Zwei Zimmer

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Jamie

,,Das- das heißt, du kennst uns?", hakte ich nach und mein Herz klopfte auf einmal wie verrückt.
Der Hauself nickte so heftig, dass seine Ohren wild flatterten. ,,Ja, Master Jonathan, aber natürlich kenne ich Sie! Sie haben hier mit der Herrin Selena und Ihrer Schwester einige Monate verbracht!"
Wir wurde ganz schwindelig. Einige Monate ... Wir könnten hier so viel Neues entdecken! So viel neues Wissen!
,,Jonathan?", fragte Allana plötzlich scharf. ,,Warum nennst du ihn Jonathan? Sein Name ist Jaime!"
Kreacher sah zwischen uns hin und her und die Runzeln auf seiner Stirn vertieften sich.
Ich musste zugeben, dass ich vollkommen verwirrt war. Das war nicht häufig der Fall.
Kreacher schaute einen Moment lang zwischen uns hin und her, dann weiteten sich seine Augen. ,,Oh, Kreacher hat vergessen, dass die Herrin Selena diesen Namen nicht mochte!" Er sah mich entschuldigend an. ,,Kreacher wird Sie weiterhin Jaime nennen, wenn es dem Herr beliebt", quiekte er und verbeugte sich ehrerbietig.
Ich drückte mir eine Hand an die Schläfe. Diese ganzen neu erworbenen Informationen schwirrten wie Teile eines Puzzles in meinem Kopf herum. Jetzt galt es sie zusammenzufügen.
Ich ging vor dem Hauselfen in die Hocke. ,,Kreacher", meinte ich so ruhig und andächtig wie möglich, ,,kannst du wiederholen, was du eben gesagt hast? Diesmal bitte etwas langsamer und geordneter."
Ich vernahm das Rascheln von Stoff, als Allana sich ebenfalls auf meine Höhe begab.
Der Hauself sah uns nach Erlaubnis suchend an. Allana nickte ermutigend.
,,Sie und Ihre Schwester waren hier etwa einen Monat zu Gast, als dieses ehrenvolle Anwesen leer stand, weil der Herr Sirius zu den Blutsverrätern gegangen ist. Oh, wie sehr hat er seiner Mutter damit das Herz gebrochen, ganz wütend war sie-"
Allana räusperte sich vernehmlich. ,,Wir waren also für kurze Zeit hier mit unserer Mutter. Sonst war niemand hier?"
,,Der Herr Regulus war später erst hier, verboten hat man es ihm und der Herr Sirius war weg, er wollte immer nur weg von dem Haus der Blacks ..."
,,Wo waren wir danach, Kreacher? Kannst du uns darüber etwas sagen?", fragte Allana gespannt weiter.
Der Hauself zuckte seine mageren Schultern. ,,Kreacher weiß nur, dass der Herr Regulus ihr häufig Briefe geschrieben hat."
,,Und dann? Was ist dann geschehen?"
Der Hauself sah sich kurz um und senkte die Stimme. ,,Der Herr Regulus hat immer mehr Briefe geschrieben. Er verließ gar nicht mehr das Haus und hat nur unregelmäßig gegessen, obwohl Kreacher immer gut gekocht hat.
Ein paar Monate später waren der Herr Regulus und Kreacher auf einer Mission. Aber der Herr Regulus ist nicht zurückgekehrt. Er wurde unter Wasser gezerrt, um sich geschlagen hat er, geschrien und-"
,,Das reicht", befahl ich dem Hauself, denn Allanas Augen waren ganz stumpf und ihr Gesicht merklich blasser geworden. Ich nahm sachte ihre Hand.
Ich wusste genau, was sie quälte. Dasselbe, was auch mich beschäftigte, jeden Tag und Nacht: Erinnerungen.
Ich holte einmal tief Luft. ,,Kreacher, kannst du uns das Zimmer von Selena zeigen?"
Der Hauself nickte sofort. ,,Wie die Herren wünschen."

