Der Tag danach

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Allana

Ich vernahm hastige Schritte und ein dumpfes Geräusch. Dann ein Fluchen. ,,Ich hole Professor McGonagall", rief Neville merklich panisch und kurz darauf wurde die Tür zum Gemeintschaftsraum zugeschlagen. Einen Moment lang herrschte Stille.
,,ICH HABE MIR DAS NICHT EINGEBILDET!", schallte dann Harrys Stimme aus dem Schlafsaal der Jungen und ein paar Betten weiter schreckte Parvati Patil unruhig aus dem Schlaf und rieb sich verwirrt die Augen. Die anderen Mädchen schliefen jedoch weiter.
Die Tür zum Gemeintschaftsraum öffnete sich erneut und ich hörte das vertraute Klicken von McGonagalls Schuhen. Ihre Stimme klang scharf, aber ich vernahm nur einzelne Wortfetzen. ,,Zu Dumbledore ... informieren ... sofort!"
Das Rascheln von Stoff war zu vernehmen und mehrere paar Schuhe bewegten sich rasch an unserem Schlafsaal vorbei.
Dann knallte das Portal ein weiteres Mal zu und nun herrschte vollkommene Stille.
Jaime?, dachte ich. Jaime, bist du da? Kannst du mich hören? Aber bis auf die drückende Leere in Inneren meines Kopfes erhielt ich keine Antwort.

Jaime

Mein Herz schlug noch immer wie verrückt und meine Gedanken rasten. Was war gerade passiert?
Erst hatte ich ganz normal geschlafen, nur um mich dann irgendwie in Harrys Traum wiederzufinden! Und dann war da unerklärlicherweise auch Allana gewesen - oder zumindest ein Teil von ihr. Seufzend rieb ich mir die pochenden Schläfen und schlug kurzerhand die Decke beiseite. Ich musste zu ihr. Vielleicht konnte sie mir genauer erzählen, was vorgefallen war.
Ich zog mir schnell eine Jacke über meinen Schlafanzug und schlüpfte in warme Pantoffeln. Dann griff ich nach meinem Zauberstab und schlich aus dem Gemeinschaftsraum.
,,Lumos", murmelte ich, als ich im Korridor angelangt war, denn es war stockdunkel. Wahrscheinlich erst kurz nach Mitternacht. Ein Blick auf meine Armbanduhr bestätigte diese Vermutung.
Ich stieg hastig die Stufen der Treppen nach oben und bog in einen Gang ab. Dort stieß ich beinahe mit der Morgenmantel tragenden McGonagall zusammen und wäre beinahe ausgerutscht. Ich fluchte unterdrückt und versuchte vergeblich das Gleichgewicht wieder zu erlangen.
,,Mister Gaunt, was treiben Sie um diese Uhrzeit denn noch?"
,,Ich, äh ...", stotterte ich hilflos. Dann sah ich Harry. Sein T-Shirt war feucht von Schweiß, seine Haare zerzaust. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe und er hielt eine Hand an seine Stirn gepresst. An seine Blitznarbe, genauer gesagt.
Mich beschlich ein flaues Gefühl. Hatte er womöglich gespürt, dass ich in seinem Traum eingetaucht war? Wollte er deshalb zu Dumbledore?
Aber diese Befürchtung schien unbegründet, denn Harry schien mich gar nicht wirklich wahrzunehmen.
,,He, Potter, ist alles in Ordnung?", fragte ich, nicht nur um McGonagalls Frage an mich abzulenken.
Er nickte steif. ,,Bin nur vermutlich krank."
Ich wusste, dass dies keinesfalls stimmte, aber ich hatte auch nicht geglaubt, dass Harry mir die Wahrheit sagen würde. ,,Ah, dann ... gute Besserung. Du siehst echt übel aus."
Darauf folgte ein Schnauben und ein trockenes ,,Danke."
McGonagall musterte mich streng. ,,Sofern Sie nicht ebenfalls krank sind und zu Madame Pomfrey müssen, bitte ich Sie nun sich in Ihren Gemeintschaftsraum zu begeben, Gaunt."
,,Natürlich, Professor", meinte ich knapp. Dann würde ich eben morgen mit Allana sprechen. Vermutlich schlief sie ohnehin. Ich beobachtete, wie McGonagall und Harry sich in Richtung Schulleiterbüro entfernten und trat ebenfalls den Rückzug in die Kerker an.

