Mord?

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Allana

Er ist tot. Diese drei Worte echoten in meinen Gedanken, prallten von den Wänden meines Geistes zurück und wurden in verstärkter Lautstärke zurückgeworfen.
Er ist tot.
Er ist tot.
Er ist tot.
ER IST TOT.
Der Zauberstab fiel aus meinen gefühllosen Fingern stieß dumpf klappernd auf den hölzernen Boden auf.
,,Oh mein Gott", hauchte ich. Meine Lippen waren merkwürdig taub. Es fiel mir schwer überhaupt Buchstaben zu artikulieren. Mein Mund war wie ausgetrocknet.
Er war wirklich tot.
Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Meine Gliedmaßen zitterten unkontrolliert und ich stützte mich schwer an dem Bettpfosten ab. ,,Ich habe ihn umgebracht ... Ich habe ihn tatsächlich getötet." Meine Stimme war nur noch ein gebrochenes Flüstern.
In meinem Kopf drehte sich alles. Würde man mich vor Gericht bringen? Würde ich dann nach Askaban gebracht werden? Ich hatte einen Menschen umgebracht ... es war keine Absicht gewesen, aber wen kümmerte das schon?
Für so ein Verbrechen gab es eine lebenslange Gefängnisstrafe ... aber ich war noch minderjährig, vielleicht also nur zehn Jahre ...?
Ich sank an der weißen Wand zu Boden und vergrub das Gesicht in den Armen. ,,Was sollen wir jetzt nur tun?!" Mein Kopf war wie leergefegt.
,,Scht, Al, es ist alles gut", hörte ich plötzlich Jaimes beruhigende Stimme. Er strich mir über den Kopf. ,,Du musst dir keine Vorwürfe machen."
,,Keine Vorwürfe?!", wiederholte ich schluchzend und hob den Kopf um meinen Bruder anzusehen. ,,Jaime, ich habe gerade einen Menschen umgebracht, also ist verdammt nochmal nicht alles gut!" Meine Stimme wurde immer hysterischer.
Warum war er so ruhig?!
,,Du hast ihn nicht umgebracht", meinte er merkwürdig sanft. Dann blickte er auf die - ich musste schlucken und ein Kloß bildete sich in meinem Hals - ... Leiche von Barty Crouch Jr. ,,Du hast ihn gerettet."
Ich starrte ihn an. ,,Jaime, du ... du kannst diesen Mo- das nicht einfach als Rettung ansehen! Ein Mensch ist tot!"
Wegen mir.
Jaimes Augen blitzten auf. ,,Der Tod ist für ihn besser als das Leben. Er wollte sterben, du hast ihn doch gehört!"
Ich schüttelte nur den Kopf und presste mir die Finger auf die Schläfen, verzweifelt bemüht einen klaren Gedanken zu fassen. ,,Du verstehst das nicht ... er hätte nicht zu sterben brauchen!"
,,Al, der Tod war eine Erlösung für ihn, meinte Jaime eindringlich, ,,das Leben war nur ... eine Hölle, in die ich- in die wir", verbesserte er sich hastig, ,,ihn geworfen haben. Glaubst du, ich habe mir keine Vorwürfe deswegen gemacht? Glaubst du, ich konnte ich den letzten Monaten je an einen Patronus denken, ohne mich zu erinnern, was ich Crouch angetan habe?!" Seine Stimme klang eindringlich. ,,Aber jetzt ... jetzt haben wir zumindest einen Teil wieder gut gemacht." Er sah mir tief in die Augen. ,,Sein Tod war die einzige Rettung, die für ihn möglich war. Und für uns."

