Verstecken der Wahrheit

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Allana

Dumbledore ist auf dem Weg hierher. Allein schon der bloße Gedanke ließ mich zittern. Mit fahrigen Fingern zog ich den Zauberstab aus meiner Tasche und deutete damit auf das Denkarium. Dumbledore durfte nicht wissen, welche Erinnerung ich mir angesehen hatte ... Er durfte keinen Beweis haben, dass überhaupt jemand hier gewesen war!
Ich flüsterte einen Zauber und goldene Fäden stiegen aus dem Denkarium auf ... die Erinnerung ... sie musste wieder in die Phiole-
Warum war diese Erinnerung so wichtig für Dumbledore? Sie war an sich nur bemerkenswert, weil einige Todesser dort angegriffen wurden ... selbst unsere Mutter, deren Name schließlich auf der Phiole stand, war nicht wirklich an dem Geschehen beteiligt gewesen, denn-  Denn Voldemort hatte sie von dem Geschehen ferngehalten. Er- er hatte sie hinter sich gedrängt, damit sie nicht von Zaubern getroffen wurde ... Diese winzige Geste, scheinbar unbedeutend ... und doch offensichtlich verräterisch ... Denn Dumbledore hatte etwas darin erkannt: Er hatte erkannt, dass Voldemort unsere Mutter womöglich ... geschützt hatte. Es klang unvorstellbar, selbst in meinen Ohren, denn Voldemort war ein Ungeheuer und es kümmerte ihn nicht, ob ein Mensch lebte oder starb. Sogar wenn die Person magischen Blutes war und seinen Todessern angehörte, schützte er keinen von ihnen im Notfall. Warum auch? Sie waren bloß seine Diener, mehr nicht. Weder Freunde, noch Gefährten, sondern ihm untergeordnet und unterlegen. Und doch ... Trotzdem hatte er Selena geschützt, was bedeuten musste, dass sie für seine Ziele eine gewisse Wichtigkeit dargestellt hatte ... er hatte ein Motiv verfolgt, einen makaberen Plan, oder aber-

