The Hanging Tree

9 0 0
                                    


  Stunden später saß ich noch immer in der selben Position verharrt auf der Couch. Verschiedene Crew Mitglieder hatten angeklopft und mich gebeten,die Tür aufzumachen.
Aber ich hatte mich nicht von der Stelle bewegt. Ich brauchte nicht mit ihnen reden,um zu hören wie toll ich es am Ende doch machen würde.
Warum verstand denn keiner,dass es einfach Dinge gab,die man weder konnte,noch machen wollte?
Langsam rollte ich mich wie ein kleines Baby zusammen.
Wenn ich einfach hier liegen bleiben könnte. Ich mochte das Appartement nicht besonders,aber im Moment wäre mir alles lieber als zum Set zu gehen,wo vermutlich schon alle Kameras aufgebaut waren und alle nur auf mich warteten. Ich stellte mir vor,wie sie alle dort stehen würden. Hunderte Crew Mitglieder-Leute,die mich bisher nur hinter der Kamera beobachtet und gefilmt hatten,genauso wie Leute,die mir näher standen. Und dann würden sie alle lachen. Genauso wie es die anderen Mädchen damals gemacht hatten. Ich schauerte allein bei dem Gedanken daran.

"Komm schon Jen! Mach die Tür auf!"hörte ich Francis von draußen rufen. Ich war überrascht,dass ich keine Wut in seiner Stimme hörte, wo ich nun doch schon seit Stunden den Dreh aufhielt. Auch wenn ich mich dafür schuldig fühlte,ich war trotzdem nicht bereit zu singen.
"Vergiss es."murmelte ich.
Ich hörte einen Seufzer. "Erstmal nur reden,okay? Ich habe dir auch Schokolade mitgebracht."
Ich musste grinsen. Die Leute wussten schon,wie sie mich locken konnten. "Francis ich weiß,dass du mich damit nur bestechen willst."rief ich laut genug.
"Wie wärs mir Schokolade und Eis?"rief Francis. Ich hörte etwas Verzweiflung mitschwingen.
Ich musste noch mehr grinsen. Wie konnte ich das denn Abschlagen? Lächelnd schwang ich mich aus der Couch und öffnete die Tür.
"Du wusstest,dass ich schwach werden würde."meinte ich und machte einen Schmollmund.
Francis Gesicht hellte sich auf. "Na endlich."sagte er erleichtert.
Ich schnappte mir die Eispackung und die Schokolade und ließ ihn herein.
Mit einer Hand schob ich die Decken und Kissen etwas zur Seite und bot ihm einen Sitzplatz an.
"Ich gehe davon aus,du willst immer noch nicht singen?"fragte er während ich mir einen Löffel aus der Küche holte.
"Nein."
Ich hockte mich neben ihn. Seine Stirn legte sich in Falten,er schien zu überlegen,wie er mich doch noch überreden konnte.
"Ich singe nicht Francis."sagte ich nochmal mit Nachdruck.
Er lehnte sich zurück und krempelte sich die Ärmel seines grauen Hemdes hoch.
"Warum wehrst du dich so extrem dagegen? Auch beim Catching Fire Dreh gab es Dinge,die du nicht machen wolltest,die du dann aber mit ein paar Stückchen Schokolade hinter dich gebracht hast."
Ich öffnete den Deckel der Eispackung und starrte auf die vielen kleinen Schokosplitter.
"Weil einfach nicht vor anderen Leuten singe. Das habe ich einmal gemacht und dann nie wieder."
Ich spürte seinen Blick von der Seite,als ich mir den ersten Löffel in den Mund schob.
"Lecker."nuschelte ich mit vollem Mund.
"Was ist denn passiert als du gesungen hast?"
Ich sah ihn an. "Ach,es war einer dieser Talentwettbewerbe in der Schule. Meine Mom war der Meinung,dass ich doch singen sollte. Ich hatte ihr damals wirklich geglaubt,dass gut singen könnte."
Ich straffte meine Schultern und lachte. "Na ja. Wer kann's ihr verübeln. Mütter finden alles toll an ihren Kindern."
Ich schob mir einen weiteren Löffel in den Mund und versuchte mit dem süßen Geschmack diese bittere Erinnerung an den einen Abend zu verdrängen.
"Was war dann? Hast du denn Text vergessen? Wenn es das ist,dann können wir-"
Ich unterbrach ihn. "Sie haben mich ausgelacht und auf mich gezeigt."meinte ich trocken.
"Oh." Francis schwieg für einen Moment. Er schien in seinen eigenen Gedanken gefangen zu sein.
Ich füllte meinen Mund immer weiter mit Eis,sodass meine Zunge schon fast ein wenig Starr wurde.
"Ich verstehe warum du nicht singen willst. Das einzige was ich dir hier garantieren kann,ist dass keiner Lachen wird. Kein Darsteller,kein Produzent. Niemand der hier ist. Jeder weiß,wieviel Überwindung es kostet vor so vielen Menschen zu singen."
Ich ließ es mir zum ersten Mal wirklich durch den Kopf gehen.
Wir waren nicht mit in der Schule,wo über alles und jeden gekichert wurde.
Wir alle waren Erwachsene Leute,die wussten,wie schwer so etwas war.
Francis hatte Recht. Keiner würde hier lachen. Es war eine Szene wie jede andere auch.
"Okay."willigte ich ein.
Francis drehte seinen Kopf. "Okay? Du machst es?"
Ich nickte.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus."Ich wusste doch,du würdest es tun."
Ich lächelte leicht und löffelte weiter in meinem Eisbecher. "Aber da gibt es noch eine Bedingung."
Francis schien verwirrt zu sein,er runzelte seine Stirn. "Was denn?"
Meine Mundwinkel zogen sich zu einem Grinsen hoch. "Ich darf im Epilog ein Pferd reiten."
Francis sah mich entgeistert an. "Oh nein Jen. Das Gespräch hatten wir doch schon."
Ich hatte ihn schon mehrmals darum gebeten,mich im Epilog auf einem Pferd reiten zu lassen. Das war wirklich einer meiner Träume.
Doch bisher hatte er immer abgewimmelt.
"Gut,dann kein Singen." Ich grinste ihn frech an.
Er stöhnte auf. "Wie soll ich das denn unterbringen?"
Ich leckte meinen Löffel ein letztes Mal an und stand dann auf. "Keine Ahnung. Du bist doch hier das Genie."
Ich stellte die Eispackung in der Küche ab und konnte mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Das konnte er mir jetzt nicht mehr Abschlagen.
"Also was ist?"fragte ich.
Er seufzte ergeben auf. "Ich habe wohl keine Wahl oder?"
Ich schüttelte den Kopf und stupste ihn in die Seite. "Okay."murmelte er.
"Aber du musst dich daran erinnern. Wenn du's vergisst,hast du Pech gehabt."
Ich lachte. "Als ob ich das vergessen würde."