Wir gingen einige Stockwerke nach oben. Hier lag mehr Staub.
Es schien lange her gewesen zu sein, dass jemand diesen Weg gegangen war.
,,Der Herr Sirius ist nicht gern hier oben", quiekte der Hauself, der meine Gedanken erraten zu haben schien, ,,er war seit dem Tod seines Bruders nicht mehr hier."
Ich nickte und fuhr mit einem Finger nachdenklich über das Geländer. Nun war meine gesamte Kuppe mit Staub bedeckt.
Allana ging schweigend hinter mir her, ihre Schritte wurden von der Staubschicht gedämpft. Kreacher führte uns unter vielen Verbeugungen zu zwei beinahe identischen Türen. Auf der Höhe meines Kopfes befanden sich zwei marmorne Schilder. ,,Dieses Zimmer gehört Selena Clarissa Black", las ich laut vor. Clarissa. Ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen. Clarissa, formten meine Lippen lautlos das Wort. Ein schöner Name.
Ich drehte mich zu der Tür rechts daneben um. ,,Und das andere Regulus Arcturus Black."
Ich würde auch gerne einmal Tür an Tür mit meiner Schwester wohnen und alle könnten um unsere Verwandtschaft wissen. Wir bräuchten uns nicht zu verstecken, sondern einfach nur wir selbst sein. Ich schüttelte den Kopf. Wunschdenken, es gibt keine Chance, dass dies jemals der Fall sein wird. Bleib realistisch.
Ich streckte meine Hand nach dem Türknauf aus. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Verschlossen. Ich fluchte.
,,Kreacher", meinte Allana auf einmal, ,,kannst du die Tür öffnen?"
Ich starrte sie perplex an. ,,Du glaubst, dass Kr-"
Im selben Moment schnippste der Hauself einmal mit seinen dürren Fingern und es klickte. Die Tür schwang auf. Langsam betraten wir das Zimmer unserer Mutter.
Ich hatte gehofft hier Hinweise zu finden. Etwas über ihre Vergangenheit. Irgendetwas.
Ich hatte mich noch nie so enttäuscht gefühlt.
Das Zimmer war leer. Vollkommen leer. Keine Möbel, kein Bett, keine Bilder, kein Garnichts!
In meiner Wut schlug ich mit der geballten Faust gegen die Wand.
Allana hielt mich davon ab, meinem Körper noch mehr Schaden zuzufügen, indem sie meinen Arm umklammerte. Ich versuchte mich aus ihrem Griff zu winden. ,,Lass mich los!", presste ich hervor.
,,Dann reiß dich gefälligst zusammen!"
,,Zusammenreißen?!", wiederholte ich. ,,Hier ist nichts, Verdammt! Wie sollen wir sie verstehen, wenn wir keinerlei Hinweise haben?!"
Allana drehte den Kopf. ,,Kreacher!", rief sie.
Der Hauself trippelte beflissen zu uns. Seine Augen wurden groß, als sein Blick auf den kahlen Raum fiel.
Er hatte etwas anderes erwartet, wurde mir klar.
,,Kreacher versteht das nicht", murmelte er, ,,niemand hat den Raum je betreten."
,,Offenbar doch", meinte ich grimmig. Allana nickte zustimmend. ,,Jemand war vor uns da. Und dieser Jemand war offensichtlich mächtig genug, dass Kreacher ihn nicht bemerkt hat."
Ich hob skeptisch eine Braue. Selbst ich könnte mich an diesem alten Geschöpf vorbeischleichen.
Allana, die meinem Blick bemerkt hatte, seufzte übertrieben. ,,Jaime, Hauselfen besitzen uralte Magie! Hast du Hermines Vorträge etwa nie gehört?!"
,,Als ob ich Hermine mit ihrem Belfer-Müll zuhöre!"
Allana beachtete mich nicht. ,,Kreacher war jahrelang Tag und Nacht in diesem Haus. Er müsste doch bemerkt haben, wenn jemand hier war!"
Ich schüttelte den Kopf. ,,Nicht unbedingt", wandte ich ein. Ein Verdacht keimte in mir auf. ,,Hier laufen seit Wochen jede Menge Ordensmitglieder herum. Sie alle kann Kreacher nicht im Auge behalten. Vielleicht war es einer von ihnen. Oder es gibt noch andere Personen, die irgendetwas mit unserer Mutter zu tun haben könnten."
Mir wurde allein schon bei dem Gedanken übel, welche Informationen man hier vielleicht gefunden hatte. Möglicherweise sogar etwas über Allana ...
Meine Schwester schaute mich besorgt an. ,,Dann können wir nur das Beste hoffen."
Und uns auf das Schlimmste gefasst machen.