Allana

Ich stand am nächsten Tag so früh wie möglich auf, denn ich bezweifelte nicht, dass Jaime aufgrund des gestrigen Geschehens ebenfalls früher als sonst in der großen Halle sein würde.
Ich sah ihn am Tisch der Slytherins, wo er bereits ungeduldig mit den Fingerspitzen auf den Tisch trommelte. Er hob abrupt den Blick als er mich erkannte und bedeutete mir, mich zu ihm zu setzen.
Jaime wirkte ziemlich bleich, seine Haare waren zerzaust, als hätte er sich in der Nacht im Bett umhergewälzt.
Mein Bruder verplemperte keine Zeit mich zu begrüßen, sondern kam direkt zum Thema. ,,Gestern Nacht", meinte er und fuhr sich durch die Haare, ,,hatte ich einen eigenartigen ... Traum - nein, es war kein Traum, vielmehr eine -"
,,Vision", beendete ich den Satz für ihn.
,,Genaaau", antwortete er gedehnt und bedachte mich mit einem Stirnrunzeln. Er schien nicht genau erkannt zu haben, dass ich ihn gestern in meinen Gedanken gehört hatte. Ich bedeutete ihm fortzufahren, obwohl er mich vermutlich nur allzu gern mit Fragen bombardiert hätte.
,,Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, aber plötzlich schien ich irgendwie ... körperlos zu sein und dann habe ich deine Aura gesehen. Und die von Harry. Sie waren viel heller und deutlicher als die anderen ... irgendwie bin ich in Harrys Gedanken eingetaucht, weil ... sie waren so ungeschützt, ich weiß nicht ... bei dir war zum Beispiel eine Art Hülle vorhanden." Er zuckte die Schultern und fuhr sich durch seine bereits strubbelige Frisur. ,,Jedenfalls ... dann war ich in Harrys Traum, Harrys Vision - du weißt, was ich meine, oder? Alles war vollkommen chaotisch mit so vielen verschiedenen Empfindungen - also von Nagini und Harry, die mit den Meinen gemischt waren. Ich brauchte Schutz davor, also bin ich zu deiner Aura ... und irgendwie haben sich diese Mauern, die deinen Geist blockiert haben, gesenkt." Er zuckte erneut die Schultern, diesmal eine Spur hilfloser. ,,Ich habe keine Ahnung, was genau passiert ist." Nun musterte er mich abwartend. ,,Und du? Hast du auch so etwas geträumt?"
Ich nickte langsam mal dachte an die letzte Nacht zurück. ,,Du hast mir eine Nachricht übermittelt oder? Du hast gesagt, ich sollte dich einlassen."
Jaimes Augen wurden groß. ,,Das ... Du hast das gehört? Wahnsinn", hauchte er, während seine Wangen vor Aufregung einen fiebrigen Glanz annahmen, ,,wir haben tatsächlich irgendwie kommuniziert!"
,,Genau!", stimmte ich ihm zu, ,,und aus irgendeinem Grund war Harrys Vision von Nagini der Auslöser dafür."
Jaime starrte mich an. ,,Woher weißt du, dass Harry eine Vis-"
,,Du warst in meinem Kopf, erinnerst du dich?", unterbrach ich ihn. ,,Und all deine Emotionen, Empfindungen, Sinneseindrücke, das war deswegen auch alles in meinem Kopf."
Sein Mund formte ein stummes "Oh". ,,Und ... was war dann?", fragte er zögerlich. Ich zuckte die Schultern. ,,Ich habe gespürt, dass du und Harry aufgewacht sind. Mr Weasley hatte starke Schmerzen und ziemlichen Blutverlust und Nagini schien ... ziemlich zufrieden mit ihrer Tat zu sein."
Jaime starrte mich stirnrunzelnd an. ,,Und das Ganze hat dich nicht irgendwie panisch werden lassen? Diese ganzen verschiedenen Emotionen und Eindrücke und Geräusche und Wahrnehmungen? Weil bei mir ...", er schüttelte müde den Kopf, ,,dieses ganze Chaos ..."
Ich legte ihm eine Hand auf den Arm und drückte ihn sanft. ,,He, es ist alles wieder in Ordnung, ja?"
Er nickte zögernd und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Dann lächelte er gequält.
