Den Weg zur Cafeteria war ich noch nie gegangen. Ich hatte noch nie wirklichen Besuch bekommen und dass der erste meine verdammten Eltern waren, war nicht gerade mega toll, doch ja... Ich versuchte, auf die Leute hier zu vertrauen. Wenn sie dachten, ich brauchte den Kontakt zu ihnen, würde ich versuchen, den Sinn dahinter zu erkennen. 

Plus, zusammenbrechen oder toben würde ich hier drinnen nicht wirklich können. Die Medis machten mich so schwerfällig und müde. Mein Herz sank, als ich die roten Haare von Mom erblicken konnte, doch ich wurde etwas stutzig, als sie nicht die einzige am Tisch mit roten Haaren war. Gio war auch hier und Santiago war nirgends zu finden. 

Gio erkannte mich und stand auf. Sie schlang ihre Arme um meinen Hals, als sie sich auf die Zehenspitzen streckte und meinen Nacken sanft kraulte. «Hi», grinste sie und mir entkam nur ein Nicken. Mom zögerte und versuchte abzuwägen, ob sie dasselbe tun sollte, doch sie beließ es dann bei einem liebevollen Lächeln und Hi. 

«Setz dich!» Meine Schwester war die Einzige am Tisch, die Freude zeigen konnte. «Wie geht es dir?» Ich löste meinen Blick von Moms Hand auf dem Tisch und schaute rüber zu Gio, die bequem in der Lehne hing. «Eh, besser...» 

Gio bemerkte die dicke Luft zwischen mir und unserer Mutter und seufzte, «Noè hat mir das hier gegeben. Für dich.» Sie hielt mir ein zusammengefaltetes Papier hin und ich musterte es müde, doch mein Puls begann zu rasen, als ich es auffaltete und das Datum 05.12.2009 lesen konnte. 

Sie hatte unser Mandala in meinen Sachen gefunden haben müssen. Ich realisierte gar nicht, wie ich sanft lächelte und erschrak mich, als meine Mutter mich darauf ansprach. «Was ist das?» Gio schaute kurz aufs Papier und sah mir dann zu, wie ich es auf den Tisch legte und glattstrich. 

Das Mandala sah nicht mehr allzu schön aus, doch wie konnte es das auch? Ich meine, Noè hatte es mit 3 oder 4 gemalt. «An diesem Tag wurde ich dir weggenommen», deutete ich auf das Datum und sah hoch zu Mom, die verkrampft runterschluckte. 

«Du hast das an diesem Tag gemalt?» Ich nickte, «Ich weiß nicht mehr allzu viel von diesem Tag, doch die Damaris' haben mich mitgenommen und Noè bei mir gelassen, um mich abzulenken. Sie hat mir ihre Mandalas gezeigt und anscheinend habe ich mich an diesem hier festgehalten und es nicht mehr losgelassen. Sie hat es gemalt.» 

Gio lächelte sanft und lehnte sich an meiner Schulter an. «Ich schwöre, wenn du dieses Mädchen nicht heiraten wirst, werde ich es tun.» Diese Aussage entlockte mir ein leises Lachen, doch ich schüttelte nur den Kopf. 

«Dieser Tag...» Mom holte verkrampft Luft. «Ich weiß auch nicht mehr alles, doch ich weiß, dass ich hier eingewiesen wurde und dass ich dich an diesem Tag endgültig verloren habe.» Ich rieb mir übers Gesicht und schüttelte den Kopf. «Du hast mich nicht verloren. Verloren hast du mich – uns – als diese leeren Versprechen kamen und-» 

Gio seufzte, «Und als aus den leeren Versprechen große und schmerzhafte Lügen wurden.» Meine Schwester hatte es auf den Punkt gebracht. «Und das tut mir so verdammt doll leid, ihr zwei.» «Das wissen wir», versicherte Gio Mom und diese schaute rüber zu mir. Ich nickte nur und faltete das Mandala wieder zusammen. 

«Eine Sucht ist eine Krankheit...» Davon konnte ich ein Lied singen. «Und ganz egal, welche Krankheit man hat, man braucht Zeit, um sie zu heilen... Auch du, Rio.» Gio legte eine Hand auf meine Schulter und suchte meine Augen, doch ich nickte nur mit gesenktem Blick. 

«Und wenn ich es geschafft habe, dann wirst du es auch mit links schaffen.» Mom langte nach meiner Hand, die auf dem Tisch lag und zwang mich dazu, ihr in die Augen zu blicken. «Und Rückfälle sind okay. Ich bin verdammte 15 Jahre lang immer wieder rückfällig geworden und kämpfe heute noch mit schweren Tagen, die mich zurück an die Nadel treiben könnten.» Ich entzog mich ihrer Hand und zog meinen Ärmel über meine. 

PainkillerWhere stories live. Discover now