Die Tür öffnete sich. Gleichzeitig packte ich meinen Zauberstab und flüsterte eine magische Formel. Ein simpler Tarnzauber, aber vielleicht-
Dumbledores helle Augen fielen auf mich. Einen Herzschlag später war ich mit der Formel fertig. Aber zu spät. Er hatte mich bereits gesehen.
,,Miss Diggory, Sie können Ihren Zauber wieder aufheben", meinte Dumbledore, in dessen Stimme ein vage amüsierter Tonfall mitschwang. ,,Ich verspreche Ihnen, Sie haben keine Sanktionen zu erwarten."
Seufzend schnippte ich mit dem Zauberstab, woraufhin meine Gestalt wieder sichtbar wurde. Wenigstens hatte Dumbledore nur mich in seinem Büro gefunden und nicht Jaime.
Der Schulleiter deutete auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. ,,Setzen Sie sich ruhig."
Ich trottete langsam zu dem Stuhl und ließ mich darauf nieder. Mein Herz schlug unruhig gegen meine Brust. Ich musste nun Zeit schinden. Gleichzeitig liefen meine Gedanken auf Hochtouren, denn ich brauchte nun unbedingt einen passenden Vorwand, weshalb ich das Büro betreten hatte.
Dumbledore sah mich einige Augenblicke aufmerksam an. Erkannte er nun womöglich ebenfalls die Ähnlichkeit von mir und Selena? Selena, die für Voldemort doch offenbar einen gewissen Wert gehabt hatte? Aber Dumbledore glaubte nur, dass Voldemort einen Sohn hatte und keine Tochter, er würde mich also nicht verdächtigen, sondern weiterhin Jaime ... Oder?
Dumbledore öffnete die Schublade des Schreibtischs. Dann legte er den zerstörten Ring zwischen uns auf den Tisch. Ich musste schlucken und spürte, wie mir schlagartig warm wurde. Er wusste doch nicht etwa-
,,Sind Sie deshalb hier gewesen, Miss Diggory?", fragte Dumbledore sanft.
Ich befeuchtete nervös meine Lippen. ,,Darf ich fragen, wie Sie auf so eine ... Vermutung kommen?", murmelte ich schwach.
Dumbledore musterte den Ring beinahe nachdenklich. ,,Auf einer meiner Expeditionen bin ich auf diesen Rung gestoßen. Allerdings habe ich gespürt, dass ich an diesem speziellen Ort keineswegs allein war." Nun sah er mich direkt aus seinen blauen Augen an, als wollte er geradewegs in mein Innerstes blicken. ,,Jemand war mit mir dort. Jemand, der offensichtlich einen Tarnzauber verwendet hat. Und zwar den gleichen, den Sie vor einigen Sekunden verwendet haben. Was die Frage aufwirft, was Sie hier gesucht haben."
Ich biss mir auf die Lippe. Leugnen schien jetzt sinnlos zu sein, auch hatte Dumbledore hatte mir gerade die perfekte Ausrede geboten. Ich würde ihm die Wahrheit erzählen - oder zumindest einen gewissen Teil davon.
,,Sie haben Recht", begann ich zögerlich, ,,ich war in dem Gebäude." Ich sagte absichtlich Gebäude und nicht Waisenhaus Lord Voldemorts, denn Dumbledore durfte keineswegs ahnen, wie viel ich tatsächlich wusste. ,,Ich war dort, weil ... Ich habe einige Nachforschungen über schwarzmagische Gegenstände angestellt ... darauf kam ich, weil Harry mir von dem Tagebuch erzählt hat, was ebenfalls schwarzmagisch war." Mir war bewusst, dass meine Erzählung ziemlich wirr war, aber das konnte sich als Vorteil herausstellen ... Dumbledore würde mich womöglich unterschätzen ... mich als normales, etwas einfältiges und zweifellos leichtfertiges Mädchen abtun, welches nichts über die wahre Macht der Horkruxe wusste ... ,,Jaa, also das Tagebuch war schwarzmagisch und offenbar gehörte es Lord Voldemort ... und er wäre dadurch beinahe wieder zurückgekehrt ... aber zum Glück hat Harry es zerstört", wiederholte ich Fakten, die Dumbledore bereits kannte und überlegte mir währenddessen mit rasender Geschwindigkeit, wie ich meine Geschichte weiterspinnen konnte. ,,Später hatte Voldemort trotzdem einen richtigen Körper ... also wurde mir klar, dass es noch mehr von diesen Gegenständen geben musste, die Voldemort helfen aufzuerstehen." Ich zuckte die Schultern und ließ meine Stimme ein wenig höher klingen. ,,Ja, also ...", stotterte ich gespielt schüchtern, ,,dann habe ich den Ring gefunden und das ist auch schon alles ..." Ich blickte Dumbledore aus großen Augen an. Hoffentlich kauft er es mir ab.
,,Und wie haben Sie den Ring entdeckt?"
Ja, verdammt, wie sollte ich den Ring entdeckt haben?! Ich durfte dem Schulleiter keinesfalls von meinen telepathischen Fähigkeiten berichten ... und erst recht nicht, dass ich die Horkruxe wahrnehmen konnte! Aber wie konnte ich es sonst erklären? Ich entschied mich für einen weiteren Teil der Wahrheit, obwohl dies bedeutete, dass ich nun doch weiteres Wissen offenlegen musste: ,,Ich habe in den Ferien einige Nachforschungen angestellt ... dadurch habe ich herausgefunden, dass Voldemort dort aufgewachsen ist", gab ich seufzend zu und senkte scheinbar schüchtern den Blick auf die Tischplatte.
Dumbledore nickte offenbar in Gedanken versunken und runzelte leicht die Stirn. Dann klärte sich sein Blick wieder. ,,Welchen Grund haben Sie, dass Sie Voldemort so offensichtlich Schaden zufügen wollen?", fragte er leise und musterte mich genau.
Auf diese Frage musste ich mir keine passende Antwort überlegen: ,,Voldemort hat Cedric getötet. Das werde ich nie vergessen", meinte ich mit schärferer Stimme als eigentlich beabsichtigt. Gleich darauf riss ich mich wieder zusammen und setzte die Maske der ruhigen, unauffälligen, normalen Schülerin wieder auf.
Dumbledore blinzelte, scheinbar überrascht von meiner heftigen Reaktion. ,,Verständlich", murmelte er schließlich und nickte langsam.
Dann stand er auf und streckte mir die Hand hin. ,,Nun denn, Miss Diggory, vielen Dank für das Gespräch. Sie sollten sich jetzt dennoch zu ihrem Schlafsaal aufmachen. Und kommen Sie das nächste Mal bitte nur mit ausdrücklicher Erlaubnis in dieses Büro.
Ich erhob mich hastig und schüttelte Dumbledores Hand zum Abschied. ,,Natürlich, Professor, tut mir wirklich leid, dass ich einfach so in Ihr Büro gegangen bin ... es war dumm von mir." Ich blickte scheinbar betreten zu Boden, bevor ich ein ein reuiges, erleichtertes Lächeln auf mein Gesicht zauberte. ,,Einen schönen Abend noch, Professor."
,,Ihnen auch, Miss Diggory", antwortete Dumbledore und führte mich zur Tür. Ich trat hindurch und hörte, wie sich die Tür hinter mir schloss.
Augenblicklich verschwand das freundliche, erleichterte, naive Lächeln von meinem Gesicht.
Das war besser verlaufen, als ich angenommen hatte.