,,Also", begann ich, ,,wenn ich unsere Sichtweise gestern vergleiche, schienen meine Eindrücke etwas gefilterter gewesen zu sein. Ich konnte zwischen den einzelnen Empfindungen der Personen unterscheiden."
,,Glück gehabt", murmelte Jaime und rieb sich die Schläfen. ,,Trotzdem ... warum ist das alles geschehen?"
Das war in der Tat eine schwierige Frage. Warum war Jaime von Harrys Vision angezogen worden? Warum war das ausgerechnet gestern geschehen? Warum hatte Jaime meine und Harrys Aura besser wahrnehmen können? Warum hatte Harry eigentlich diesen Traum gehabt? Und ... warum hatte die Schlange ausgerechnet Rons Vater angegriffen?
Die anderen Fragen könnte man vielleicht erklären, schließlich hatte Jaime schon einmal die gleiche Vision wie Harry gehabt. Damals hatten sie beide gesehen, wie ein alter Muggel von Voldemort umgebracht geworden war.
Womöglich hatten wir drei einfach eine engere Verbindung zu Voldemort. Wir alle hatten schließlich irgendwie Gemeinsamkeiten, sei es auch nur durch unser Blut ...
Ich riss die Augen auf. ,,Blut, Jaime! Das wäre eine Möglichkeit!"
Auch Jaimes Augen wurden groß. ,,Du meinst das Ritual im letzten Jahr oder?!", fragte er aufgeregt und hatte somit den gleichen Einfall wie ich gehabt. Ich nickte eifrig. ,,Voldemort ist durch Harrys und dein Blut zurückgekehrt, ihr habt also dadurch eine Verbindung! Und du und ich ... wir sind Geschwister, sogar Zwillinge, unsere Gene und unser Blut wird ähnlich sein! Gleichzeitig ist"- ich senkte meine Stimme zu einem Flüstern - ,,Voldemort unser Vater, was diese Bindung noch einmal stützen könnte."
,,Wir vier sind alle irgendwie physisch und dadurch auch vielleicht mental miteinander verbunden, das würde die Vision erklären und warum deine Aura deutlicher war!", rief Jaime zustimmend aus. Dann runzelte er die Stirn. ,,Aber es ist trotzdem noch unklar, warum diese Verbindung ausgerechnet jetzt auftritt und was Mr Weasley damit zu tun hat. Hast du Ron oder Harry deswegen schon gefragt? Vielleicht wissen sie etwas."
Ich schüttelte stumm den Kopf. ,,Sie schlafen noch. ,,Aber Nagini hat Mr Weasley aus einem bestimmten Grund angegriffen. Vielleicht verrät uns dieser Grund, warum dies geschehen konnte."
Jaime nickte langsam und holte dann einen Streifen Pergament und eine Feder heraus. ,,Vielleicht können wir zumindest diese Verbindung näher darstellen ..." Er schraubte ein Tintenfass auf und schreib den Namen Harry fein säuberlich auf die Mitte des Blattes. Dann zog er einen Strich zu dem Namen Voldemort und schrieb Ritual daran. Von dort zweigten nun zwei Striche zu Jaimes und meinen Namen ab. Bei mir stand Blut daneben, bei Jaime Ritual und Blut. Dann verband er Harrys und seinen eigenen Namen und schrieb ebenfalls Ritual daneben. Als letztes fügte er einen Strich von mir zu sich selbst hinzu. Blut, stand dort geschrieben ,,Tadaa", meinte er und hielt mir den Zettel unter die Nase. ,,Am besten, du merkst ihn dir schnell, ich werde ihn wahrscheinlich in der nächsten halben Stunde verbrennen müssen."
Ich betrachtete den Zettel aufmerksam. ,,Mir scheint, als wäre ich die Einzige, die keine Verbindung zu Harry hat oder? Und du bist der Einzige mit einer doppelten Verbindung zu Voldemort."
,,Hoffen wir mal, dass das nichts zu bedeuten hat", grummelte Jaime finster und steckte den Zettel nur Sekunden später mit seinem Zauberstab in Brand. Die glühende Asche rieselte langsam auf den Steinboden.
,,Jaaa", meinte ich nickend, ,,doch eine Frage ist noch nicht geklärt oder? Warum wurde ausgerechnet Rons Vater von Nagini angegriffen?"

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now