Rettung?

2.4K 221 11
                                    


Jaime

Barty Crouch Jr. besaß mehr Ähnlichkeit mit einer Leiche als einer tatsächlich lebenden Person. Seine Wangen waren grau und ohne jegliche Farbe. Sein Gesicht war eingefallen, das Haar war verfilzt, die Haut spannte sich um seine Knochen, die braunen Augen lagen tief in den Höhlen. Sie wirkten nun stumpf und leblos. Eigentlich müsste Crouch inzwischen mitte Dreißig sein. Er sah aus wie ein alter Mann.
Plötzlich krümmte er sich. ,,Nein, bitte geht weg!", schluchzte er und drückte sich die Hände auf die Ohren. Seine Augen waren zusammengepresst.
Was sollten wir jetzt tun? Ich sah mich zu Allana um, aber sie wirkte nicht minder hilflos. Und schockiert. Ihre Augen waren aufgerissen und ihre Pupillen seltsam geweitet. ,,Wir", hauchte sie den Tränen nahe, ,,wir haben ihm das alles angetan!"
Ich schluckte mühsam, denn ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Sie hatte Recht ... dieses Wrack, dieser mehr tote als lebendiger Mensch ... es war unsere Schuld gewesen.
Ich wollte zu ihr gehen, sie in den Arm nehmen, sie trösten, aber in dem Moment wurde die Tür geöffnet. Eine pummelige Krankenschwester betrat den Raum.
,,Mr Crouch, warum rufen Sie denn so laut? Hier sind Ihre Tabletten, immer schön schlucken, Sie wissen doch-" Sie erstarrte als sie uns sah.
,,Wir ähm- Wir wollten gerade gehen", murmelte ich stotternd.
Auf dem Gesicht der Frau bildete sich ein breites Lächeln, was ihr eine gewisse Ähnlichkeit zu Mrs Weasley gab. ,,Ach, Papperlapapp, ihr beide könnt ruhig bleiben!" Sie schob uns fröhlich in Richtung des Bettes. ,,Woher kennt ihr den jungen Crouch denn?"
Er war ein als Lehrer verkleideter Todesser an unserer Schule, hat mich mit dem Imperius-Fluch belegt, den Mord an Allanas Adoptivbruder unterstützt und wir haben ihn in Gefangenschaft den Kuss eines Dementors ausgesetzt, weshalb er nun so ist, wie Sie ihn gerade sehen. ,,Wir sind entfernte Angehörige", log ich knapp.
Die Krankenschwester nickte scheinbar verstehend. ,,Es tut mir ja so leid, dass ihr ihn so sehen müsst ... sein Zustand ist sehr schlecht. Vermutlich wird er nicht mehr lange leben ... ein Jammer, er ist erst vierunddreißig Jahre alt und beinahe die Hälfte davon hat er in Askaban verbracht ... Oh, Schätzchen, nicht weinen!", meinte sie dann mit einem besorgten Blick auf Allana, die den Tränen nahe war.
,,Al, komm her", murmelte ich leise und streckte meine Arme nach ihr aus. Sie stürzte zu mir und vergrub den Kopf an meiner Brust. Ich strich ihr beruhigend über den Rücken.
Vierunddreißig Jahre ... Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht. Zu jung um so zu enden. Zu jung um zu sterben.
,,Er wird mit vierunddreißig Jahren sterben und zwar nur wegen uns", flüsterte Allana mir schluchzend ins Ohr und sprach somit aus, was wir beide dachten. Hatte sie erneut meine Gedanken gelesen?
Ich schluckte schwer und sah dann die Krankenschwester an. ,,Könnten wir vielleicht noch ... privat mit ihm sprechen?"
In den Augen der Frau funkelten nach Allanas Gefühlsausbruch nun ebenfalls Tränen. ,,Ja- Ja, natürlich. Aber ... ich bezweifle, dass er euch hören kann. Er scheint niemanden von uns wirklich wahrzunehmen, sondern brabbelt meistens nur unverständlich vor sich hin."
,,Bei uns schien er bei Bewusstsein zu sein", entgegnete ich vorsichtig.
Sie blinzelte. ,,Oh ... nun, eigentlich ist das unmöglich, aber vielleicht erinnert er sich an euch ... Kanntet ihr ihn gut?"
,,Flüchtig", meinte ich knapp.
Sie schenkte Allana noch ein aufmunterndes Lächeln und verließ dann das Zimmer.
Ich rüttelte meine Schwester sanft. ,,Hast du das gehört, Al? Wir scheinen vielleicht irgendetwas in ihm ausgelöst zu haben!"
Ich war merkwürdig aufgeregt. Vielleicht konnten wir ihm tatsächlich helfen! Ich stockte. Wollten wir ihm überhaupt helfen? Nach all dem, was er uns angetan hatte? Verdiente er überhaupt eine Linderung seiner Qualen?
Ich blickte erneut auf das Bett, in dem dieser unendlich abgemagerte, todkranke Mensch lag.
Es geht nicht darum, ob er es verdient hat oder nicht, sondern eine gute Tat zu vollbringen. Das sind wir ihm schuldig.
,,Der Meinung bin ich auch", murmelte Allana leise an meiner Brust. Sie schien nun wieder etwas ruhiger zu sein. Jedenfalls weinte sie nicht mehr und ihr Blick wirkte nicht mehr ganz so mutlos. Zumindest hoffte ich das.

