Er gehörte zum Ministerium und musste dessen Befehle befolgen. Während Dumbledore schon seit Jahren einen mehr als nur begründeten Verdacht hatte, hatte er trotzdem nie gegen mich eingegriffen. Er beobachtete nur. Dass dies jedoch die Auroren des Ministeriums auch tun würden, bezweifelte ich stark. Im Ministerium wollte man Taten sehen, besonders da die Innenpolitik des Ministeriums gerade einen sehr schlechten Ruf hatte, da es bislang noch keinen Erfolg gegen Voldemort und seine Todesser gegeben hatte. Und was wäre ein größerer Erfolg als Voldemorts "Sohn" gefangen zu nehmen?
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Zähne. Allana und ich hatten in den letzten Tagen alle möglichen Fragen in den Verhör besprochen und gemeinsam überlegt, wie ich diese am besten beantworten und mich dabei verhalten sollte. Dabei waren wir zu dem Schluss gekommen, dass ich mich keinesfalls wie sonst kühl, distanziert und sachlich benehmen sollte, sondern vielmehr stotternd sprechen und ängstlich wirken sollte. Dies würde hoffentlich für weniger Verdacht sorgen. Denn so ein Verhalten war wohl im Anbetracht der Umstände angemessener, während meine sonstige Überheblichkeit und Sachlichkeit nur zusätzlich als verdächtig wahrgenommen werden konnten. Denn wir hatten keinen Zweifel, dass sich so Lord Voldemort verhalten hätte. Und ich durfte nicht noch mehr Ähnlichkeiten mit dem dunkelsten schwarzen Magier aufweisen als ich ohnehin schon hatte.
Seufzend blickte ich auf meine Uhr und erkannte, dass ich mich bereits gleich in dem eilends eingerichteten Büro des Aurors einfinden sollte. Allana drückte kurz meine Hand. ,,Du schaffst das."
Hoffentlich.

Ich klopfte an der Tür und vernahm sogleich Kingsleys ruhige Stimme.
,,Herein."
Ich holte noch einmal tief Luft und rief mir die letzten Tage mit Allana ins Gedächtnis: Innerlich rational bleiben und äußerlich verdammt gut schauspielern. Ich konzentrierte mich auf meine ruhigen gelassenen Atemzüge und langsam lichtete sich der Nebel in meinem Kopf. Ich richtete noch einmal meine Schuluniform, dann betrat ich den Raum.
Kingsleys Büro war nur karg eingerichtet, worauf ich schließen konnte, dass der Auror nicht die Absicht hatte, lange in Hogwarts zu verweilen. Ein rötlicher Schreibtisch befand sich nahezu in der Mitte des Raumes, dahinter saß Kingsley auf einem Stuhl. Seine Hände waren auf den Armlehnen abgelegt, doch als er mich erblickte, erhob er sich rasch und beugte sich zu mir, um mir die Hand zu schütteln. ,,Mr Gaunt, freut mich, dass Sie erschienen sind."
Ich verzog meine Lippen zu einem nervösen Grinsen, was mir nicht sonderlich schwer fiel, denn mein Herz schlug bereits unangenehm gegen meine Brust.
,,Setzen Sie sich ruhig." Der Auror bewegte kurz die Hand und ein bequemer Stuhl mit Polstern erschien vor dem Schreibtisch. Kingsley wartete kurz, bis ich mich gesetzt hatte, bevor er sich wieder auf seinem Stuhl niederließ. Er deutete kurz hinter sich und erst jetzt erkannte ich zwei grimmig blickende Auroren, die stumm an der Wand standen und in den Schatten beinahe unsichtbar gewirkt hatten. Ich zuckte zusammen.
,,Keine Sorge, sie sind nur für des Protokolls wegen hier", meinte Kingsley beruhigend. Dann seufzte er und kramte einen Pergamentbogen und eine Feder aus der Schreibtischschublade hervor. Anschließend griff er in eine weitere Schublade und zog einen Batzen an bekrakelten Pergamenten hervor. Diese wurden mit einer pinken Heftklammer in Form gehalten. Auf dem obersten Blatt stand mein Name. Mir schwahnte Übles und ich rutschte unruhig hin und her, die Augen auf die Unterlagen vor mir fixiert.
Kingsley bemerkte meinen starrenden Blick. ,,Professor Umbrigde hat diese ... Akten über Sie angelegt. Es gab wohl einige ... Spannungen zwischen Ihnen."
Er sah mich aufmerksam an und erwartete offenbar eine Antwort. Ich öffnete den Mund. Kingsley nickte mir aufmunternd zu.