Jaime

Ich sollte geschockt sein. Wirklich. Ein Mensch war gerade vor meinen Augen gestorben.
Ein Teil von mir war auch schockiert. Ein anderer Teil war panisch. Aber trotzdem kam ich nicht umhin, dass sich eine wirklich atemraubende Erleichterung in mir ausbreitete, die ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte.
Wir hatten das Bestmögliche für Crouch getan: Wir hatten seinen Schmerz zumindest für wenige Sekunden gelindert und ihm einen friedvollen Tod ermöglicht. Ds waren wir ihm schuldig gewesen.
Egal, was für ein schrecklicher Mensch Crouch gewesen war, ich hatte es mir nie verziehen, dass wir ihn den Kuss eines Dementors ausgesetzt hatten. Die Erinnerung daran hatte mich verfolgt ... mein eigener Patronus hatte so ein Verbrechen ermöglicht!
Aber jetzt ... jetzt war Crouch ohne Qualen gestorben und - es klang merkwürdig, dies so auszudrücken, ich war noch nicht einmal gläubig - erlöst. Erlöst von den unaussprechlichen Qualen dieser Welt. Und paradoxerweise ebenfalls durch einen Patronus. Das gab mir Hoffnung.
Vielleicht denke ich beim Beschwören eines Patronus nun an diese Erinnerung und habe nicht mehr die Bilder des letzten Jahres vor Augen.
Einen Versuch war es wert.
Doch dazu später. Ich setzte mich neben Allana auf den Boden und nahm ihre Hand. Sie gab ein leises Schniefen von sich und wischte sich über die Augen. Sie lehnte sich leicht bei mir an.
Einige Minuten lang saßen wir einfach nur schweigend da. Und das war auch gut so. Wir beide mussten das Erlebte nun verarbeiten, jeder auf seine Weise.

Ich hörte, wie sich plötzlich Schritte näherten. Die Krankenschwester.
Allana blickte mich panisch an und wollte aufstehen, ich schüttelte nur den Kopf. Es würde schon nichts passieren.
Die Tür wurde geöffnet. ,,Mr Crouch, ihr Brei ist fertig, einen Strohhalm habe ich auch-"
Sie erstarrte als sie uns auf den Boden sitzen sah. Ihr Blick wanderte zu Allanas Gesicht, das voller Tränenspuren war. Dann drehte sie den Kopf in die Richtung von Crouch Jr., der leblos im Bett lag.
Das Tablett in ihrer Hand fiel klappernd zu Boden und der Brei hinterließ kleine Spritzer an den Wänden.
,,Er ist tot", meinte ich überflüssigerweise. ,,Aber er hat endlich seinen Frieden gefunden."
Die Frau starrte noch einige Sekunden fassungslos zu Barty Crouch, dann schien sie sich zu fangen. Sie trippelte zu uns und legte Allana die Hand auf die Stirn. ,,Es tut mir so leid, dass ihr ausgerechnet heute gekommen seid ... hmm unter Schock scheinst du nicht zu stehen." Sie sah unschlüssig zum leblosen Körper von Crouch und dann wieder zu uns. ,,Wollt ihr vielleicht etwas trinken ... ist bestimmt gut für die Nerven und um euch zu beruhigen ..."
,,Schon in Ordnung", murmelte Allana und sah mit leicht glasigen Augen auf das Krankenbett. ,,Es war besser so."
Die Frau nickte leicht und wuselte herum um die Fenster zu öffnen. ,,Ja, wahrscheinlich schon ... es ist ein Jammer, in diesem Alter zu sterben, nicht? Aber wenigstens ist er im Krankenhaus gestorben, nicht in Askaban ..."
Ich runzelte die Stirn. ,,Hat man ihn aus Askaban geholt, als es klar war, dass er todkrank war?"
,,Ja, aber eigentlich ist das nicht das übliche Prozedere ... eigentlich bleibt man in Askaban bis man stirbt. Aber jemanden ging die Situation wohl besonders zu Herzen." Sie zückte den Zauberstab und die Scherben fügten sich wieder zusammen. In einigen Minuten würde Crouch herausgebracht werden, die Laken frisch bezogen, das Zimmer vom Gestank der Krankheit und von Dreck gereinigt und ein neuer Patient würde hier einquartiert werden. Barty Crouch wäre entgültig vergessen. Genau wie hunderte Patienten, die vor ihm hier gelegen hatten und genauso wie hunderte Patienten, die nach ihm hier liegen und vielleicht ihr Ende finden würden.
Hatte Dumbledore die Verlegung von Crouch ins Sankt Mungo veranlasst? Hatte er gehofft, vielleicht noch irgendwie Informationen von Crouch zu bekommen? Oder hatte er es einfach nur aus Mitleid getan? Oder hatte Voldemort seinen treuesten Diener wenigstens ein annehmembares Ende bereiten wollen? Aber das passte einfach nicht zu dem Monster, das wir kannten ...
Ich seufzte schwer. Einige Fragen würden wohl für immer ungelöst bleiben.
Ich zog meine Schwester auf die Füße. ,,Komm. Unser Onkel wartet bestimmt schon auf uns."

Denkt ihr wie Allana, dass der Tod von Barty Crouch Jr. Mord war oder vertretet ihr eher Jaimes Ansicht, dass Crouch nun erlöst und gerettet ist?

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now