Allana

Meine Sicht war noch immer verschwommen von Tränen, als ich auf den skelettartigen, entsetzlich dürren Körper von Barty Crouch Jr. blickte.
Wir mussten ihm helfen ...
Aber konnten wir das überhaupt? Er hatte den Kuss des Dementors erlitten, seine Seele war ausgesaugt worden. Was konnten wir dagegen tun? Konnten wir etwas dagegen tun? Der Kuss des Dementors war das Schrecklichste, was einem Menschen zustoßen konnte. Soweit ich wusste, gab es dafür keine Linderung, geschweige denn ein Heilmittel.
Das ist doch alles umsonst! , dachte ich auf einmal wütend und raufte mir das Haar.
Jaime starrte weiterhin beinahe nachdenklich Crouch an. ,,Wenn wir mit ihm sprechen ... würde er uns verstehen?", fragte er leise.
Ich schluckte. Bei dem Gedanken war mir bereits unwohl zumute. Was sollte ich denn sagen? Sollte ich dabei etwa seine adrige, knochige Hand halten? Das konnte ich nicht über mich bringen. Nicht bei ihm.
Ich befeuchtete zögernd meine Lippen, dann setzte ich mich auf dem Boden neben das Bett. Jaime folgte meinem Beispiel. Er nickte mir zu.
,,Mr Crouch?", fragte ich vorsichtig. ,,Können Sie uns verstehen? Wir sind es ... Jamie und Allana."
Ganz langsam nickte Barty Crouch. Seine Augen waren plötzlich unnatürlich weit aufgerissen und er stierte noch immer an die Decke. Trotzdem ... er hatte zumindest eine Reaktion gezeigt.
,,Ihr", flüsterte er unnatürlich heiser, ,,warum seid ihr gekommen? Ich will dich nur-" Er fing an zu wimmern und krümmte sich. ,,Diese ganzen Stimmen ... Vater, bitte nicht Askaban!"
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. In seinen schrecklichsten Erinnerungen gefangen ...
,,Mr Crouch", meinte Jaime vorsichtig, wenn wir irgendetwas für Sie tun können, dann-"
Crouch's Kopf ruckte plötzlich vor. Er stierte Jaime blicklos mit stumpfen Augen an. ,,Bitte ...", meinte er tonlos, ,,lasst mich sterben."
Jaime Gesichtsausdruck war absolut fassungslos. Geschockt. ,,Mr Crouch, wir können Sie nicht umbringen, das-"
Crouch fing an zu weinen. Er wiegte den Kopf vor und zurück. ,,Aber es soll aufhören ... macht, dass es aufhört!"
Jaime und ich zuckten gleichzeitig zurück, überrumpelt von seinem heftigen Ausbruch. Crouch legte sich sichtlich erschöpft zurück auf die Kissen. Er schluchzte leise und bewegte sich ruckartig hin und her, als würde jede Position Schmerzen für ihn bedeuten ...
Ich merkte, dass erneut Tränen in meinen Augen aufzusteigen drohten. Es darf nicht so enden!
,,Jaime", flüsterte ich, denn mir kam schlagartig ein Gedanke. ,,Offenbar kann Crouch uns ... wahrnehmen ... unsere Stimmen scheint er zu erkennen ... er ist sogar bei Bewusstsein ... vielleicht bewirken wir etwas ... Also, ich meine ... wenn er auf unsere Stimme reagiert, kann er vielleicht auch auf einen Zauber von uns reagieren ... Vielleicht können wir ihm so zumindest ein wenig helfen."
Jaime runzelte die Stirn, schien meinen Vorschlag aber nicht vollständig abgelehnt gegenüber zu sein, denn er nickte leicht. ,,Das ... klingt plausibel", gab er zu. ,,Es wäre einen Versuch wert. An welchen Zauber hast du gedacht?"
,,An den selben wie letztes Mal. Den Patronus-Zauber."
Jaime biss sich auf die Lippe. ,,Es könnte funktionieren, aber ..."
,,Was aber?"
,,Was wäre die Alternative, wenn der Zauber fehlschlägt?"
Daran möchte ich gar nicht denken. Es musste einfach klappen! Ansonsten ...
Ich sah auf die mehr tote als lebendige Gestalt vor mir. Zitternd hob ich den Zauberstab und konzentrierte mich auf meine schönsten Erinnerungen. ,,Expecto Patronum!" Der leuchtende Greif bildete sich aus der Spitze meines Zauberstabs und flog über unsere Köpfe hinweg. Dann landete er auf Crouch's Schulter.
Dessen Züge schienen sich kaum merklich zu entspannen, als würde er die Präsenz des Patronus' fühlen. Seine Augen schienen etwas lebendiger. Dann schloss er sie und sein Körper erschlaffte. Fast so als würde er schlafen.
Es funktionierte tatsächlich! Ich musste vor Erleichterung auflachen und spürte wie eine weitere Träne an meiner Wange hinabrann.
Ich lenkte den Patronus auf Crouch's
Oberkörper und es schien plötzlich fast, als würde der Patronus in seiner Brust verschwinden. Crouch wirkte beinahe friedlich. Ein kleines Lächeln lag auf seinem Gesicht.
,,Al, ich glaube, du kannst aufhören", meinte Jaime gepresst. Ich schenkte ihm einen verwirrten Blick. Der Patronus löste sich auf. ,,Was ist denn los?"
Jaime trat etwas näher an Crouch heran und legte zögernd zwei Finger um das Handgelenk des ehemaligen Todessers. So blieb er wenige Sekunden verharrend stehen, bevor einen Schritt zurück machte. Er holte tief Luft. ,,Er ist tot."

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now