,,Kann man so sagen", meinte ich starr und verfluchte mich dafür, dass meine Stimme flach und tonlos klang. Genau das war doch nicht der Plan gewesen! Ich brachte ein Lächeln zustande. ,,Ich hielt die politische Einmischung des Ministeriums und Umbrigdes Rolle darin einfach für unpassend. Ganz besonders ihre Unterrichtsmethoden." Gleichzeitig hätte ich mir am liebsten die Faust ins Gesicht geschlagen. Warum sprach ich nur immer noch so kontrolliert und beherrscht?! Eigentlich müsste ich gerade irgendwelche sinnlosen Satzfragmente herausblubbern, schließlich war ich ein vermeintlich Unschuldiger, der gerade angeklagt wurde, der Sohn von Lord Voldemort zu sein! Ich seufzte innerlich.
Kingsley blätterte durch die Unterlagen und strich dann ein Blatt Pergament glatt. ,,Nur kurz ein paar allgemeine Daten über Sie ... sagen Sie einfach auf die Frage Ja oder Nein." Der Auror räusperte sich kurz. ,,Der Name lautet Jaime Gaunt?"
,,Ja."
,,Aufgewachsen in London, England?"
,,Ja."
,,Haus Slytherin?"
,,Ja."
,,Sechzehn Jahre alt?"
,,Davon gehe ich aus."
Der Auror hob prompt eine Braue. ,,Sie kennen ihr Geburtsdatum nicht?"
Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein, ich habe meine Eltern nie kennengelernt."
,,Hmm", meinte der Auror und runzelte die Stirn. Dann blätterte er erneut durch die Unterlagen. ,,Haben Sie womöglich etwas über sie in Erfahrung gebracht?"
Ich schnaubte abfällig, wobei ich nun gar nicht schauspielern musste; Wut und Hass auf Voldemort verspürte ich genug. ,,Sie waren eine Enttäuschung für mich, deshalb habe ich es nie für nötig gehalten."
Kingsley machte sich eine kurze Notiz. ,,Und Ihr Nachname? Soweit ich weiß, ist der Name Gaunt einer alten Reinblüterfamilie zugehörig ... haben Sie sich je danach erkundigt?"
Ich zuckte die Schultern. ,,Einige von ihnen sind wohl mal auf Hogwarts zur Schule gegangen. Mehr Aufzeichnungen zu ihrem Verbleib gibt es jedoch nicht."
,,Hmm", meinte Kingsley erneut. Dann setzte er sich etwas gerader hin und faltete die Hände vor sich. ,,Man hat mir gesagt, dass Sie Parsel sprechen."
Diesmal musste ich mich nicht anstrengen, um nervös zu wirken. Tatsächlich wurde mir gerade unangenehm warm und die Schuluniform klebte unangenehm auf meiner Haut. ,,D-das ist ... korrekt", meinte ich nach einem kurzen Zögern und blickte auf die Tischplatte.
,,Und es ist Ihnen nie seltsam vorgekommen?"
Daraufhin konnte ich ein Schnauben nicht unterdrücken. ,,Sir, ich bin bei Muggeln aufgewachsen. In meinem ersten Schuljahr war so ziemlich alles seltsam." Ich hob die Schultern und kratzte mich am Kopf als sei ich verlegen. ,,Und ... naja ... Potter spricht auch Parsel ... deswegen dachte ich, diese Fähigkeit wäre weit verbreitet." Dagegen konnte der Auror nichts sagen, denn jedes Kommentar hätte nun auch gleichzeitig Harry miteingeschlossen  ... Und natürlich war Harry Potter der goldene Junge, der unmöglich auf Voldemorts Seite stehen könnte ...
,,Nachvollziehbar", meinte Kingsley nach einigen Augenblicken des Überlegens und nickte leicht. Anschließend räusperte er sich. ,,Nun, Mr Gaunt, erzählen Sie mir bitte, wo Sie am Tag von Voldemorts Rückkehr waren."
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. ,,Sie meinen am Tag der Dritten Aufgabe des Trimagischen Turniers?"
,,Genau."
Natürlich hatte ich genau diese Frage mit Allana in den letzten Tagen intensiv besprochen. Wir hatten überlegt, wie viel ich von der Wahrheit sagen konnte, ohne mich zu verraten. Und inwieweit Allana mir ein Alibi verschaffen konnte.
Meine Schwester hatte diese Frage gegenüber Snape auch bereits beantworten müssen. Da wir beide nicht wussten, wie viel der Informationen dieser davon an Dumbledore weitergegeben hatte oder wie viel davon die Auroren bereits in Erfahrung gebracht hatten, mussten wir Allanas Alibi so gut wie möglich unverändert lassen. Ihr zufolge hatte sie sich für einige Minuten vom Schlossgelände entfernt und dabei den Todesser Barty Crouch Jr gesehen und ihn von der Weltmeisterschaft wiedererkannt. Daraufhin war sie zurück ins Stadion gelaufen um die Lehrer zu warnen.
