Braun trifft auf Grau

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Jaime

Hermine zuckte beim Klang meiner Stimme merklich zusammen und wischte sich heftig blinzelnd über die Augen. Sie bemühte sich um ein Lächeln, das jedoch kläglich scheiterte. ,,H- Hi, Jai- Jaime ..." Sie schniefte und versuchte eilig wieder ihr tränennasses Gesicht hinter einer Kaskade an Haaren zu verbergen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. War es besser bei ihr zu bleiben? Oder sollte ich lieber wieder wieder gehen, da sie doch so offensichtlich allein sein wollte?
Ich verschränkte nervös die Arme vor der Brust, merkte dann, dass diese Geste wahrscheinlich nicht wirklich passend war und fuchtelte so ein paar peinliche Sekundenbruchteile mit den Händen herum, bevor ich sie eilig in die Taschen meiner Jeans schob.
Ich blickte wieder zu der völlig aufgelösten Hermine. Sollte ich mich zu ihr setzen oder lieber auf Abstand gehen? Mein Oberschenkelmuskel zuckte kurz, als ich mich nach hinten bewegen wollte, doch irgendetwas bewog mich zum Gegenteil: Ich ging einen zögerlichen Schritt. Und noch einen. Und noch einen, bis ich plötzlich genau vor ihr stand. Und nun? Ich überlegte mehrere Sekunden. Dann setzte ich mich in einer Armlänge Abstand neben Hermine auf die kalte Stufe. Sie blickte nicht auf, sondern begann ihre Knie zu umschlingen. Dabei bebten ihre schmalen Schultern unter unterdrückten Schluchzern. Doch sie schien meine plötzliche Nähe wahrzunehmen, denn sie rückte zögerlich näher an mich heran. Nun streiften ihre wuscheligen kastanienbrauben Locken meine Schultern, wie ich überdeutlich wahrnahm. Einige Augenblicke darauf bemerkte ich, dass ich die Hand wie in Trance gehoben hatte, bereit über Hermines ungezähmtes Haar zu streichen. Doch ich stoppte mich in der Bewegung: Die Geste erschien mir merkwürdig intim. Außerdem wusste ich keinesfalls, wie Hermine darauf reagieren würde. Und ich muss zuerst in Erfahrung bringen, was geschehen ist.
Ich räusperte mich unbehaglich. ,,Hermine ... willst du mir sagen, was passiert ist?"
Sie holte tief Luft, dann blickte sie mich an. Ich verlor mich für einen Moment in ihren großen, schimmernden Augen, die viel intensiver zu leuchten schienen und-
,,R-Ron hat Lavender geküsst."
Eine Welle vollkommenen Glücks rauschte durch meine Adern. Mit diesem heftigen Gefühl hatte ich nicht gerechnet, aber ich konnte nicht umhin, es mehr zu genießen als ich eigentlich sollte. Oh, Ron, du hast gerade die Chance deines Lebens weggeworfen! Du hast dich selbst ausgeschaltet und mir freie Bahn gemacht! Falls Hermine noch irgendwelche romantische Emotionen für den trotteligen Rotschopf gehabt hatte, so waren sie nun entweder vorrüber oder von einer Schicht aus Zorn bedeckt ... Womit ich gut leben konnte.
Aber wenn sie tatsächlich wegen Weasley weinte, gingen ihre Gefühle für den Gryffindor vielleicht doch weiter, als ich angenommen hatte ... Und was empfand sie für mich? War ich immer noch ein guter Freund für sie oder war da mehr? Und ... was genau empfand ich eigentlich für sie? Klopfte in der Gegenwart von Freunden auch das Herz schneller? War man in ihrer Gegenwart auch so nervös und wollte um jeden Preis imponieren? War da auch dieser ziehende Krampf im Bauch, wenn man erkannte, dass die Person gerade in Tränen aufgelöst war?
Mein Blick klärte sich und ich bemerkte, dass Hermine mich aus immer noch tränennassen Augen nun abwartend ansah. Anscheinend erwartete sie eine Antwort von mir. ,,Das äh ... tut mir leid", stotterte ich unbeholfen.
Hermine schniefte und wischte sich die letzten Tränenspuren von den Wangen. ,,Danke ... danke, dass du hier bist ... denn das- das bedeutet mir wirklich viel und-"
Ein Kichern ließ uns beide auffahren. Lavender Brown und Ron Weasley kamen um die Ecke, händchenhaltend, giggelnd, knutschend. Beide stoppten aprupt, als sie uns sahen, wobei Rons Blick verlegen von uns zu den ineinander verschränkten Händen von ihm und Lavender wanderte. Sein Gesicht wurde rot. Lavender kicherte peinlich berührt und zwirbelte eine Strähne hinter ihr Ohr. ,,Ohh, wir haben uns wohl im Flur vertan ... es ist wirklich schwer in so einem großen Schloss den Überblick zu behalten, nicht wahr?"