Kurze Zeit später war Francis zurück zum Set gegangen,um die Kameras schon einzustellen.
Weder heute noch morgen würden wir das eigentliche Singen drehen,
zuerst mussten die Dialoge davor und danach abgedreht werden.
Aber ich sollte mir schon mal den Text einprägen und mich morgen mit der Band,die die Melodie entworfen hat, zusammensetzen.
Ich tigerte durch das Zimmer und fing an,mir die ersten Stellen durch den Kopf gehen zu lassen.
Zwar hatte ich diese Stelle schon im Buch gelesen,aber nun den Text vor sich zu haben und sich eventuell schon in ihre Lage währenddessen reinzuversetzen,war etwas komplett anderes.
Als ich mir den Text einigermaßen eingeprägt hatte,machte ich mich auf den Weg zum Set,mittlerweile war es schon Nachmittag.
"Madame kommt auch mal wieder."spottete Mark,als ich auf die Make Up Trailer zugesteuert kam.
Ich schenkte ihm nur einen genervten Blick. "Wenigstens singe ich."murmelte ich. Seine raue Lache war zu hören. "Du hättest auch gar keine Wahl gehabt, Vertrag ist Vertrag."
Kommentarlos riss ich die Tür auf und ließ mich in auf einen der Stühle fallen. Ich wusste,dass Mark Recht hatte. Was Francis gemacht hatte,war ein netter Akt gewesen. Er kannte mich und wollte,dass ich es freiwillig Tat. Aber letztendlich hätte die Szene gedreht werden müssen-freiwillig oder nicht.
Diese Erkenntnis,dieses Gefühl keine Wahl zu haben,war nichts Neues,ließ mich aber jedes Mal aufs Neue erschaudern.
"Na? Wieder da?"fragte Ve,die Stylistin,mich mit einem sanften Lächeln.
Ich nickte. "Ja,nachdem Francis mich mit Eis und Schokolade bestochen hat."
Ve grinste."Ach mein Mädchen. Komm her." Sie öffnete ihre Arme für eine Umarmung,die ich liebend gern annahm. "Ich bin sicher du wirst das großartig machen."
Ich dankte ihr mit leicht getöteten Wangen. "Trotzdem will ich es schnell hinter mich bringen."
Sie klopfte mir auf die Schulter und fing an,mich zu Schminken. Ich war überrascht,wie natürlich das Make Up und die Kleidung für diese Szene werden würde.

