Bei den Muggeln

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Jaime

Der Regen prasselte auf die Straße. Es war alles grau, egal ob es die Straße, die umstehenden Gebäude oder der Himmel an sich war. Ich seufzte und drückte meine Stirn gegen die kühle Scheibe. So hatte ich mir meinen Sommer nicht vorgestellt. Die ersten Wochen waren heiß gewesen, viel zu heiß und viel zu trocken und zu schwül. Und heute entlud sich die gesamte Energie in einem riesigem Gewitter.
Missmutig malte ich einen kleinen Smiley mit dem Zeigefinger auf das Glas.
Die gesamten Ferien stellten eine wahre Zumutung für mich dar. Das lag zum größten Teil daran, dass ich mich wieder um Muggel-Waisenhaus befand und hier eine wandelnde Kuriosität war. Immerhin war ich die letzten zwei Jahre praktisch wie vom Erdboden verschwunden gewesen. Als ich mit Allana an diesen Ort - Ort, nicht Zuhause, das hier war keinesfalls mein Zuhause - gekommen war, hatte man uns von allen Seiten misstrauisch beäugt.
Ich hatte mein altes Zimmer bekommen, das nun von einer dicken Staubschicht bedeckt war, selbst das Bett. Hier befanden sich auch noch meine alten Spielzeuge, meine Schulsachen von der Muggel-Schule und die lädierten Bücher.
Es war, als gehörte dieses Zimmer einer vollkommen anderen Person. In gewisser Weise stimmte das auch. Zu jener Zeit hatte ich noch nichts über meine Fähigkeiten geahnt, über meine Schwester, über meine Eltern ... Ich verzog das Gesicht. Auf dieses Wissen hätte ich auch gut verzichten können.
,,Jaime, kann ich kurz deinen Computer benutzen?", rief Allana aus dem Flur und betrat das Zimmer. Ihre Haare waren etwas länger und welliger geworden, ihr Gesicht war schmaler als noch vor einigen Wochen. Sie war um ein paar Zentimeter gewachsen, trotzdem war ich dank meines rasanten Wachstums inzwischen fast einen halben Kopf größer als sie.
,,Klar", meinte ich und drehte mich wieder zum Fenster um.
Allana hatte hatte sich hier in der Muggelwelt ziemlich schnell eingewöhnt. Sie hatte binnen eines Tages begriffen, dass sich Photos in der Muggelwelt nicht bewegen konnten und schaffte es nun auch Worte der Muggel, wie zum Beispiel Spülmaschine, Fernseher und Internet flüssig in ihre Wortwahl einzubinden. Generell schien es ihr in der Muggelwelt zu gefallen, was ich persönlich nicht nachvollziehen konnte. Sie hatte sich bei meiner Frage danach durch die Haare gefahren und erklärt, dass diese sie ablenken würde. Das wiederum verstand ich nur zu gut. Zugegebenermaßen erging es mir dabei ähnlich. Letztes Jahr hatten wir in der Zaubererwelt so viele schreckliche Dinge erlebt. Aber das wäre nur ein Teil der Wahrheit. Wir hatten außerdem so viel Grausames über unsere Familie erfahren - vor allem über unseren Vater.
Ich ballte die Hand einen Moment lang zur Faust, dann lockerte ich sie wieder. Die halbmondförmigen Abdrücke meiner Fingernägel blieben noch einige Sekunden lang bestehen.
Aber auch dies waren nicht alle Veränderungen des letzten Jahres gewesen.
Auch wir hatten ein Verbrechen begangen, dass von Grausamkeit eigentlich gar nicht mehr zu übertreffen war. So war auch einer meiner neu entwickelten Grundsätze entstanden: In jedem Mensch schlummert das Böse. Es wartet nur darauf entfesselt zu werden. Wir hatten unser beider Innerstes Böse gefunden, als wir Crouch Jr. durch meinem Patronus einem Dementor ausgeliefert hatten. Meine schlimmste Erinnerung, hervorgerufen durch meine glücklichste Erinnerung. Was für ein krankes Paradox.
Ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kiefer; ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich die Zähne zusammen gebissen hatte.
Ich sah erneut aus dem Fenster und zuckte zusammen. Eine Gestalt stand dort im Regen. Eine Gestalt, die bis vor ein paar Sekunden noch nicht da gewesen war. Sie stand mitten auf der Straße und schien in meine Richtung zu blicken. Nein, korrigierte ich mich und ein Schauer lief über meinen Rücken, sie sah mich direkt an.
Mein Herz fing an zu rasen. Konnte der Mann - ich war mir ziemlich sicher, dass es ein Mann war, obwohl er eine Kapuze trug - womöglich einer der Todesser sein? Handelte er auf Voldemorts Anweisung? Kam er um uns zu töten? Oder sollte er uns zu ihm bringen?