Allana

Mein Bruder schloss die Tür hinter uns und lehnte sich neben mich an das Treppengeländer. Er fuhr sich durch die Haare. ,,Du musst zugeben, dass diese Suche ein ziemlicher Reinfall war."
Ich zwang mich optimistisch zu bleiben. ,,Immerhin wissen wir jetzt, dass wir nicht die einzigen sind, die an Selena interessiert sind", erklärte ich, obwohl sich auch in meinem Kopf ein schweres Gefühl von einer eindeutigen Niederlage breitmachte. Jaime hatte Recht: All unsere Bemühungen waren erfolglos gewesen und würden es vermutlich auch weiterhin sein. Wie auch, wenn alle Informationen wie von Geisterhand verschwunden waren! Ich seufzte und ließ meine angespannten Schultern kreisen. ,,Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir in der Muggelwelt besser aufgehoben wären. Wir müssten mit der ganzen Sache einfach nichts zu tun haben, wir könnten..." Meine Stimme verklang.
Jaime drehte sich zu mir um, ein besorgter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. ,,Willst du das wirklich?", fragte er ernst, ,,Einfach flüchten? Dein bisheriges Leben hinter dir lassen? Das alles vergessen, was er dir angetan hat?"
Ich schloss kurz die Augen. ,,Nein", gab ich zu, ,,Voldemort wird bezahlen." Dessen war ich mir sicher. ,,Aber irgendwann wird man über unsere wahre Herkunft herausfinden, Jaime. Und dann ist die Muggelwelt wahrscheinlich der einzige Ort, an dem wir uns ungefährdet bewegen können."
,,Vermutlich", stimmte er mir zu, ,,trotzdem, ein Leben ohne jegliche Magie wäre sinnlos für mich. Da würde ich vermutlich sogar den Hass der gesamten Zaubererwelt ertragen." Auf seinem Gesicht bildete sich ein leichtes Grinsen. ,,Ich schreibe dir dann ab und zu mal Briefe, um zu sehen, wie es dir so bei den öden Muggeln ergeht."
Ich schnaubte belustigt. ,,Schick' mir doch gleich eine Postkarte von Hogwarts mit der Überschrift "Ich bin froh, ein Magier zu sein und kein mieser, mickriger Muggel.""
Gleichzeitig riss ich die Augen auf. ,,Jaime, das ist es! Briefe!"
Er hob eine Braue. ,,Jaa?"
,,Überleg doch! Regulus hat unserer Mutter Briefe geschrieben, über Wochen, vielleicht auch über Monate hinweg! Und sie wird ihm über diese Zeitspanne so oft wie möglich geantwortet haben. Und wo glaubst du, liegen diese Antworten, wenn Regulus seinen Raum beinahe nie verlassen hat?" Ich war mit einem Mal wieder vollkommen aufgeregt. In Jaimes Kopf konnte ich förmlich die Zahnräder rattern hören.
,,Wir haben uns das falsche Zimmer angeschaut", murmelte er. In seinem Blick spiegelte sich wieder etwas Hoffnung. Sein Blick heftete sich an die zweite Tür.
Regulus Arcturus Black.

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now