Zurück am Drehort wurde mir von allen,besonders Natalie und Liam,nochmal versichert,dass übermorgen sicher alles gut gehen würde. Sie waren nur etwas verwirrt wegen meiner heftigen Reaktion gewesen. "So kennen wir dich gar nicht."sagte Natalie und grinste.
Die Szene vor dem Singen wurde mehrmals wiederholt und gedreht,bis Francis zufrieden war und es schon leicht dämmerte.

Als ich die Tür zu meinem Appartement öffnete,sah ich eine Gestalt durch meinen Flur schleichen.
Mir fiel fast die Klinke aus der Hand,so sehr krallte ich mich fest. Mein Puls begann schneller zu schlagen,als würde ein Messer direkt auf mich warten. "Hallo?"fragte ich mit zittriger Stimme.
Ich hörte Schritte. Panisch machte ich mich bereit zu rennen,doch ich würde am Arm gefasst und ins Haus gezogen.
"Wie wars? Erzähl!"
Ich konnte einen Laut der Erleichterung nicht unterdrücken.
"Jena! Bitte erschreck mich das nächste Mal nicht so."
Ihr Gesicht nahm einen entschuldigen Ausdruck an. "Ich hatte das total vergessen...mit all den Drohungen. Es tut mir Leid."
Ich schüttelte den Kopf. "Es ist alles in Ordnung. Ich bin nur etwas schreckhaft."erwiderte ich und starrte auf den Boden.
"Was machst du eigentlich hier?"fragte ich sie.
"Wir wollten doch wieder in einem Appartement wohnen,oder nicht?"
Ich zog meine Schuhe aus und ließ mich auf der Couch nieder. "Oh ja richtig. Hatte ich total vergessen."
Sie setzte sich neben mich. "Und?"
Ihre warmen Augen schauten mich an. "Wie wars heute? Hast du dich entschieden doch zu singen?"
Ich nickte. "Ja,Francis hat mich bestochen. Wie kann ich zu Süßem denn 'Nein' sagen?"
Wir beide musstenLächeln. "Übermorgen geht's dann richtig los."führte ich fort. "Ich bin echt froh,wenn ich das alles hinter mir habe."
Jena drückte meine Hand. "Ach,das geht schneller als du denkst."
"Es dauert nicht mehr lange,dann ist der Dreh auch schon wieder vorbei."fügte sie mit einem traurigen Lächeln hinzu.
"Lass uns da noch nicht drüber reden. Wir haben doch noch drei Monate."
Sie stimmte mir zu. "Okay. Ich würde sagen,ich packe oben schon mal meine Sachen aus. Soll ich danach etwas kochen?"
Ich zog eine Augenbraue hoch. "Du kannst kochen?"
Sie nickte. "Ja,mein Freund und ich,wir kochen gerne zusammen wenn ich mal da bin."
Ich klatschte die Hände zusammen.
"Das ist ja der Hammer. Und trotzdem haben wir uns letztes Jahr größtenteils aus der Packung ernährt."
Sie grinste. "Na ja. Ich habe mir öfter was gekocht. Es stand abends auch immer noch etwas für dich in der Küche. Aber du musst so verliebt gewesen sein,dass du das nicht mal gemerkt hast."
Ich lachte und merkte wie meine Wangen zum zweiten Mal heute etwas rötlicher wurden. "Ich habe das echt nicht gemerkt."stellte ich fest.
Jena grinste weiter in sich hinein. "Ich Sage es ja. Also was ist? Auflauf?"
Ich stimmte ihr begeistert zu. Weder Josh und ich konnten besonders gut kochen,wobei Josh zumindest einfache Gerichte noch hinbekam,während es bei mir in der Küche rauchte,wenn ich es versuchte. Außerdem konnte Josh echt gut Backen,was bei mir oft noch schlimmer endete.

Jena's Essen schmeckte echt lecker.
Ich war froh,sie wieder bei mir wohnen zu haben. Nicht nur wegen ihren Kochkünsten,sondern auch weil ich sie als Freundin vermisst hatte. Ich hatte jetzt immer jemanden,mit dem ich von Auge zu Auge reden konnte. Außerdem fühlte ich mich mit noch einer Person mehr im Appartement sicherer. Natürlich würde im Ernstfall Gilbert da sein,aber trotzdem. Eine Person mehr fühlte sich einfach besser an.

Den nächsten Tag verbrachte ich mit einigen Musikern,die mir die Melodie,die sie sich vorgestellt hatten,mehrmals vorspielten und mir halfen,sie einzuüben.
Ich war sehr bewegt,von der Musik und wie sehr sie das Gesungene auf den Punkt brachte.
Mark kam zwischenzeitlich herein,um zu prüfen,ob wir auch wirklich voran kamen.
"Das Tonstudio ist für heute Nachmittag gebucht."verkündete er.
Ich sah ihn abwehrend an. "Ich singe das genau einmal Mark. Morgen an dem See. Wenn ihr da Toneffekte oder anderes untermischen wollt,könnt ihr das gerne später machen."
Die Musiker Schienen mir zuzustimmen. "Der Regisseur meinte doch,dass es Naturell und echt sein sollte. Ich würde sie morgen einfach singen lassen."
Mark schien mit sich selbst zu kämpfen. Sollte er den Profis zustimmen oder sollte er auf eigene Faust handeln?
Anscheinend schien er sich dagegen zu entscheiden,da er wieder abzischte.

Den restlichen Tag versuchte ich mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Das ganze sollte echt wirken. Katniss war echt und so sollte es auch wirken. Wenn ich es zu oft probte,wäre es zu eingespielt,zu perfekt.
Wir drehten noch eine weitere Szene,die nach dem Lied kommen würde und dann war der Tag auch schon wieder vorbei.
Jena machte mir am Abend beim gemeinsamen Essen noch mal Mut und Versicherte mir,dass alles gut gehen würde. Trotzdem stieg ich mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch ins Bett.

Am nächsten Morgen war mir nicht nur mehr mulmig zumute,sondern ich war extrem nervös. Meine Hände trommelten beim Frühstück die ganze Zeit auf dem Tisch herum und ich musste andauernd zu Toilette.
Am Set wurde es sogar noch schlimmer,umso näher wir uns der Szene näherten. Alle um mich herum waren rührend. Sie umarmten mich mehrmals,machten mir klar,dass ich das konnte. Besonders Liam gab sich große Mühe. Er holte mir meinen morgendlichen Kaffee und brachte sogar eine Tüte Gummibärchen mit.
"Danke."wiederholte ich immer wieder. Nervös kaute ich auf den süßen Bären herum.
Bald war es dann auch so weit. Ich musste auf Position,setze mich in das grüne Gras. Ich atmete mehrmals tief durch und fing dann an,mich in meinen Charakter hineinzuversetzen.
Ich dachte an all die Ereignisse in ihrer Vergangenheit,an ihre jetzige Situation und merkte,wie die Grenze zwischen mir und ihr immer mehr verschwamm. Das 'Action' von Francis bekam ich fast gar nicht mehr mit. Ich war Katniss.
Ganz leise erst fing ich an zu singen und wurde mit der Zeit lauter. Es war nicht perfekt,es hörte sich nicht an wie von einer Sängerin aus dem Radio,aber es passte. Die Situation war auch nicht perfekt.
Immer weiter sang ich,merkte wie die anderen um mich herum einstimmten.
Und ehe ich mich versah,war es schon vorbei. Das Klatschen der anderen riss mich aus meiner Trance.
"Das war toll!"rief Francis begeistert. Alle anderen lachten. Aber sie lachten mich nicht aus. Sie lachten mit mir.
"Du erzählst uns hier was von 'mieser Sängerin' und dann machst du es so gut."meinte Liam und kam um mich zu umarmen.
Während alle zu mir kamen und etwas sagten,spürte ich pure Erleichterung. Weil es endlich vorbei war und es einfach nicht wie früher war.  

Hinter den Kameras -Jennifer LawrenceWhere stories live. Discover now