Was haben sie dir angetan ?

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  An diesem Tag rief ich nicht wie gewöhnlich alle zum Mittagessen auf.
Ich hatte kaum noch Kraft. Immer wieder poppten die Bilder von ihm auf und verschwanden dann wieder.
Es war schlimm ihn dort zu sehen,mit Schmerzen,als wäre er gefoltert worden. Aber dadurch,dass ich ihn so wenig sah,dass ich ihn vermisste,trafen sie einen Wunden Punkt.
Nach gefühlten zehn Takes war eine Szene dann abgedreht. Erleichtert schloss ich die Augen als die Bildschirme schwarz wurden und diese grausamen Bilder endlich verschwanden. Doch noch immer spukten sie in meinem Kopf herum. Noch immer hatte ich vor Augen wie er diese Leute bittend angeschaut hat. Als würde er verzweifelt darum beten,dass sie aufhörten. Dass diese Schmerzen,die er hatte aufhörten.
"Jennifer,was stehst du so dumm rum? Weiter geht's,eine Szene schaffen wir heute noch."rief Mark.
Ich sah ihn durch die verschwommene Schicht von Tränen an. "Bitte Mark. Ich hab's verstanden. Ich schwöre,ich werde weinen!"
Mark lächelte mich an und für einen kurzen Moment dachte ich,er würde nachgeben. Aber dann blitzte er mich wieder an. "Wir haben ja gesehen wie gut du es gestern hinbekommen hast."
Dann brüllte er über das Set,es sollten sich alle hinstellen.
Innerlich wappnete ich mich schon auf die Dinge,die sie mir als nächstes zeigen würden. Ich versuchte tief durchzuatmen,mich zu beruhigen.
Umso schneller es klappen würde,desto schneller würden wir fertig sein.
Doch als die Bilder dann aufleuchteten konnte ich mich nicht mehr beruhigen. Josh sprach direkt mit der Kamera,seine Augen,die anfingen Tränen zu bilden, drückten so viel Schmerz und Leid aus. Automatisch fingen die Tränen an zu Rollen,ich konnte sie nicht mehr zurückhalten. "Was haben sie dir angetan?"flüsterte ich mit erstickter Stimme. Meine Beine fingen an zu zittern,als ich sah,wie sie ihm Schläge verpassten. Und dann endete der Clip plötzlich und wurde nochmal gezeigt,bis sie irgendwann nur noch zeigten,wie er Schläge bekam.
Ich sah nichts mehr durch meine verschwommene Sicht,nur noch wie seine Silhouette bei jedem einzelnen Schlag zusammenzuckte,und alles was ich hörte war wie seine Stimme brach. Ich konnte das nicht mehr ertragen. Völlig kraftlos sank ich auf die Knie und presste mir die Hände gegen den Kopf um diese Bilder verschwinden zu lassen. Aber sie blieben. Sie gingen nicht. Immer wieder sah ich sein Gesicht vor mir,das die Spuren von der Folter aufwies,und seine Augen,die seine innere Zerbrochenheit widerspiegelten.

"Leute,das reicht jetzt."hörte ich Liam rufen. Ich merkte,wie er an meine Seite kam und mich in seine Arme zog. Im Raum war es plötzlich still. Alles was man hörte war mein elendiges Schluchzen. "Liam..."schluchzte ich und wurde von einem neuen Zitteranfall durchschüttelt. "Was haben sie mit ihm gemacht?" Meine Stimme wankte mit jedem Wort,bis sie plötzlich abbrach.
"Alles gut. Du hast doch gestern mit ihm geredet. Es geht ihm gut."
Meine Tränen wollten nicht stoppen. "Er hat so gelitten."schluchzte ich weiter. "Jen."sagte Liam bestimmt. "Sie haben diese Aufnahmen um genau diese Reaktion bei dir auszulösen. Sie wissen,welche Knöpfe sie drücken müssen."
Das war der Moment in dem ich wieder realisierte worum es hier eigentlich ging. Um einen Film. Um Entertainment. Ums Zuschauer Bespaßen.
Wut mischte sich unter die Tränen.
Sie spielten mit meinen Gefühlen um die Szene perfekt hinzubekommen.
Es dauerte nicht lange,da ebbten die Schluchzer und die Tränen ab.
Stattdessen zitterte ich vor Zorn.
"So das war's für diese Woche. Wir sehen uns Montag."rief Francis in den Raum. All die Statisten verließen das Set,wohlbeachtet einen großen Bogen um mich zu machen. Anscheinend hatten sie Angst,dass ich sie gleich angreifen würde,so wütend musste ich schauen.
Ich stand auf,löste mich aus Liams Armen und ging geradewegs auf Francis und Mark zu. "Ihr habt mit meinen Gefühlen gespielt nur um eine perfekte Leistung zu bekommen!"sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
"Nenn es wie du willst. Wir haben lediglich ein wenig nachgeholfen."meinte Mark und zuckte die Schultern,als hätten das für ihn alles keine Bedeutung.
"Ihr habt mich manipuliert. Ihr wusstest genau,dass ich ihn vermisse,und dass ich mich um ihn Sorge! Ihr wolltet extra noch mal in der Wunde rumstechen!"schrie ich.
Mark kam dicht an mich heran. "Jetzt Hör mal zu Mädchen. Ich weiß nicht,warum du diesen ganzen Erfolg zugespielt bekommst wenn du so schlecht bist,dass wir schon nachhelfen müssen. Wir Casten Leute auf hohem Niveau,nicht Leute die eine einzige emotionale Szene nicht hinbekommen!"
Mit diesen Worten ging er an mir vorbei. Es tat weh so etwas zu hören.
Ich wusste,dass ich es konnte. Und ich wusste,dass ich auch diese Szene geschafft hätte,an einem anderen Tag,unter anderen Bedingungen.
Aber vor allem Tat es weh,weil ich schon so oft genug an mir zweifelte. Ich hatte das Gefühl das Schauspielern das Einzige war,was ich wirklich und vollkommen verstand. Sowas gesagt zu bekommen warf einen enorm zurück.
"Und das du zugestimmt hast Francis."murmelte ich und sah ihn fassungslos an. "Ich dachte wir wären sowas wie Freunde."
"Es tut mir Leid. Ich weiß,dass Mark zu weit gegangen ist. Es war wirklich nicht fair,die Szene so aufzunehmen.
Ich weiß nicht,warum ich mich immer wieder auf die Ideen dieses Mannes einlasse. Aber lass dir nicht sagen,dass du eine schlechte Schauspielerin bist. Das bist du nicht und das weiß jeder hier."
Ich nickte ihm zu und ging dann zurück zu den Appartements. Ich verstand Francis. Auch er stand zum größten Teil unter dem Einfluss Marks und der anderen Produzenten.
Letztendlich saßen die am längeren Hebel. Und wer wollte schon gern gefeuert werden?

"Hi Jen! Ist es heute besser gelaufen?" fragte Jena als ich die Tür öffnete. Allein der Gedanke an den Dreh,an diese Bilder trieb mir Tränen in die Augen. "Lass uns lieber nicht darüber reden."meinte ich.
Sie öffnete ihre Arme und zog mich zu sich. "Hat es schon wieder nicht geklappt?"
Ich schüttelte den Kopf. "Die haben mir Bilder von Josh gezeigt. Wie er Schmerzen hatte und Spuren von Folter an seinem Körper zu sehen waren. Nur um die perfekte Aufnahme zu bekommen."
Jetzt wo die Wut allmählich verschwand,nahm diese Bilder wieder ihren Platz ein. Ich merkte,wie meine Augen feucht wurden. "Es tat so weh."flüsterte ich.
Ich merkte wie Jenas Griff sich verstärkte und sie sich anspannte.
Wenige Sekunden später löste sie sich und lief aus der Tür. "Diese Arschlöcher!"schrie sie wütend und ich sah,wie sie aufs Set zurannte.
Ich überlegte kurz,ob ich hier hinterherlaufen sollte,entschied mich aber dagegen. Meine Kraftreserven waren aufgebraucht,der heutige Tag hatte mir den Rest geraubt. Auf Schlaf diese Nacht brauchte ich gar nicht erst zu hoffen. Mich würden bloß wieder Alpträume plagen.


Stattdessen verkroch ich mich in meinem Bett. Telefonierte mit meiner Mom und meinen Brüdern und erzählte ihnen absichtlich nichts von den Vorfällen. Meine Brüder würden sich vor Wut in den nächsten Flieger setzen um diese Typen zusammenzuschreien.
Doch dennoch gab mir die Tatsache,dass alle in einer solchen Situation da waren und sich nicht scheuten mich zu verteidigen,ein warmes Gefühl im Bauch.
Jena war erst nach einer Stunde wieder gekommen und erzählte mir lachend wie die Produzenten sie am Ende nur noch ängstlich angeschaut hatten. "Das hättest du wirklich nicht tun müssen."sagte ich. "Nachher hast du durch mich noch Ärger."
"Ach."sie machte eine wegwerfende Handbewegung. "Den habe ich auch so. Außerdem ist es meine Pflicht als deine Wohngenossin und Freundin dich zu verteidigen."meinte sie lächelnd und nahm meine Hand.
Ich lächelte zurück und fühlte mich gleich viel besser.

