Mich nahm eine Kälte ein, die meinem ganzen Körper Gänsehaut gab. «Ich bin krank im Kopf. Meine Rückfälle kann ich nicht beeinflussen...» «Du bist nicht krank im Kopf. Du bist Dario und-» «Du musst es nicht schönreden. Das scheiß Borderline macht alles nur noch schlimmer und schwerer für mich und alle anderen.» 

Ich deutete auf mich selbst. «Dass ich jetzt so ruhig hier sitze, hat nur mit den Medikamenten zu tun, aber ich will nicht mein ganzes Leben lang so leben müssen. Ich brauche im Moment 6 Tabletten am Tag, damit ich niemanden am Kragen packe oder mich selbst umbringe... Die haben mich auf die höchste Dosierung gepackt. Du kannst mir also nicht sagen, dass ich keinen Schaden habe.» 

Gio biss sich in ihrer Unterlippe fest und ihre Schultern sackten geschaffen in sich zusammen. «Dario, ich war in meiner Zeit hier drinnen auch auf Medikamenten. Sie sind da, um dir die ersten Tage und Wochen zu helfen. Und dein Vater... Santiago nimmt mittlerweile nichts mehr. Ich habe mich gestern noch mit ihm darüber unterhalten. Er hat gelernt, wie er mit dem Borderline leben kann. Klar, hat er noch schlechte Tage, doch er weiß, wie er sie durchstehen kann.» 

«Ja, aber seine schlechten Tage haben soviel kaputtgemacht. Zum Beispiel meine Fähigkeit, Männern zu vertrauen, die mir helfen wollen, oder meine Art, wie ich Konflikte löse oder mein verficktes Essverhalten oder meine Aussetzer, die andere Leute ins Krankenhaus befördern und so weiter.» Ich schob das Mandala in meine Hosentasche und schaute kurz aus dem Fenster hinter Mom, weil ich die richtigen Worte suchte. 

«Und ich will das keinem antun. Ich will niemanden so kaputt machen, wie er es getan hat. Borderliner bleiben alleine zurück, weil sie nicht in die Gemeinschaft passen. Was denkst du, warum Santiago niemanden mehr gefunden hat und nur noch Stundenlange arbeitet?» Gio blieb still und schaute nachdenklich vor uns auf den Tisch. 

«Das ist seine Entscheidung. Er hat sich für das Leben alleine entschieden. Und du bist nicht er, Dario. Nur weil ihm diese Sachen passiert sind, heißt das nicht, dass sie dir auch passieren werden.» War sie sich da sicher? 

Meines Wissens passierten mir genau die Dinge meiner Vorfahren. Ich hing an Drogen, wie es Mom und ihr Vater getan hatten. Ich hatte Borderline. Genauso wie Santiago... Mein Leben war zum Scheitern verurteilt. 

«Dario, ich kann nicht akzeptieren, dass du dir selbst so im Wege stehst. Du kannst das alles schaffen. Du bist stark genug. Mehr als genug sogar.» In mir stieg Wut und Frust an, weshalb ich Gio darum bat, zur Seite zu gehen, damit ich aufstehen konnte. Die Sitzbank war ziemlich eng. 

Sie ließ mich aber nicht gehen und blieb stur sitzen. «Und du musst jetzt nicht das Weite suchen, weil ich dir sage, was Tatsache ist», schimpfte meine Mutter und ich sank zurück in die Bank und verschränkte meine Arme auf der Brust. «Ich sehe, dass du dein Bestes gibst. Hör nicht auf.» 

«Werde ich nicht», murmelte ich leise und legte den Kopf in den Nacken. «Ich habe es ihr versprochen.» Und wenn ich einmal in meinem Leben ein Versprechen meinerseits halten würde, dann dieses hier. Noè verdiente es. 

Giorgia verstand, wen ich meinte, und begann zu schmunzeln. «Sie könnte im Moment eh deine Hilfe brauchen.» «Wieso?» Ich hob meinen Kopf an und erwartete Schlimmes, doch Gio lachte bloß leise auf. «Sie hat Roxy zu sich genommen und der Köter hört überhaupt nicht auf sie.» 

Ja, Roxy. Ich hatte um sie gebeten, doch leider durfte man hier keine Haustiere halten. Mir wurde bloß gesagt, dass sie ein temporäres Zuhause gefunden hatte. Dass dieses bei Noè war, hätte ich mir eigentlich denken können. 

Und zwei Wochen später, als Noè das erste Mal kommen durfte, mussten wir uns draußen im Garten treffen, weil der Hund nicht reindurfte. Roxy riss Noè fasst zu Boden, als sie mich erkannte und begann laut zu winseln. Ihre Rute spickte hin und her und mähte mich fast nieder. 

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