Ich wandte mich vom Fenster ab und achtete genau darauf, dass die Person nicht sehen konnte, dass ich anfing zu sprechen. Vielleicht dachte er ja, ich wäre allein und würde nicht mit Allana rechnen ... Aber Voldemort hatte uns bestimmt die Ferien über im Auge behalten ...
,,Al", murmelte ich, ,,da steht ein Mann vor unserem Fenster."
Sie wirbelte herum, ihre Hand hielt sofort den Zauberstab umklammert. Sie hatte sich angewöhnt, ihn immer mit sich herumzutragen, so wie auch ich. Nach den Ereignissen im letzten Jahr waren wir beide ziemlich vorsichtig geworden.
,,Erkennst du ihn?", fragte sie mit fester Stimme.
Ich schüttelte unmerklich den Kopf. ,,Kapuze."
Ich griff nach dem Zauberstab, der auf dem Schreibtisch lag. Wir durften zwar in den Ferien nicht zaubern, aber womöglich war das hier ein Notfall.
,,Was sollen wir jetzt tun?"
Mit einem Mal kam ich mir lächerlich vor. Da war nur ein Mann vor unserem Fenster, der uns vielleicht zufällig angesehen hatte. Das bedeutete nichts!
,,Ach, ist vermutlich doch nur so ein Muggel", meinte ich betont locker und steckte den Zauberstab ein. Dann sah ich aus dem Fenster. ,,Er ist weg." Ich schaute nach links und nach rechts, ob er eventuell die Straße entlang ging, aber auch dort befand sich keine Menschenseele. Es war, als hätte sich der Mann einfach so in Luft aufgelöst.
Mir war unwohl zumute.
Dann hörte ich ein kaum wahrnehmbares Knarzen, als die Tür des Hauses geöffnet wurde. Schritte ertönten, als jemand eintrat.
,,Ist das-?", fragte Allana atemlos. Ich nickte grimmig. ,,Vermutlich." Gleichzeitig spürte ich, wie der Schweiß in mir ausbrach.
,,Dritte Zimmer von links, erstes Geschoss", vernahm ich die wie immer leicht schrille Stimme von Mrs. Moon, der Heimleiterin.
Jemand ging die Treppe nach oben.
,,Das ist unser Zimmer, nicht wahr?"
Ich blieb ihr eine Antwort schuldig. ,,Geh rechts neben die Tür. Ich gehe links. Wir werden ihn überraschen. Versuchen wir ihn ohne Magie zu überwältigen."
Sie nickte und schlich zur Tür. Ihre Fäuste waren geballt.
Er öffnet die Tür. Sein Blick ist nach vorne gerichtet. Aus den Augenwinkeln nimmt er eine Bewegung wahr, aber da hat Allanas Faust ihn schon in der Magengegend getroffen. Er krümmt sich und will nach ihr greifen, aber da habe ich ihm schon mit aller Kraft auf den Hinterkopf geschlagen. Er sackt zusammen, bewusstlos. Ich sah diese Szenarie so, als würde sie tatsächlich geschehen. Die Tür zu unserem Zimmer wurde vorsichtig aufgeschoben. Der Mann trat ein und drehte den Kopf, als er niemanden im Zimmer sah. Allana schlug ihm von hinten auf dem Kopf. Er fuhr zu ihr herum. ,,Au, was zum-?"
Allana hielt mitten in der Bewegung und legte den Kopf schief. Ich war drauf und dran den Fremden einfach die Faust gegen die Schläfe zu rammen, aber Allana hinderte mich. ,,Jaime, Stopp!"
Ich erstarrte, die Fäuste noch immer erhoben. Erst jetzt zog sich der Mann die Kapuze vom Kopf. Sein dunkles Haar war etwas länger, als bei normalen Menschen und leicht gewellt. Er besaß einen kurzen Bart und stechende braune Augen. Er kam mir bekannt vor.
,,Ich hätte mir eine schönere Begegnung mit meiner Nichte und meinem Neffen vorstellen können ... verzeiht mir, wenn ich euch erschrocken habe, aber mein Gesicht ist noch immer recht bekannt, deswegen die Kapuze ..." Er streckte mir die Hand hin. ,,Wir wurden einander noch nicht offiziell vorgestellt, unsere erste Begegnung ist ja etwas unglücklich verlaufen ..."
Ich erinnerte mich an die Heulende Hütte zurück. Unglücklich war noch untertrieben ...
,,Jaa", stammelte ich und schüttelte die Hand meines Onkels. ,,Jaime."
Er grinste leicht. ,,Sirius."

So, das ist das erste Kapitel des neuen Teils. Eure Rückmeldung und Vorschläge waren wirklich phänomenal und ich habe auch schon einige Überlegungen angestellt, wie ich sie am besten in dieser Geschichte einbringen kann, da mir viele wirklich gut gefallen und ich auch schon ähnliche Ideen hatte.
Also viel Spaß noch beim Lesen!
Das tolle Cover ist übrigens von Sprossi_ , vielen Dank dafür!

Seine Erben (2)Where stories live. Discover now