Ich wählte seine Nummer und packte den Lautsprecher rein, als ich mich in Richtung vollgepackte Ausfahrt bewegte und aus dem Fenster schaute. Manche Leute gaben einfach überhaupt keine Acht darauf, wo sie langliefen und schlussendlich waren dann die Autofahrer schuld, wenn sie sie anfuhren.

Nach paar Sekunden ging er auch endlich ran. «Du warst heute Nachmittag nicht mehr in der Schule, oder?», fing ich direkt an und setzte den Blinker nach links. «Auch dir hallo, Micina.» Es hatte sich die letzten Wochen sehr klar gezeigt, dass er die Schule nicht mehr abkonnte. Manchmal war er da und manchmal nicht.

Er kam gerne, wenn wir Musik oder Englisch hatten. Englisch auch nur, weil ihm letztens auf unschöne Weise klar wurde, wie sehr sich seins verschlechtert hatte, was die Grammatik anging. Er verbrachte viel Zeit mit seiner Schwester und Vicky.

Hiergegen hatte ich nichts, weil es gut war, dass wir nicht mehr so aneinander klebten. Mittlerweile fühlte es sich so an, als würden wir unsere Leben gut miteinander führen können, ohne von dem anderen komplett abhängig zu sein. Ja, es gab Abende, da wollte ich Dario nur für mich allein und er selbst hatte auch Tage, manchmal sogar Wochen, da klebte er an mir.

«Du hast nicht vergessen, dass wir heute Abend noch ein letztes Klassentreff haben, oder?» Stille. Erwischt. «No.» «Triffst du mich dort oder fahren wir zusammen hin?» Wieder Stille. Er dachte nach. «Wäre bene, wenn wir zusammen hinfahren...» «Weil du keine Ahnung hast, wovon ich spreche?», fragte ich halb grinsend nach. Schweigen. «Eventuell.»

Ich musste kichern, doch versuchte die Schmetterlinge im Bauch zu ignorieren, weil ich noch fahren musste und keine Lust auf ein Date mit einem Baumstamm hatte. «Wo bist du jetzt? Ich hab' noch von 16 Uhr bis 19 Uhr eine Schicht im Kino und dann könnten wir uns treffen.» «Eh-, Ich hab' gleich noch ein Gespräch mit Timo...» Meine Augenbrauen zogen sich zusammen.

Mit Timo? «Ich glaube, er kickt mich heute.» Ich liebte den Jungen echt, doch dass Timo ihm heute vielleicht den Laufpass geben würde, wäre keine allzu große Überraschung. «Hat dir doch eh nicht gefallen, oder?» «Schon, aber Lex kloppt mich, wenn ich schon wieder gekündigt werde. Diese Job-Sache ist sau anstrengend.»

«Du musst dich entscheiden, Dario. Schule oder Job.» Rio musste sich echt noch entscheiden, ob er dieses Jahr nächstes Jahr nochmals nachholte oder es einfach seinließ und zu arbeiten anfing. Den Abschluss hatte er geschafft, aber definitiv nicht mit den Resultaten, die er eigentlich bringen konnte.

Na ja, als Kellner machte er sich nicht wirklich gut, somit hatte er seinen ersten Job verloren. Bei Susi im Kiosk wurde ihm nach drei Tagen langweilig und bei Giacomo im Laden hatte er angefangen Kleinigkeiten zu klauen, um sie nebenbei zu verticken. Daraus hatte er aber schnell gelernt. Giacomo hatte zum Glück ein Auge zugedrückt und die Sache nicht an die große Glocke gehängt.

Irgendwie fühlte es sich so an, als müsste Dario jetzt all die Dinge nachholen, die er als 13-Jähriger hatte machen wollen. Nur Scheiße im Kopf. Echt, der Typ hatte manchmal nur Scheiße im Kopf. Und jetzt bei Timo im Tattoo- und Piercingstudio war er gerne mal unpünktlich oder launisch. Das konnte Timo seinen Kunden natürlich nicht bieten.

Ich war mir sicher, Lio war ein super Mitarbeiter, aber irgendwie konnte ich ihn mir nicht in einem Beruf mit Kunden vorstellen. Zumindest nicht mit direktem Kontakt zwischen Kunde und ihm. «Ich lasse das Auto zu Hause und geh zu Fuß ins Kino. Kommst du mich damit holen? Wir könnten direkt nach meiner Schicht weiter zu den anderen. Ich hab' eine kleine Tasche im Flur stehen. Die müsstest du einfach mitbringen, damit ich mich noch umziehen kann.»

Dario seufzte nur. «Muss das heute echt sein? Ich hätte es viel lieber, wenn wir einfach bei mir oder bei dir chillen oder so.» «Ja, es muss sein.» Ich wollte gar nicht richtig darauf eingehen, weil mein guter Freund und ich nicht schon wieder zu streiten brauchten.

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