Am Abend bat ich dann Josh,mich per Skype anzurufen. Er ließ sich extra seinen Laptop von Michelle bringen,damit wir uns sehen konnten.
Bevor der Anruf einging starrte ich auf den Bildschirm und versuchte meine verkrampften Hände loszulassen,die ich die ganze Zeit schmerzhaft ineinander gepresst hatte. Ich bildete mir die ganze Zeit ein,diese Bilder auf dem Bildschirm zu sehen. Und als Josh dann endlich anrief,untersuchte ich sein Gesicht genau nach Blessuren und blauen Flecken. Doch der Josh,der mich angerufen hatte sah gesund aus. Sein Gesicht war nicht eingefallen,er hatte keine blauen Flecken.
Sein Blick war nicht voller Leiden,sondern voller Freude als er mich sah. Es ging ihm gut.
"Jen!"rief er aus und strahlte.
"Hi."antwortete ich und winkte. Noch immer war ich damit beschäftigt ihn über den Bildschirm zu beobachten und zu untersuchen.
"Was machst du da?"fragte er unsicher. "Hab ich irgendwas im Gesicht oder so?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein zum Glück nicht."
Er sah mich fragend an.
"Heute am Set haben sie mir Bilder gezeigt. Von dir,wie du gefoltert warst und am Gelitten hast. "
"Ach das waren sicher die Szenen,die ich vor dem Dreh gefilmt habe."
"Das glaube ich nicht. Ich bezweifle,dass sie das in den Film schneiden."
Josh nickte. "Mir kam einiges auch komisch vor. Das stand so gar nicht im Skript."
Dann sah er mich genauer an. "Hast du geweint?"
Es brachte nichts zu Lügen. Er fand das meiste sowieso raus.
"Ja."gab ich zu.
"Warum haben sie dir die Bilder überhaupt gezeigt?"
"Damit sie die richtige Emotion bekommen. Sie wollten mich in eine ähnliche Situation versetzen."meinte ich und noch immer Klang ein Teil dieser unbändigen Wut mit.
Josh's Hände ballten sich zu Fäusten. "Das war wieder Mark,oder?"
Ich nickte.
"Kann dieser Idiot nicht aufhören dir so weh zu tun? Verdammt ich-"
Irrte ich mich oder glitzerten da Tränen in seinen Augen? "Ich kann es nicht ertragen solche Dinge zu hören und dann nicht bei dir zu sein! Ich will dich endlich sicher in meinen Armen wissen,vorher Kriege ich kaum ein Auge zu."
Ich sah ihn gerührt an. "Josh ich liebe dich."flüsterte ich.
Ihm lief eine einzelne Träne über die Wange. "Ich dich auch. So sehr."
Er legte seine Hand auf den Bildschirm und ich presste meine gegen seine. Wie sehr wünschte ich mir,ihn in echt zu berühren.

Am Wochenende gingen Jena und ich in die Stadt. Wir gingen in unser Lieblingscafe von letzten Jahr und konnten ein wenig quatschen,bevor wir uns entschlossen durch die Stadt zu schlendern. Ein Stand bot eine riesige Auswahl an Sportfanartikeln an. Zuerst übersahen wir ihn und waren eigentlich schon vorbei gegangen,als mir etwas einfiel. In einer Woche war ja Blaine's Hochzeit. Es war nicht so als hätte ich kein Geschenk. Carson und Blaine würden einen Trip nach Bali bekommen,so wie sie es sich immer erträumt hatten. Zuvor hatte ihnen immer das Geld gefehlt,nun, zu ihrer Hochzeit würde ich ihnen diese langersehnte Reise schenken.
Aber mir fehlte das Persönliche daran. Meine Auge durchsuchten den Stapel von T Shirts und Hosen,bis die auf etwas stoßen,das mich grinsen ließ. "Das ist es."murmelte ich und fischte das rote T Shirt aus dem Stapel. Es war eine Mini Version eines T Shirts der Cardinals,eines Sportvereins für den meine ganze Familie,gerade Blaine brannte.
Und dieses T Shirt stand für eine neue Generation,ein Baby,das Blaine und Carson vielleicht irgendwann mal bekommen würden. Ich spürte einfach,dass es das Richtige war.
Mit einem breiten Lächeln bezahlte ich das T Shirt.

In der nächsten Woche Passierte wenig. An manchen Tagen konnte ich sogar im Appartement bleiben.
Wahrscheinlich lag es an der noch immer angespannten Stimmung zwischen mir und den Produzenten.
Sie fanden anscheinend ja sowieso,dass ich kein Talent hatte.

Als ich am Freitag dann nach New York für die Xmen Promotion flog,war ich sogar froh,hier weg zu kommen. Früher wäre es nie vorgekommen,dass ich die Kameras und das Falsche Lachen dem Dreh von 'The Hungergames' vorgezogen hätte. Früher war das hier mal wie ein Zuhause gewesen.

Hinter den Kameras -Jennifer LawrenceWhere stories live. Discover now