Ich steuerte auf den leeren Klassenraum zu, in dem Jaime sich befinden musste.
,,Jaime, bist du da drin?", fragte ich in die Dunkelheit hinein. Augenblicke später flammte ein Lichtfunken auf, der das sorgenvolle Gesicht meines Bruders beleuchtete.
,,Al, ist alles in Ordnung bei dir? Ich ... ich hab nur gesehen, dass du dich plötzlich nicht mehr bewegt hast ... und dann ist Draco verschwunden - und wieder aufgetaucht - und Dumbledore war dann plötzlich bei dir ..." Seine Schultern sackten herab. ,,Er hat dich erwischt oder?", fragte er mutlos. ,,Wirst du jetzt von der Schule fliegen o-oder hat Dumbledore irgendetwas erfahren-"
,,Ganz ruhig, Jaime. Dumbledore meinte, ich würde keine Bestrafung bekommen ... und er hat übrigens den Ring zerstört-"
,,Das ist gut!"
,,-wobei er nun allerdings weiß, dass ich ebenfalls im Sommer im Waisenhaus war-"
,,WAS?!"
,,-aber ich habe ihm eine halbwegs glaubwürdige Geschichte aufgetischt, ohne die Horkruxe zu erwähnen ... Ich habe auch herausgefunden, dass er bereits Informationen über unsere Mutter besitzt."
Jaime ließ sich sichtlich ermattet auf einem Stuhl nieder. ,,Was für Informationen?", fragte er tonlos.
,,Dass sie für ihn offenbar eine gewisse Bedeutung hatte. Er hat sie vor mehreren Zaubern geschützt."
Jaime stöhnte und rieb sich den Kopf. ,,Jetzt muss es Potter nur noch bei einer seiner Einzelstunden mit Dumbledore herausrutschen, dass Selena Black deine Mutter war, und wir sind beide geliefert." Er stierte starr in die Dunkelheit. ,,Warum hat er sie überhaupt gerettet, nur um sie später umzubringen?", grummelte er. ,,Das ergibt doch alles keinen Sinn!"
,,Ich weiß", murmelte ich und seufzte leise. Es wurde wirklich immer gefährlicher für uns ... Ein falsches Wort, so scheinbar banal und irrelevant es auch sein mochte, konnte unsere sofortige Enttarnung bedeuten.
Dann fiel mir etwas ein: ,,Was meintest du eben noch über Draco?"

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Er hatte immer gedacht, gute Menschenkenntnis zu besitzen. Schließlich hatte er bereits Tom Riddle zu dessen Schulzeit nicht getraut.
Er wusste nicht, warum ihm beim Anblick des Mädchens nun plötzlich Lord Voldemort in den Sinn kam, aber Dumbledore zweifelte nicht daran, dass diese Überlegung nicht grundlos gewesen war. Irgendetwas an Diggory passte nicht mit seinem bisherigen Bild von ihr überein.
Dazu zählte nicht, dass das Mädchen ohne Hilfe Dinge über Voldemorts wohlbehütete Vergangenheit herausgefunden hatte oder dass sie heimlich in sein Büro eingedrungen war ... - nicht einmal, dass sie vermutlich große Teile ihrer Geschichte erlogen oder wichtige Fakten ausgelassen hatte. Nein. Das war es nicht gewesen. Zumindest nicht nur. Sondern ihr Lächeln. Oder vielmehr: Ihre Augen. Das Lächeln, das sie ihm beim Herausgehen geschenkt hatte, hatte ihre Augen nicht erreicht.
Und das beschäftigte ihn mehr, als er zugeben wollte.

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now