,,Ja", meinte ich anstelle von Hermine knapp, die den Weasley anstarrte, als würde sie ihm am liebsten die Augen auskratzen. Hermine setzte sich etwas gerader hin und reckte herausfordernd den Kopf. Sie weinte nun nicht mehr, sondern hatte die Arme trotzig vor der Brust verschränkt.
Lavenders Blick fiel auf mich. ,,Gaunt, ich habe dich gar nicht erkannt! Ich wusste gar nicht, dass Hermine und du so gut befreundet seid!", rief sie zugleich viel zu ausgelassen aus. Dann ergriff sie Weasleys Arm fester und machte Anstalten, ihn weiterzuziehen. ,,Komm schon, Won-Won, wir suchen uns einen anderen Platz aus."
,,Tatsächlich sind wir nicht befreundet", sagte Hermine deutlich, wobei ihre Stimme plötzlich kalt wie Eis klang. Ich zog die Brauen zusammen. Was meinte sie damit? Waren wir etwa keine Freunde? Warum sonst hatte sie mir anvertraut, weshalb sie weinte? Warum sonst hatte sie sich doch irgendwie gefreut, dass ich bei ihr war?
Zugleich war Ron wie erstarrt stehengeblieben und öffnete sichtbar verwirrt den Mund.
Hermine setzte sich nun etwas aufrechter hin und strich sich mit hocherhobenen Kopf eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie befeuchtete kurz ihre Lippen mit der Zunge (was ich wie hypnotisiert beobachtete) und blickte Ron an. In ihren Augen loderte pures Feuer. Der Weasley schluckte merklich.
Hermine lächelte nun und rückte noch näher zu mir, was meine Gedanken leicht überforderte. Plötzlich umfassten ihre schlanken Finger die meinen und waren nun genauso ineinander verschränkt wie die Hände von Brown und Weasley. Ihre Berührung schickte einen Stromschlag durch meine Adern und mein Herz schlug plötzlich so viel schneller und lauter, dass andere Geräusche ausgeblendet wurden. Ich wollte etwas sagen, irgendetwas sagen, aber meine Kehle war staubtrocken. Ich traute meiner eigenen Stimme nicht.
Hermine blickte das Pärchen vor uns erneut an, diesmal deutlich herablassender. Ich war überrascht, wie schnell diese eben noch verletzliche, am Boden zerstörte, todunglückliche Hermine einer nun scheinbar selbstbewussten, starken Hermine gewichen war.
,,Wir sind nicht befreundet", wiederholte sie. ,,Sondern zusammen."
Stille breitete sich augenblicklich aus. Eine Stille, in der ich überdeutlich wahrnahm, dass Hermine tief Luft holte und sich ihre Hand, die noch immer die meine festhielt, leicht zitterte. Sie reckte sich ein wenig und zog mich am Kragen meines Hemdes leicht zu sich herunter. Einen Augenblick lang sahen wie uns geradewegs in die Augen. Braun trifft auf Grau. Ihr Blick flackerte etwas. Hatte sie Angst? War da Nervosität in ihren Blick? Trotz? Anspannung? Erwartung? Sie schloss die Augen. Und dann küsste sie mich.
Es war, als würde mein Herz explodieren. Ihre Lippen waren weich und die Berührung nicht viel mehr als ein Hauch. Dennoch schien nun alles so viel intensiver zu sein. Ich schloss die Augen und fühlte nun überdeutlich den Kontakt ihrer Lippen und ihre schmale Hand in der meinen. Unter meinen Fingern spürte ich ihren Puls, der mindestens genauso sehr raste wie mein eigener Herzschlag.
Nach ein paar Sekunden lösten wir uns voneinander, wobei mein Herz noch immer wie verrückt schlug. Ron starrte uns geschockt an, Lavender Brown war rot geworden und blickte verlegen zu Boden. Dann zog sie Weasley hastig mit sich davon.
Zurück blieben Hermine und ich, welche die Augen niederschlug, als ich sie anblickte. Dann stand sie zittrig auf, offenbar unsicher, was sie tun sollte. Sie biss sich auf die Lippe. ,,Ich-", stotterte sie plötzlich unbeholfen. ,,Ich wusste nicht- ... ich-" Sie atmete tief ein. ,,Danke, Jaime. Für alles."
Und damit war sie in die entgegengesetzte Richtung verschwunden wie Ron und Lavender.
Ich schloss die Augen.

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now