Auch Barty Crouch Jr konnten wir nun gut in unser Lügegeflecht einbauen, denn er war bereits tot, konnte unsere Aussagen also nicht verneinen. Auch vermuteten wir, dass er Dumbledore vor dem verheerenden Kuss des Dementors nur wenig über seine Pläne erzählt hatte. Sonst würde ich wahrscheinlich  schon in Askaban sitzen.
Trotzdem war es unglaublich mühselig gewesen, mir aus diesen Bruchstücken ein passendes Alibi zusammenzufrickeln. Ich holte tief Luft. ,,Nun ... ich bin am Anfang auf den Zuschauerrängen im Stadion gewesen", meinte ich langsam und schluckte kurz. ,,Z-zusammen mit Hermine Granger und Allana Diggory ... vielleicht kennen Sie sie."
,,Vielleicht", meinte Kingsley nur und gebot mir fortzufahren.
,,Allana und ich waren nervös, schließlich würde ihr Bruder in der letzten Aufgabe antreten. Zusätzlich fiel mir auf, dass mein Zauberstab weg war ... und natürlich wurde ich noch aufgeregter." Ich holte tief Luft und schloss kurz die Augen. Und nun der schwere Teil. ,,Ich bin also ins Schloss gegangen, während Allana auf den Ländereien gewartet hat ... sie meinte, sie müsse sich kurz beruhigen ... sie ist noch nervöser als ich gewesen, denke ich ..." Ich lächelte gequält. ,,Jedenfalls ... ich habe in der großen Halle nach meinem Zauberstab gesucht und fand ihn dann auch schließlich. Dann habe ich jedoch ein Geräusch gehört und wollte mich umdrehen ... aber ein Zauber hat mich erwischt und ich bin ohnmächtig geworden. Irgendwann - ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war - bin ich wieder aufgewacht und bin zum Stadion gerannt ... ich meine, irgendetwas war da faul, schließlich wurde ich einfach so angegriffen!" Ich ließ ein wenig Empörung in meine Stimme fließen. Dann räusperte ich mich. ,,Später habe ich dann erfahren, dass mein Angreifer vermutlich Barty Crouch Jr war. Allana hat ihn über das Schlossgelände laufen sehen und hat daraufhin die Lehrer gewarnt."
Kingsley blickte mich für einige Augenblicke an. ,,Warum hat der Todesser Sie nicht getötet?", fragte er dann schließlich.
Ich blinzelte. ,,Wie bitte?" Ich verfluchte mich dafür, dass ich bislang noch nicht darüber nachgedacht hatte. Der Auror sah mich nur abwartend an.
,,Ich, äh ...", stotterte ich und versuchte meine Gedanken zu sammeln. ,,Ich ... ich stellte für ihn vermutlich keine Bedrohung dar ... ich meine, ich habe sein Gesicht schließlich nicht gesehen und Potter war vermutlich schon zu der Zeit auf dem Friedhof ... es wäre also egal gewesen." Ich hob die Schultern.
Kingsley musterte mich noch mehrere Sekunden und ich rutschte unter seinem stechenden Blick unruhig hin und her.
,,Sehr gut", meinte der Auror schließlich, ,,ich hoffe sehr, dass Sie die Wahrheit sagen." Seine schwarzen Augen bohrten sich in die meinen. ,,Sie sollten wissen ... wenn Ihre Aussagen nicht übereinstimmen oder wir Hinweise finden, die das Gegenteil vermuten lassen, dann haben Sie mit unangenehmen Konsequenzen zu rechnen."
,,Das ist mir bewusst", meinte ich steif. ,,Darf ich jetzt gehen?"
Der Auror nickte und warf einen letzten Blick auf seine Unterlagen. ,,Eins noch ... Ich hörte, es gab zwischen Ihnen und Harry Potter wiederholt unangenehme Zwischenfälle ... woran liegt das?"
,,Ich denke mal, er vermutet, dass Voldemort mein Vater ist", meinte ich,  bevor ich mich bremsen konnte. Dann verließ ich den Raum.
Erst beim Schließen der Tür wurde ich mir plötzlich  der Tragweite dieses Satzes bewusst. ,,Verdammt!", fluchte ich und raufte mir das Haar. ,,Verdammt!", rief ich erneut und lehnte mich dann plötzlich ermattet gegen die steinerne Wand. Ich habe "Vater" gesagt und nicht vom "Sohn" gesprochen, wie es die Medien bisher taten ... und ich habe seinen Namen genannt.

Seine Erben (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt