Ich werde nicht singen !

9 0 0
                                    


  Es war als wären meine Beine gelähmt. Ich schaffte es einfach nicht,mich zu rühren. Nach alldem hatte ich gedacht,es wäre endlich vorbei.
Doch nun hatte ich auch noch die Sicherheit,dass diese Leute den Unfall angestiftet hatten. Sie waren wirklich zu sowas fähig. Sie hatten Josh absichtlich angefahren,um mich fertig zu machen. Tief in mir spürte ich diese Schuld erneut aufsteigen. Auch wenn ich im Grunde nichts damit Zutun hatte-Wäre ich nicht,müsste Josh jetzt nicht im Krankenhaus liegen und Schmerzen ertragen. Ich merkte,wie sich eine kleine Träne in meinem Auge bildete. Ärgerlich wischte ich sie mit dem Handrücken weg. Hatte ich mir nicht vorgenommen stärker zu sein?
Angst verspürte ich sonderbarerweise nicht. Anscheinend wollten sie mich nicht körperlich verletzen,dazu hätten sie viel zu viele Chancen gehabt,sondern aus irgendwelchen Gründen wollten sie mir seelisch weh tun.
Ich brauchte mich gar nicht umzusehen,um zu wissen,dass niemand mehr da war. Sie sprachen Drohungen aus oder sie verletzten mich und Josh durch andere Wege,aber sie zeigten nie ihr Gesicht.
Ich ging weiter zu meinem Appartement als weitere Tränen aufstiegen. Die bittere Erkenntnis,dass das nichts war,was ich tun konnte,verursachte einen tiefen Schmerz.
Warum?
Warum wollten sie mich am Boden sehen? Warum gerade ich?

"Gilbert,ich bin noch einmal drüben bei Jena."sagte ich,nachdem ich mir kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte um die Tränen zu verbergen.
"Soll ich Sie begleiten?"fragte er und schaute von seiner Zeitung hoch.
"Nein danke."antwortete ich höflich und zwang mich zu einem Lächeln.
Ich konnte vor anderen Leuten keine Schwäche zeigen. Schon früher hatte ich mich für meine Gefühle,besonders für meine Angst geschämt.
Die Mädchen auf dem Pausenhof hatten immer kichernd auf mich gezeigt und über mich getuschelt,wenn sie sahen,wie ich mühsam versuchte,wieder normal zu atmen. Seitdem Verbot ich es mir oft Gefühle zu zeigen.
"Sind sie sicher?"fragte mein Bodyguard zweifelnd.
Ich nickte fest. "Keine Sorge. Es wird nichts passieren,das weiß ich jetzt."
Er sah mich fragend an,doch ich wank einfach nur ab.
Ohne Angst konnte ich durchs Dunkle gehen. Das hieß aber nicht,dass ich nicht Angst davor hatte,was sie sich sonst noch ausgedacht hatten. Wollten sie vielleicht noch unsere Fanilie mit einbeziehen? Oder Freunde?
Wer wusste es?

"Hi." Jena riss die Tür auf und fiel mir lachend um den Hals.
Ihre blonden,kurzen Haare peitschten mir ins Gesicht.
"Komm rein."sagte sie und führte mich zu ihrer identisch weißen Couch. Insgesamt sah ihr Appartement genauso aus wie meins.
"Wein?"fragte sie als sie mit schwungvollen Schritten zu ihrem Kühlschrank lief.
"Ja gerne."
Kurze Zeit kam sie mit geöffneter Weinflasche,zwei Gläsern und Chips wieder.
"Also."fing sie an,während sie mir ein Glas einschenkte. "Was ist alles passiert in der Zeit in der wir uns nicht gesehen haben?"
Es war gut fünf Monate her. Eine ganze Menge also.
"So einiges."meinte ich und sah sie an.
"Erzähl! Was ist mit Josh und dir?"
Ich sah lächelnd aus dem Fenster.
"Wir sind noch ein Paar,falls du das wissen willst."
Sie klatschte die Hände zusammen.
"Fast ein Jahr,oder? Ich weiß noch wie du mit dir gekämpft hast auf Hawaii. Und jetzt bist du so glücklich. Ich wusste es immer!"
Meine Wange erötete leicht,als ich an Hawaii zurückdachte und wie ich mich mit meinen Gefühlen angestellt hatte.
"Hey du musst nicht rot werden."meinte Jena lachend und stupste mich an.
"Wie läufts bei dir?"fragte ich sie.
Sie strahlte. "Du weißt ja, bei mir läufts immer gut. Überall wo gute Laune ist bin ich auch!"
Sie lachte auf ihre typische Art,die auch mir ein Grinsen auf die Lippen zauberte.
"Sag mal,warum haben wir eigentlich kein Appartement zusammen?"fragte sie.
Ich zuckte die Schultern.
"Solange Josh nicht da ist,könntest du theoretisch in meins mit einziehen."
"Und danach auch."fügte ich nach kurzem Überlegen hinzu. "Josh und ich dürften sowieso nicht in ein Appartement."
Jena riss ihren Arm hoch um mich abzuklatschen."Alles wie früher?"fragte sie.
"Alles wie früher"wiederholte ich.

Wir redeten die ganze Nacht durch. Ich erzählte ihr auch von den Drohungen und meiner Vermutung das Mark mitmischte. Sie erfuhr von dem Tunnel,dem Unfall und den anderen Dingen,die geschehen waren.
Irgendwann waren wir allerdings zu beschwipst um normal weiter zu reden. Die meiste Zeit lachten wir,Jena sprang sogar auf der teueren Couch herum.
Ich mochte das Gefühl,wenn Alkohol im Spiel war. Ich mochte wie es mir die Sicht und die Gedanken vernebelte und wie es meine Sorgen verschwinden ließ.

Am nächsten Morgen fanden wir uns beide auf der Couch wieder.
"Morgen."murmelte Jena und strubbelige sich durch die Haare.
Ich stöhnte bloß und vergrub meinen Kopf in den vielen weißen Kissen.
Mein Kopf Tat höllisch weh.
Jena jedoch schien ihr Kater nichts auszumachen,sie stand munter auf und bediente sich an der Kaffeemaschine.
"Möchtest du auch Orangensanft und Pancakes?"hörte ich sie mit ihrer gewohnt lebhaften Stimme fragen.
Ich murmelte etwas von einem 'Ja'.
"Wie kannst du so munter sein?"fragte ich,als ich mich aufrichtete.
"Du musst einfach öfter feiern gehen. Dann bist du denn Alkohol irgendwann gewöhnt."
Ich schüttelte bloß den Kopf. Sie war echt in jeder Lebenssituation munter und wach.
"Ich gehe dann mal Duschen."meinte ich und fuhr mir durch die Augen.
"Also ich würd vorschlagen du nutzt meine Dusche."stoppte Jena mich. "Wenn die Paparazzi dich so sehen... Glaub mir,das passiert einmal und nie wieder."
Sie kicherte,vermutlich hatte sie ihre Erfahrung damit gemacht.
Ich stimmte zu. Die Paparazzi konnte ich jetzt gerade überhaupt nicht gebrauchen.
"Gut,dann Dusche ich gerade bei dir."murmelte ich und trottete in die Richtung,wo ich das Bad vermutete.
Als ich mich im Spiegel betrachtete,fielen mir fast die Augen aus. Meine Haare waren in alle Richtungen zerstreut,meine Augen klein und meine Klamotten zerknittert.
Nach der eiskalten Dusche fühlte ich mich etwas besser,die Kopfschmerzen spürte ich allerdings noch immer.
"Jena!"schrie ich nach unten, "Hast du irgendwas für die Kopfschmerzen? Wir müssen doch gleich los zum Dreh..."
Sie kam mit einer Schachtel Kopfschmerztabletten nach oben gelaufen. Ich nahm die Tablette mit etwas Wasser ein und ging dann mit ihr nach unten um zu frühstücken.

Gemeinsam kamen wir dann am Set an. Heute brauchten die Make Up Artisten etwas länger,um mich fertig zu machen. Sie konnten ja keine 'Katniss mit Kater' gebrauchen.
"Was drehen wir heute?"fragte ich,als ich zurück zum Drehort kam.
Francis tauschte einen Blick mit den anderen Produzenten aus und grinste mich dann breit an.
"Nicht nur heute Jen."
Verwundert sah ich ihn an. "Wir drehen doch alle Szenen über mehrere Tage."
Er nickte immer noch grinsend. "Ja,aber diese Szene wird die besonders gefallen."
Misstrauisch kam ich näher. "Wovon redest du?"
"Du wirst singen. 'The Hanging Tree'."
Ich starrte ihn erst an und verfiel dann in schallendes Gelächter.
"Ganz sicher Francis."meinte ich sarkastisch.
Er schaute mich grinsend an. "Hier ist der Text."sagte er und reichte mir ein paar bedruckte Blätter.
"Warte..ihr meint das ernst?"
Alle nickten. "Moment Mal"sagte ich "Ich werde nicht singen. Ich kann es nicht und ich werd es auch nicht."
Francis lachte. "Klar wirst du das."
"Warum nehmt ihr nicht Lorde dafür? Wollt ihr euch den Film durch meine grässliche Stimme versauen lassen?"
"Wir Brauchen keine Stimme,die es perfekt macht. Katniss ist auch keine Sängerin."
Ich schüttelte den Kopf. "Nein ich kann das nicht."
Mark trat hervor und stellte sich direkt vor mich.
"Das war keine Frage. Du hast einen Vertrag zu erfüllen."
Ich öffnete den Mund um zu protestieren,doch Marks durchdringender Blick ließ mich stoppen.
'Hier ist kein Platz für Widerstände' sagte sein Blick.
Auf der Stelle drehte ich mich um und rannte zu meinem Appartement.
Sobald ich die Tür hinter mir schloss,fingen die Tränen über meine Wange zu laufen.
Niemand verstand warum ich das nicht machen konnte. Wie sollten sie auch?
Niemand war dabei gewesen,als ich als kleines Kind vor meiner Schule ein Lied gesungen habe. Ich wusste noch,wie ich mit acht Jahren und wenig Selbstvertrauen auf der Bühne gestanden hatte und darauf wartete,dass die anderen Kinder anfangen zu klatschen. Stattdessen hatten sie angefangen mich auszulachen und auszubuhen.
Damals war ich weinend von der Bühne gelaufen,das war auch das letzte Mal gewesen,dass ich für irgendjemanden gesungen hatte.
Immer wieder verfolgten mich die Ereignisse aus meiner Kindheit. Auch heute prägten sie mich noch.
Ich setzte mich auf die Couch und sah mir zum ersten Mal den Text an.
Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Ich würde nicht singen.  

Hinter den Kameras -Jennifer LawrenceWhere stories live. Discover now